Wer sind Frankreichs Impfgegner und was wollen sie?

Impfgegner demonstrieren in Paris, Samstag, 17.07.2021
Impfgegner demonstrieren in Paris, Samstag, 17.07.2021 Copyright Michel Euler/AP
Von Sandrine Amiel mit AFP, AP
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In Frankreich gibt es eine starke Anti-Impf-Bewegung. Wer steckt dahinter?

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Der pensionierte Universitätsprofessor Bruno Courcelle gehörte zu der Menschenmenge, die an zwei aufeinanderfolgenden Wochenenden auf in Frankreich auf die Straße ging, um gegen die neue COVID-19-Impfpolitik der Regierung zu protestieren.

"Ich bin gegen die Impfung, aus medizinischen Gründen - vor allem wegen der Sicherheit und dem schwachen Schutz - als auch aus politischen Gründen, weil der Impfstoff uns aufgezwungen wird", sagte Courcelle gegenüber Euronews.

"Und wenn man gegen die Impfungen ist, ist man logischerweise auch gegen die Impfpflicht".

Nach einem neuen Gesetz, das am vergangenen Montag vom französischen Parlament verabschiedet wurde, wird die Impfung für Mitarbeiter:innen des Gesundheitswesens obligatorisch, während die Bürger:innen für die meisten öffentlichen Orte, einschließlich Restaurants und Cafés, einen Gesundheitspass vorlegen müssen.

Courcelle hat eine Online-Petition gestartet, die zum Boykott aller Unternehmen aufruft, die den Gesundheitspass verlangen. Er führe zu einer Gesellschaft der "allgemeinen Überwachung" und zur "Diskriminierung" zwischen Geimpften und Ungeimpften, meint er.

Präsident Emmanuel Macron und seine Regierung behaupten, die neuen Regeln seien notwendig, um die durch die ansteckende Delta-Variante ausgelöste Welle von Neuinfektionen einzudämmen.

Die Proteste gegen die umstrittenen Maßnahmen haben an Fahrt aufgenommen. Am 17.Juli demonstrierten landesweit 100.000 Menschen, am Samstag waren es rund 160.000.

Viele der Demonstranten erklärten, sie wollten einfach nur ihre individuelle Freiheit verteidigen.

"Wenn ich mich am 15. September nicht impfen lasse, verliere ich meinen Job. Man hat mir gedroht, mich zu entlassen. Ich bin heute hier, um mich für die Freiheit zu entscheiden, ob ich geimpft werden will oder nicht", sagte Céline Augen, Sekretärin in einer Arztpraxis, bei einer der Pariser Demonstrationen.

Andere wiesen darauf hin, dass sie die Zulassung der COVID-19-Impfung für vorschnell halten.

"Wir befinden uns noch in der Phase der klinischen Versuche. Wir wissen nicht, ob es mittel- und langfristig Nebenwirkungen geben wird, weder bei Erwachsenen noch bei Kindern und Jugendlichen", sagte die zweifache Mutter Claudine Nasso Gomo-Joly gegenüber der Nachrichtenagentur AP, als sie in der französischen Hauptstadt demonstrierte.

Andere Slogans und Schilder setzten die neuen Maßnahmen mit den Gräueltaten der Nazis gleich und lösten Wut und Empörung aus. Einige Demonstrant:innen trugen sogar gelbe Sterne, die an die Sterne erinnern, die die Nazis während des Zweiten Weltkriegs den Juden aufzwangen.

Wer sind die Bürger, die gegen Frankreichs Impfpolitik protestieren, und wofür stehen sie?

Die Proteste gegen den Gesundheitspass zogen eine bunte Mischung von Menschen an, die aus unterschiedlichen Gründen wütend auf die Regierung sind.

Beschäftigte im Gesundheitswesen

Obwohl die Mehrheit der medizinischen Fachkräfte mindestens eine Impfdosis erhalten hat, wehren sich einige gegen die Entscheidung der Regierung, die Impfung für das gesamte Personal in Gesundheitseinrichtungen zur Pflicht zu machen.

Weiße Blusen waren daher bei den jüngsten Protesten besonders gefragt.

Auf der Demonstration in Paris sagte eine 39-jährige Laborantin eines Krankenhauses, dass sie möglicherweise einen gefälschten Impfpass kaufen würde, um ihren Arbeitsplatz nicht zu verlieren.

Eine als Freiheitsstatue verkleidete Mitarbeiterin des Gesundheitswesens bezeichnete es als "Gewaltakt", Menschen zur Impfung zu zwingen.

