Populismus-Expertin Diehl: "Populismus hat auch positive Seiten"

Populismus-Expertin Diehl: "Populismus hat auch positive Seiten"
Von Euronews
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Populismus muss nicht immer etwas Schlechtes sein. Das sagt die Politikwissenschaftlerin und Populismusforscherin Paula Diehl von der Humboldt-Universität in Berlin. Wir haben mit ihr gesprochen.

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Populismus muss nicht immer etwas Schlechtes sein. Das sagt die Politikwissenschaftlerin und Populismusforscherin Paula Diehl von der Humboldt-Universität in Berlin. So könne er zu Korrekturen in politischen Systemen führen und dazu beitragen, dass sich die Menschen stärker einbringen. Gleichzeitig warnt sie aber auch davon, dass Populismus die komplexe Realität zu sehr vereinfacht.

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Frau Diehl, Sie haben gesagt, Populismus mische sich mit der Demokratie. Das klingt erst mal nach einem Widerspruch. Wie meinen Sie das?

Paula Diehl
Populismus knüpft an einen demokratischen Kern an, nämlich an die Souveränität des Volkes. Diese Souveränität ist ein zentrales Prinzip der Demokratie, und an sie knüpft der Populismus an. Seine Hauptforderung ist, diese Macht zurück zum Volk zu bringen. Allerdings basiert der Populismus auf einer antagonistischen Aufteilung zwischen Volk und Elite. Fast immer lautet im Populismus der Vorwurf, dass die Elite – und dazu gehören auch die etablierten Politiker, Eliten und Politiker werden in einen Topf geschmissen – Verräter des Volkswesens seien, die gerade dabei wären, die Macht zu usurpieren und das Volk zu missachten. Und da zeigt der Populismus eine ambivalente Haltung gegenüber der Demokratie: Er kann durchaus zu Korrekturen führen, wenn es darum geht, mehr Kontrolle der Repräsentanten durch die Bürgerinnen und Bürger, mehr Transparenz oder mehr Partizipationsmöglichkeiten zu fordern. Das ist die positive Seite. Die negative ist, dass der Populismus eine sehr stark reduktionistische Sicht propagiert, bei der dann komplexe Zusammenhänge immer unter den Tisch fallen. Die Realität wird auf sehr verkürzte Art und Weise dargestellt, und zwar mit dem Argument, dass alles andere eine Verkomplizierung der Eliten sei, um das Volk zu betrügen. Durch die extreme Vereinfachung, die Schwarz-Weiß-Malerei und durch die antagonistische Rhetorik verlieren wir an Komplexität. In einer komplexen Gesellschaft wie der unseren ist das ein Problem.

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Ist es aber nicht auch zulässig, dass man die Komplexität der Realität für die Bürger vereinfacht?

Paula Diehl
Das ist die positive Seite, aber es gibt eben eine negative Seite, die schädlich für die Demokratie ist: Durch diese Vereinfachungen tut man so, als ob der Wille des Volkes einheitlich wäre, und dass dieser Wille des Volkes durch die Populisten praktisch eins zu eins zurückgegeben würde. Wir wissen aber: Das Volk ist plural. Das Volk ist nicht nur einer Meinung. Es gibt mehrere Meinungen, und die Demokratie ist der Prozess der Auseinandersetzung mit diesen verschiedenen Meinungen und Interessen, um eine Lösung zu finden, die mehr oder weniger von allen akzeptiert wird. Das heißt, wenn man nur eine einzige Meinung oder eine einzige Art, die Realität darzustellen, als DIE Art darstellt, dann hat man ein Problem, denn so verschwinden diese ganzen unterschiedlichen Prozesse, die in der Demokratie ablaufen.

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Populismus ist also nicht nur etwas Schlechtes. Ist da was dran?

Paula Diehl
Ich glaub schon, dass was dran ist, und die positiven Effekte des Populismus könnten sein, dass die Bürgerinnen und Bürger sich als Akteure begreifen, das heißt, dass sie sehen, sie haben eine Rolle zu spielen, und sie können etwas bewirken. So kann es zu einem Prozess der Politisierung kommen. Das, was wir aber in Nordeuropa haben, ist eine Mischung von Populismus und rechtsextremistischen Ideologien, der Rechtspopulismus. Das ist etwas ganz anderes und beinhaltet keine positiven Effekte des Populismus mehr. Es hat vielmehr eine sehr problematische Wirkung auf die Öffentlichkeit.

