Der Bürgermeister von Istanbul, Ekrem Imamoglu, ist am Wochenenden von den Behörden wegen Terror- und Korruptionsvorwürfen fünf Stunden lang verhört worden. Danach wurde Haftbefehl gegen ihn erlassen.
Hunderte Anhänger des inhaftierten Istanbuler Bürgermeisters Ekrem İmamoğlu hatten sich am Samstag vor einem Gerichtsgebäude versammelt, wo er wegen Korruptions- und Terrorismusvorwürfen stundenlang verhört wurde. Am Sonntagmorgen wurde Haftbefehl gegen ihn erlassen. Dieser Schritt war schon am Samstag erwartet worden.
Imamoglu war am Mittwoch nach einer Razzia am frühen Morgen in seiner Wohnung festgenommen worden. Seine Verhaftung löste einen Aufschrei in der Öffentlichkeit und breite Proteste in der Türkei aus.
Es wurde erwartet, dass er an diesem Sonntag trotz der Festnahme bei den Vorwahlen seiner sozialdemokratischen CHP, der größten Oppositionspartei der Türkei, offiziell als Präsidentschaftskandidat aufgestellt wird.
Viele betrachten seine Verhaftung als politisch motiviert und beschuldigen Präsident Recep Tayyip Erdogan, seinen größten politischen Rivalen vor den nächsten Präsidentschaftswahlen ausschalten zu wollen. Diese Wahlen sind für 2028 vorgesehen. Offizielle Stellen weisen diese Anschuldigung zurück und erklären, die türkischen Gerichte seien frei und arbeiteten unabhängig von der Regierung.
Fünf Stunden verhört
Türkischen Medien zufolge verhörte die Polizei Imamoglu am Samstag rund fünf Stunden lang im Rahmen einer Untersuchung wegen des Vorwurfs der Unterstützung der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK).
Anschließend wurde er zur Befragung durch die Staatsanwaltschaft in ein Gerichtsgebäude gebracht, zusammen mit etwa 90 weiteren Personen, die gleichzeitig inhaftiert wurden.
Einen Tag zuvor war der Bürgermeister von Istanbul ebenfalls mehrere Stunden lang zu den gegen ihn erhobenen Korruptionsvorwürfen befragt worden, wobei ihm die Staatsanwaltschaft vorwarf, seine Position zur finanziellen Bereicherung auszunutzen. Imamoglu wies bei beiden Verhören alle Vorwürfe zurück.
Die Behörden versperrten den Zugang zum Gerichtsgebäude mit Straßen-Barrikaden und schlossen nahe gelegene U-Bahn-Stationen. Hunderte Polizeibeamte und mehr als ein Dutzend Wasserwerfer waren im Einsatz, doch Hunderten Demonstrierenden gelang es, zum Gebäude vorzudringen, wo sie mit Sprechchören "Rechte, Recht, Gerechtigkeit" protestierten.
Zusammenstoß zwischen Demonstranten und Polizei
Am vierten Tag der Demonstrationen nach der Verhaftung Imamoglus kam es am Samstag in Istanbul zu Zusammenstößen zwischen der Polizei und Demonstranten.
Die Polizei setzte Pfefferspray und Tränengas ein, um die Menschenmenge zu auseinanderzutreiben und Hunderte Demonstrierende zurückzudrängen, die Fackeln, Steine und andere Gegenstände auf die Beamten warfen.
Das Istanbuler Gouverneursamt kündigte an, dass das Demonstrationsverbot bis zum 26. März verlängert werde, und verhängte Ein- und Ausfahrtsbeschränkungen für Fahrzeuge, die Personen transportieren, die "wahrscheinlich an ungesetzlichen Aktivitäten" teilnehmen und protestieren.
Erdogan beschuldigt die Opposition, zum Chaos aufzustacheln
In einer Rede zum Iftar, dem Fastenbrechen während des muslimischen Fastenmonats Ramadan, ging der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan auf die Proteste ein, die in den vergangenen vier Tagen im ganzen Land stattgefunden haben und auf denen die Freilassung Imamoglus gefordert wurde.
Der türkische Präsident warf der Opposition vor, sie versuche, "eine Atmosphäre der Spannung und des Chaos" zu schaffen.
"Ich glaube, es lohnt sich, noch einmal daran zu erinnern, dass die Tage, in denen man auf die Straße ging, linke Organisationen, Extremisten und Vandalen mitnahm und den nationalen Willen bedrohte, hinter uns liegen", sagte Erdogan.
"Die Zeiten, in denen Politik und Justiz durch Straßenterror gelenkt wurden, gehören nun vollständig der Vergangenheit an, ebenso wie die alte Türkei."
Größte Protestwelle in der Türkei seit über einem Jahrzehnt
Andere Protestierende versammelten sich vor dem Istanbuler Rathaus - dem Amtssitz von Imamoglu -, wo seit der Verhaftung des Bürgermeisters täglich Kundgebungen stattfanden.
Die Demonstrationen markieren die größte Protestwelle in der Türkei seit mehr als einem Jahrzehnt.
Die Proteste verliefen weitgehend friedlich, doch eine Gruppe, die versuchte, Barrikaden zu durchbrechen, um auf den Hauptplatz Istanbuls zu gelangen, warf Leuchtraketen, Steine und andere Gegenstände auf die Polizei.
Die Demonstranten berichten, dass Pfefferspray, Wasserwerfer und Tränengas gegen sie eingesetzt wurden, und einige behaupten, die Beamten hätten sogar Gummigeschosse abgefeuert.
Laut Innenminister Ali Yerlikaya wurden bei landesweiten Protesten in Großstädten der Türkei am Freitagabend 343 Verdächtige festgenommen.
Er wies darauf hin, dass es "keine Toleranz für diejenigen geben wird, die versuchen, die gesellschaftliche Ordnung zu verletzen, den Frieden und die Sicherheit des Volkes zu bedrohen und Chaos und Provokation zu betreiben".
CHP-Präsidentschaftsvorwahlen werden fortgesetzt
Die Verhaftung Imamoglus erfolgte nur wenige Tage vor seiner für Sonntag erwarteten Nominierung als Präsidentschaftskandidat der oppositionellen Republikanischen Volkspartei.
Der CHP-Vorsitzende Özgür Özel erklärte, dass die Vorwahl, bei der rund 1,5 Millionen Delegierte abstimmen können, wie geplant stattfinden wird.
Die Oppositionspartei hat die Bürger außerdem aufgefordert, am Sonntag an einer symbolischen Wahl teilzunehmen - durch improvisierte Wahlurnen, die überall in der Türkei aufgestellt werden sollen - um ihre Solidarität mit Imamoglu zu zeigen.
In einem Tweet, der kurz vor seiner Ankunft im Gerichtsgebäude gepostet wurde, forderte Imamoglu die Öffentlichkeit auf, die Wahlurnen für die Vorwahlen am Sonntag zu schützen: "Vergesst nicht: Sie haben große Angst vor euch und eurem demokratischen Wahlrecht."
In einer früheren Botschaft bezeichnete Imamoglu seine Verhaftung als "Staatsstreich" und beschuldigte die Regierung, die Justiz auszunutzen und Lage der angeschlagenen Wirtschaft des Landes zu verschlimmern.