Unterricht per Mail: Viele Schüler:innen und Lehrer:innen sind genervt

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Von Verena Schad
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Die Öffnungen von Schulen und Kitas sind ein umstrittenes Thema, das hitzig bis emotional diskutiert wird #wechselunterricht #LasstDieSchulenUndKitasZu #distanzunterricht

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Die Öffnungen von Schulen und Kitas sind ein besonders umstrittenes Thema, das in ganz Deutschland hitzig bis emotional diskutiert wird, vor allem in den sozialen Netzwerken. Ist die Schulöffnung eine gute Idee? Euronews hat mit zwei Lehrer:innen gesprochen.

Nach dem Beschluss des Corona-Gipfels bleiben die Schul- und Kitaöffnungen Ländersache. 

Klar ist aber: Einige Länder werden bereits ab dem 15. Februar schrittweise mit dem Präsenzunterricht beginnen, zunächst nur die Grundschulen, im Wechselunterricht und mit einem strikten Hygieneprotokoll. Die meisten Bundesländer wollen ihre Schulen am 22. Februar peu à peu wieder aufmachen.

Bei Twitter trenden in den letzten Tagen Hashtags wie #wechselunterricht oder #LasstDieSchulenUndKitasZu. Unter welchen Bedigungen kann Unterricht stattfinden, ohne die mühsam gedrückte Inzidenz-Zahl wieder nach oben schnellen zu lassen und eine dritte Welle zu riskieren? Die Kultusministerien wollen in den kommenden Tagen vorstellen, wie der Präsenzbetrieb gestaltet sein soll.

Besorgte Eltern regen sich entweder über eine verfrühte Öffnung auf oder aber, es kann ihnen mit der Rückkehr auf die Schulbank nicht schnell genug gehen.

Depressive Verstimmungen und Vereinsamung bei Kindern

Von depressiven Verstimmungen und Vereinsamung bei Kindern hatte Bundesfamilienministerin Franziska Giffey zuletzt gesprochen, besonders in sozialen Brennpunkten. Für sie sei eine baldige Öffnung von Schulen und Kitas deshalb dringend notwendig.

Thomas Rippe, Geschichtslehrer an einer integrierten Gesamtschule in Niedersachsen, kann das zum Teil bestätigen. "Ich habe Schüler, die damit zu kämpfen haben. Sie leiden unter Antriebslosigkeit, sprechen davon, dass ihnen die Decke auf den Kopf fällt, weil für sie gefühlt jeder Tag gleich ist oder sie nicht in der Lage sind, ihren Tag selbst zu strukturieren. Das führt in Einzelfällen zu großem Frust."

Der 34-Jährige hat mit Schüler:innen im Alter von 14 bis 18 zu tun. Für einige von ihnen sind die Schuljahre 2020/2021 entscheidend, es geht um eine berufliche Orientierung oder die Vorbereitung auf das Abitur. Aber auch bei kleineren Kindern können Lehrer:innen Veränderungen beobachten.

Kinder brauchen die Schule als Ventil und Ort der Begnung

An einer Grundschule in Lübeck in Schleswig-Holstein erlebt Lehrerin Sophie Dierking häufig bereits bei Kindern im Alter von sechs bis zehn Jahren eine gewisse Resignation - ein Alter in dem Motivation und Lernfreude von großer Bedeutung für die weitere Entwicklung sind. "Psychische Belastungen sind bei einigen Kindern deutlich erkennbar. Es gibt Familien, die gerade große Probleme haben, zum Beispiel eine Trennung im Corona-Jahr, finanzielle Sorgen, diese Kinder haben ohne die Schule keine Ablenkung, sie haben kein Ventil in ihrer kleinen Blase."

Die Schule ist für diese Kinder in besonderem Maße wichtig als Ort der Begegung und nicht nur als Lernort, so die 30-jährige Lehrerin.

Unterricht in Mail-Form - "Der Gedanke läuft völlig fehl!"

