Newsletter Newsletters Events Veranstaltungen Podcasts Videos Africanews
Loader
Finden Sie uns
Werbung

Wer hätte das gedacht? Deutsche haben weniger (!) Angst

Wovor haben die Menschen in Deutschland am meisten Angst? Der Angstindex 2025 gibt Antworten.
Wovor haben die Menschen in Deutschland am meisten Angst? Der Angstindex 2025 gibt Antworten. Copyright  JOCKEL FINCK/AP
Copyright JOCKEL FINCK/AP
Von Hans von der Brelie
Zuerst veröffentlicht am Zuletzt aktualisiert
Diesen Artikel teilen Kommentare
Diesen Artikel teilen Close Button

Große Überraschung bei der Vorstellung der neuesten Angst-Befragung am heutigen Donnerstag in Berlin: Der „Angstindex“ der Deutschen ist gesunken! Die bundesweite Großumfrage wird seit 34 Jahren durchgeführt und gilt als Gradmesser und Frühindikator gesellschaftlicher Verschiebungen.

WERBUNG

„Die Deutschen blicken weniger besorgt auf die Welt als im Vorjahr.“ So steht es fettgedruckt in der jetzt veröffentlichten Untersuchung „Die Ängste der Deutschen 2025“. Für die von der R+V Versicherung in Auftrag gegebenen Studie wurden 2.400 Menschen befragt. Wichtigstes Ergebnis der repräsentativen Umfrage: Der „Angstindex“, ein Durchschnittswert aller Aussagen rings um sorgenbefrachtete Themen wie Inflation, Krieg, Migration, Politik, Umwelt und Gesundheit, ist auf den zweitniedrigsten Stand seit 34 Jahren gefallen – von 42 Prozent im vergangenen Jahr auf jetzt nur noch 37 Prozent. 

R+V-Studie: Die Ängste der Deutschen - Langzeitvergleich
R+V-Studie: Die Ängste der Deutschen - Langzeitvergleich R+V Versicherung

Was sind die Gründe für den ungewohnten, wenn auch zaghaften Zukunftsoptimismus der Deutschen? Warum herrscht im Land weniger Angst, obwohl Russland seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine weiterführt, obwohl die US-amerikanische Zollpolitik Europa schweren Schaden zufügt, obwohl die Erderwärmung für immer mehr Menschen direkte Folgen hat, obwohl die deutsche Politik Probleme mit der nachhaltigen Finanzierung von Rente, Pflege und Gesundheitssystem hat?

Eine Erklärungsansatz lautet: Die Deutschen haben sich daran gewöhnt, dass es derzeit überall im Weltengefüge ächzt und kracht - und nehmen Schreckensmeldungen etwas gelassener auf als es früher der Fall war. Man könnte von einem Gewöhnungs- und Abstumpfungseffekt sprechen.

Die Menschen werden ständig mit multiplen Krisen konfrontiert, denen sie ohnmächtig gegenüberstehen.
Isabelle Borucki
Politikwissenschaftlerin

„Die Deutschen sind krisenmüde“, vermutet Professor Isabelle Borucki, die an der Philipps-Universität Marburg Politikwissenschaft lehrt und die Studie wissenschaftlich begleitet. „Die Menschen werden ständig mit multiplen Krisen konfrontiert, denen sie ohnmächtig gegenüberstehen. Die Deutschen haben sich an diesen Zustand gewöhnt“, so Borucki. Das bedeute nicht, dass die Menschen sorglos seien. „Vielmehr“, so Borucki, „richtet sich ihr Fokus auf das Hier und Jetzt – und besonders auf die eigene finanzielle Situation.“ 

Top-Angst: Mein Geld ist bald nichts mehr wert

Sieht man sich die Umfrage im Detail an, so trifft man einen alten Bekannten, die urdeutsche Angst vor Geldentwertung. Jeder zweite Deutsche fürchtet sich vor steigenden Lebenshaltungskosten. Bereits in den Studien der vergangenen Jahre belegte diese Sorge regelmäßig Top-Plätze im deutschen Angst-Ranking. 52 Prozent der Menschen rechnen damit, dass alles teurer wird, vom Shoppen im Supermarkt bis hin zu Wohnungskauf und Frisörbesuch. 

R+V Studie: Die Ängste der Deutschen - Sorge um Lebenshaltungskosten im Vergleich
R+V Studie: Die Ängste der Deutschen - Sorge um Lebenshaltungskosten im Vergleich R+V Versicherung

„Obwohl die Inflation abgeflacht ist, bleibt sie für die Deutschen ein Schreckgespenst“, meint Studienleiterin Grischa Brower-Rabinowitsch. „Sie spüren deutlich, wie die Preise für Energie, Nahrungsmittel und Dienstleistungen weiter anziehen.“ Wer sich die Umfragetabellen ansieht, stellt fest, dass das liebe Geld nach wie vor die meisten Sorgen und Ängste anzieht. Fast jeder Zweite hat Angst vor Steuererhöhungen und Leistungskürzungen (Platz drei im neuen deutschen Angst-Ranking), vor Mietwucher und exorbitanten Immobilienpreisen (Platz vier).

