Glauben in Europa: immer mehr Menschen ohne Religionszugehörigkeit

Der umstrittende Erzbischof von Köln, Kardinal Rainer Woelki feiert eine katholische Messe im Kölner Dom, 3. Mai 2020
Der umstrittende Erzbischof von Köln, Kardinal Rainer Woelki feiert eine katholische Messe im Kölner Dom, 3. Mai 2020 Copyright Martin Meissner/Copyright 2020 The AP. All rights reserved.
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Von euronews
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Im Jahr 2021 sank in Deutschland die Zahl jener, die einer der beiden großen Kirchen angehören unter die Marke von 50 %. Auch in Wales und England ist das nun so. Professor David Voas aus London berichtet, warum das auch für Europa gilt.

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Die Zahl der Kirchenaustritte in Deutschland ist hoch wie nie. Im Jahr 2021 verließen mehr als 359.000 Menschen die katholische Glaubensgemeinschaft. Rund 280.000 Gläubige wandten der evangelischen Kirche den Rücken zu. Das geht aus Statistiken hervor, die beide Kirchen vorgelegt haben. Im vergangenen Jahr war erstmals weniger als die Hälfte der Deutschen katholisch oder evangelisch. Kirchenrechtler gehen davon aus, dass dies auch auf den Umgang der Bischöfe mit Fällen sexualisierter Gewalt zurückzuführen ist. Auch für Europa zeichnet sich ein Trend ab: Immer mehr Menschen bezeichnen sich als konfessionslos.

Zum ersten Mal seit Beginn der Volkszählungen in England und Wales bezeichnet sich nur noch weniger als die Hälfte der Bevölkerung als christlich. Das geht aus dem neuesten Zensus in den beiden zum Vereinigten Königreich gehörenden Ländern hervor.

Gleichzeitig stieg die Anzahl der Menschen, die sich als konfessionslos bezeichnen deutlich an. Professor David Voas von der Fakultät für Erziehung und Gesellschaft des University College London untersucht die Entwicklung von Religionszugehörigkeit in modernen Gesellschaften. 

Jüngere Generationen: es ist in Ordnung, keine Religion zu haben

Die neuesten Entwicklungen erklärten sich einerseits durch den Generationenwechsel, so Voas. 

Vor zehn Jahren hätten sie sich vielleicht noch als Christen bezeichnet. Heute nicht mehr.
David Voas
Professor, UCL

Andererseits habe sich wohl auch die Vorstellung von Religiösität verändert: "Unter jüngeren Erwachsenen hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass es in Ordnung ist zu sagen, dass man keiner Religion angehört. Vor zehn Jahren hätten sie sich vielleicht noch als Christen bezeichnet. Heute nicht mehr."

Sich als christlich zu bezeichnen werde heute nicht mehr als Notwendigkeit empfunden, da das Christentum in der Kultur ohnehin verankert sei. Für jüngere Generationen mit nicht-christlichem Hintergrund sei religiöse stark mit kultureller Identität verbunden. Im Vergleich zu Angehörigen christlicher Kulturen falle es jenen muslimischer oder hinduistischer Kulturen leichter, sich als religiös zu identifizieren.

Andrew Medichini/Copyright 2022 The AP. All rights reserved
Katholische Gläubige drängen sich auf dem Petersplatz, um Papst Franziskus zu sehen. Doch die katholische Kirche verliert Mitglieder, auch in Deutschland.Andrew Medichini/Copyright 2022 The AP. All rights reserved

Wer keine Religion hat, ist nicht ohne Moralvorstellungen

Immer weniger Menschen können sich mit einer der Religionen identifizieren - dieser Trend sei überall in Europa zu beobachten und das seit Jahrzehnten, so Voas. Die Koppelung der Konzepte von Moral und Religion sei keinesfalls selbstverständlich. Anders gesagt: Religion hat kein Monopol auf ethische Werte: 

"Menschen agieren weiter nach moralischen, nach stark ethisch geprägten Werten. Auch in wenig religiös geprägten Ländern zeigen sich in der Bevölkerung dennoch weiter starke sozial geprägte, menschlich zugewandte Haltungen, also auch dort wo die Konzepte von Glauben und gelebter Religiosität eine untergeordnete Rolle spielen, wie in Skandinavien."

Noch im 20. Jahrhundert trugen viele Parteien den Zusatz "christlich" im Namen, ergänzt Voas. Dies sei heute immer seltener der Fall. Die Tendenz abnemender Religiösität spiegele sich also auch im Politikbetrieb wider und werde sich aller Voraussicht nach fortsetzen.

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