Andere wiederum seien dankbar, dass die Kinder gerade zu Hause sind, Familen mit mehren Kindern und eigenem Haus. Ihr Nachwuchs mache gerade große Fortschritte was Lesen und andere Fährigkeiten angehe, weil sie zu Hause eine 1:1-Betreuung bekämen. Eine Aufmerksamkeit, die eine Lehrkraft mit 20 Kindern normalerweise nicht leisten könne.

"Ich habe Schüler, die zwar gut mit dem Home-Schooling klarkommen", sagt Lehrer Thomas Rippe, "und ihre Aufgaben in wesentlich kürzerer Zeit als vom Lehrer veranschlagt erledigen können, aber auch diese Schüler sind genervt und frustriert, weil ihnen der Umgang mit Gleichaltrigen und ihren Lehrern fehlt."

"Der Gedanke, man könne durch Aufgabenformate in Mail-Form den 'normalen Unterricht' ersetzen, läuft vollkommen fehlt."

Schutzkonzept des Bildungsministeriums: Wechselunterricht, Lüften, Masken

Wissenschaftler:innen halten das Risiko einer Schulöffnung mit strengen Hygieneauflagen für beherrschbar. Das Bildugsministerium hatte in der vergangenen Woche ein Schutzkonzept vorgeschlagen. Dazu gehören, dass Klassen und Jahrgänge in Kohorten eingeteilt werden sollen, die sich nicht begegnen, Wechselunterricht soll es geben, OP-Masken und FFP2-Maske bei hohen Risiko für schwere Verläufe, festgeschriebene Lüftungsintervalle oder besser, moderne Lüftungsanlagen.

Sophie Dierking ist dafür, die Schulen zu öffnen, nicht aber, dass die ganze Klasse in den Klassenraum zurückkommt - also, der sogenannte Wechselunterricht. Die Kinder kämen ihr automatisch nahe, sie sei nicht geschützt. Physische Nähe ist ein Grundbedürfnis von kleinen Kindern.

Frühere Impfungen für Lehrer:innen und Erzieher:innen sind dringend notwendig

"Ich habe in meiner Klasse relativ viele auffällige Kinder, die viel Nähe brauchen, es ist fast unmöglich, diese Nähe nicht zuzulassen. Kinder weinen, wollen in den Arm genommen werden."

Sie sei dafür, das Lehrer:innen und Erzieher:innen schneller geimpft werden, besonders solche, die mit kleinen Kindern zusammenarbeiten.

Lehrkräfte und Erzieher:innen sollen bei der Corona-Impfungen in der Priorität aufrücken. Bund und Länder wollen prüfen, ob die Berufsgruppe in die Impfgruppe 2 aufsteigen und schneller geimpft werden kann. Bis dahin soll intensiv getestet werden. Bildungsministerin Giffey hat eine Taktung von zwei Tests pro Woche vorgeschlagen.

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Homeschooling: Bildungsschere vergrößert sich, Kinder fallen durch Raster

Die älteren Schüler:innen sollen allerdings erst mal im Distanzunterricht bleiben. Und dieser verschärft die bereits existierende Bildungsungleichheit in Deutschland, dieses Fazit ziehen die Studienautoren einer Umfrage der Landeselternkonferenz Nordrhein-Westfalen unter 22.000 Eltern in NRW.

Die Umfrage zeigte unter anderem, dass ausgerechnet die Schulformen mit den größten pädagogischen Herausforderungen technisch am schlechtesten für das Homeschooling ausgestattet sind. Demnach haben nur 30 Prozent der Haupt- und Realschüler Zugang zu digitalen Geräten, 60 Prozent sind es bei GymnasiastInnen. Über alle Schulformen hinweg, hätte etwa jede/r vierte Schüler:in nur einmal die Woche oder nie Kontakt zu seinen Lehrern.

Bildungsexperten fürchten, dass die Corona-Pandemie bei einem Drittel aller Schülerinnen und Schüler zu Bildungsrückständen führen könnte. Das könnte für die Schüler:innen von Thomas Rippe der Fall sein, die sich dem aktuellen Corona-Gipfel-Beschluss wahrscheinlich noch eine mit dem Unterricht aus der Ferne begnügen müssen. "Kinder aus bildungsfernen Milieus fallen dann einfach durchs Raster", so der Lehrer.

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