Wer soziale Sicherheit verspricht, muss auch verlässlich liefern, sonst entsteht Politikverdrossenheit.
Isabelle Borucki
Politikwissenschaftlerin

Politikwissenschaftlerin Borucki leitet aus den dürren Zahlen konkrete Handlungsempfehlungen an die deutsche Bundesregierung ab: „Sie muss das Vertrauen in ihre Finanzpolitik zurückgewinnen. Wer soziale Sicherheit verspricht, muss auch verlässlich liefern, sonst entsteht Politikverdrossenheit.“ Die Angst vor unbezahlbarem Wohnraum bewertet sie als sozialen Sprengstoff: „Der Wohnungsmarkt ist weiter hart umkämpft, es braucht mehr sozialen Wohnungsbau, mehr bezahlbares Eigentum und schnellere Genehmigungsverfahren“, so die Vorschlagsliste Boruckis.

R+V Studie: Die Ängste der Deutschen - Die Top 10
R+V Studie: Die Ängste der Deutschen - Die Top 10 R+V Versicherung

Platz 2 im Angst-Ranking: Kontrollverlust durch zu viel Migration

Geld- und Wirtschaftssorgen also auf Platz 1, 3 und 4. Und wer hat es diesmal auf Platz 2 im deutschen Angst-Ranking geschafft? Auch hier treffen wir einen alten Bekannten, die Angst vor Überfremdung und Kontrollverlust des Staates durch zu viel Migration. Das verwundert, liegen die aktuellen Migrationszahlen doch deutlich unter denen von 2016. 

Allerdings kommt Bewegung in die Umfragewerte, fast könnte man von einer Trendumkehr sprechen: Glaubte im vergangenen Jahr eine satte Mehrheit von 56 Prozent, der Staat sei mit der Zahl der Geflüchteten überfordert, so sind es diesmal „nur noch“ 49 Prozent. Wobei es immer noch einen großen Unterschied zwischen Ost- (hier liegt die Migrationsfurcht bei 56 Prozent) und Westdeutschland (47 Prozent) gibt. Auch die Angst vieler Deutscher vor Konflikten durch Zuwanderung ist immer noch relativ hoch - wenn auch tendenziell sinkend.

R+V Studie: Die Ängste der Deutschen - Angst vor Zuwanderung
R+V Studie: Die Ängste der Deutschen - Angst vor Zuwanderung R+V Versicherung

Donald Trump hat als Schreckgespenst ausgedient

Alles in allem aber ist ganz klar: Die Deutschen fürchten sich in diesem Jahr etwas weniger. Wer hat Angst vor Donald Trump? 2018 landete der US-Präsident noch als oberstes Schreckgespenst auf Platz 1 im Ranking (mit sagenhaften 69 Prozentpunkten auf der Angstskala), heute ist er abgerutscht auf Platz sechs. „Die nachlassende Trump-Angst der Deutschen lässt sich mit Abstumpfung, Ernüchterung und Resignation erklären“, bewertet Professor Borucki den Abstieg Trumps im Angst-Ranking.

Die nachlassende Trump-Angst der Deutschen lässt sich mit Abstumpfung, Ernüchterung und Resignation erklären.
Isabelle Borucki
Politikwissenschaftlerin

Bessere Noten für deutsche Politiker

Uns sonst? Die repräsentative Umfrage belegt einen leichten Vertrauensgewinn der Deutschen in die Politik! Die befragten Bürger durften Schulnoten verteilen. Gab es 2024 im Durchschnitt noch eine glatte 4,0 (für Opposition und Regierende), erhielten die Politiker diesmal eine 3,8. Boruckis Kommentar: „Auf diesem Ergebnis darf sich die Politik nicht ausruhen. Sie braucht das Vertrauen einer breiten Mehrheit, um das Land durch die komplexen Krisen zu führen.“

R+V-Studie: Die Ängste der Deutschen - Jahreszeugnis für Politiker und Politikerinnen
R+V-Studie: Die Ängste der Deutschen - Jahreszeugnis für Politiker und Politikerinnen R+V Versicherung

Aber auch bei anderen Themen zeigen sich die Deutschen in diesem Jahr (etwas) gelassener. Haben Sie Angst, dass die Spaltung der Gesellschaft zunimmt und zu Konflikten führt? Auf diese Frage antworteten nur noch 39 Prozent mit Ja (Platz zwölf) im Angst-Ranking), im Vorjahr waren es noch 48 Prozent (Platz sieben).

Kriegsangst bleibt hoch

Und was ist mit der Kriegsangst? Haben die Deutschen nach wie vor Angst, in die Kämpfe in der Ukraine mit hineingezogen zu werden? Diese Furcht bleibt hoch (41 Prozent, Platz 9). 

Überraschend: Trotz europaweiten Hitzerekorden, Überschwemmungen, Waldbränden, Baumsterben, Bergrutschen, Gletscherschmelzen, trotz Dürren, Grundwassermangel und einem sich beschleunigendem Artensterben ist die Angst vor Umweltproblemen auf der Angstskala NICHT ganz oben – sondern abgerutscht auf Platz 16! Hatten im Jahr 2010 noch 64 Prozent der Deutschen Angst vor Klimakrise und Umweltproblemen, sind es in diesem Jahr nur noch 36 Prozent.

Zu den Barrierefreiheitskürzeln springen
Diesen Artikel teilen Kommentare

Zum selben Thema

Inflation, Jobängste, Unsicherheit: Verbrauchervertrauen auf Tiefstand

Inflation der Eurozone fällt im Mai unter das 2%-Ziel der EZB: Zinssenkung in Sicht?

Umfrage: Wer hat Angst vor Trump?