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Wo trifft denn die Kritik der Populisten?

Paula Diehl
Es gibt eine ganze Menge Kritik. Wir haben seit ein paar Jahren innerhalb der Politikwissenschaft den Begriff der “Post-Demokratie”, der von Colin Crouch lanciert wurde. Für ihn sind wir in einer Krise der Demokratie, bei der die Institutionen zwar von außen so aussehen, als ob sie intakt wären, sie agieren aber nicht mehr im demokratischen Sinne – und sie verlieren tatsächlich den Zugang zum Volk. Als Beispiel beschreibt Crouch den Lobbyismus, der ohne Kontrolle der Bürgerinnen und Bürger eine direkte Beeinflussung der Politik erreicht. Ich denke, die Verhandlung von TTIP in Deutschland ist ein gutes Beispiel dafür: Die Kontrolle durch das deutsche Parlament wurde kaum gewährleistet. Denken Sie nur an die Bedingungen, unter denen die Abgeordnete sich die Dokumente ansehen konnten. Ein solcher wichtiger Vertrag müsste sogar der Öffentlichkeit präsentiert werden.

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Was ist dann dabei die Rolle der Populisten?

Paula Diehl
Der Populismus spricht wichtige Probleme an, aber er formuliert die Fragen schief. Das ist ja das Problem, denn die Debatten werden dann in andere Orte verlagert. Wenn Sie sich etwa den Rechtspopulismus in Deutschland anschauen, der übrigens einen korrosiven Effekt auf der Demokratie hat, dann wird das deutlich. Hier wird die Debatte um die soziale Ungleichheit verlagert geführt. Die Schere zwischen Arm und Reich hat in den reichen Gesellschaften wie unseren zugenommen, die Rente sieht unsicher aus, das löst eine ganze Menge Spannung aus. Doch die Rechtspopulisten verlagern die Debatte auf die kulturelle Identität. Anstatt zu diskutieren, wie der Kuchen besser verteilt werden kann, kanalisiert man die Ängste auf Ausländer oder Flüchtlinge, die uns einen Teil dieses Kuchens wegnehmen können.

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Nun gibt es aber auch das Gegenargument: In den letzten Jahren sind immer mehr Menschen aus der Armut geholt worden und auch in Deutschland und Europa geht es den meisten sehr gut.

Paula Diehl
Verglichen mit anderen Orten der Welt geht uns sehr gut sogar. Aber ich glaube, es geht nicht so sehr um absolute, sondern um relative Armut. In Deutschland geht es nicht so sehr darum, ob man verhungert oder nicht. Wir leben in einer reichen Welt. Es geht darum, wie sich die Schichten zueinander verhalten, welche Möglichkeiten man hat, aufzusteigen, welche Möglichkeiten man hat, im öffentlichen Raum dieselben Ressourcen zu verwenden. Ich glaube, da ist die relative Armut eher der Begriff, der unsere Situation in Europa besser erklärt. Und diese relative Armut hat zugenommen. Wenn ich mich nicht irre, ist jedes sechste Kind in Deutschland von Armut bedroht. Das heißt, dass diese Kinder nicht in gleichem Maße an Klassenfahrten, an Geburtstagen und an kulturellen Aktivitäten teilnehmen können wie die anderen.

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Können Sie als Populismusforscherin einen Blick in die Zukunft werfen und sagen, wie sich das Phänomen entwickeln wird?

Paula Diehl
Einen Blick in die Zukunft kann ich nicht wagen. Aber es gibt Hoffnung, dass sich die Zivilgesellschaft dagegenstellt. Ich merke in Deutschland, dass es viele kleine Initiativen von jungen und älteren Leuten gibt, die sagen, wir können das nicht so hinnehmen, wir müssen etwas dagegen tun. Und ich glaube, zivilgesellschaftliches Engagement wäre genau die Antwort. Es wäre auch wünschenswert, dass die Politik etwas anbieten würde, aber dafür müssen sie Visionen oder zumindest politische Projekte und Veränderungen anbieten.

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