Michel Euler/AP
Angestellte im Gesundheitswesen auf einer Demonstration in Paris, 17.07.2021Michel Euler/AP

Mehrere französische Ärzt:innen haben in der Anti-Impf-Bewegung eine wichtige Rolle gespielt. Louis Fouché zum Beispiel, ein Arzt, der auf einer Intensivstation in Marseille arbeitet. Er hat ReinfoCovid gegründet, eine Gruppe von Medizinern, die der Impfung gegen Coronaviren und anderen Pandemie-Maßnahmen skeptisch gegenüberstehen.

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Die Gruppe sagt, sie habe "sehr viele Beitrittsanfragen" erhalten und "unsere Anhängerschaft wird von Stunde zu Stunde größer", seit Präsident Emmanuel Macron Anfang des Monats die neuen Regeln angekündigt hat.

RéinfoCovid hat nicht auf Euronews' Interview-Anfrage reagiert.

Rechtsextreme Unterstützer

Tausende von Menschen folgten dem Aufruf von Florian Philippot, einem rechtsextremen Politiker und der früheren rechten Hand von Marine Le Pen, der Anfang des Monats ankündigte, dass er bei den Präsidentschaftswahlen 2022 kandidieren werde.

Courcelle sagte Euronews, er sei Mitglied der rechtsgerichteten Partei Debout La France ("Steh auf Frankreich"), die zu Protesten aufgerufen hat.

Le Pens viel größere Partei Rassemblement National (RN) hat sich ebenfalls gegen den Gesundheitspass ausgesprochen.

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"Wenn Sie ein Migrant sind, der illegal nach Frankreich einreisen will, ist das kein Problem, aber die Regierung schickt die Polizei, um Franzosen zu kontrollieren, die draußen einen Kaffee trinken wollen? In welche Welt führt uns Emmanuel Macron?! ", sagte Sebastien Chenu, Sprecher der RN, im französischen Fernsehen.

Als Reaktion auf die Tatsache, dass einige der Demonstranten den gelben Stern trugen, sagte Philippot: "Das sollte man nicht tun", fügte aber hinzu, dass dies "nicht repräsentativ" für alle Demonstrant:innen sei.

Nach Ansicht von Courcelle ist die Betonung des gelben Sterns nur "eine von Macrons Strategien, um die Bewegung zu delegitimieren".

Prominente französische Rechtsextremisten wurden in der Vergangenheit wegen Antisemitismus, Rassismus und Leugnung des Holocausts verurteilt.

Auch andere politische Randbewegungen waren bei den jüngsten Protesten stark vertreten. Ein 24-jähriger Royalist sagte der Nachrichtenagentur AP, er sei dort, um "die Rückkehr Gottes und des Königs" zu fordern.

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Gelbwesten

Nach einer langen Pandemiepause sind die Gelbwesten wieder auf die Straße gegangen, um gegen den COVID-19-Pass der Regierung und die ihrer Meinung nach bestehende "Gesundheitsdiktatur" zu protestieren.

Auf den Facebookseiten der Bewegung wurde mehrfach zu Demonstrationen aufgerufen.

Die Bewegung begann im Herbst 2018 aus Protest gegen eine Erhöhung der Treibstoffsteuer, die nach Ansicht der Demonstrant:innen die ärmsten Franzosen bestrafte.

"Geimpft oder nicht, wir hungern! Geimpft oder nicht geimpft, wir verlieren unsere Freiheiten! ", skandierte Jérôme Rodrigues, eine prominente Figur der Gelbwesten-Bewegung, bei der Demonstration in Paris.

Proteste über spezifische Gruppen hinaus

Wie die Gelbwesten hat sich auch die Bewegung gegen den Gesundheitspass die sozialen Medien zunutze gemacht, um breite Teile der französischen Gesellschaft zu erreichen.

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Auf Facebook haben die größten Gruppen, den "Anti-Gesundheitspass" und "Nein zum obligatorischen Gesundheitspass in Frankreich" über 175.000 bzw. 98.000 Mitglieder.

In einer der Gruppen äußerte eine Nutzerin ihre Zweifel, ob sie sich an die Einschränkungen für Ungeimpfte gewöhnen könne.

"Ich werde mich darauf einstellen müssen, keinen Film mehr im Kino zu sehen, keine Fernreisen mehr zu unternehmen und den Zug zu nehmen. Nicht mehr in ein Einkaufszentrum zu gehen. Nicht mehr ins Restaurant zu gehen. Nicht mehr in eine Bar zu gehen", schrieb sie. "Werde ich mich daran gewöhnen? Ich habe da so meine Zweifel", fügte sie hinzu.

Laut einer Gruppe französischer Soziologen, die die Impfmüdigkeit in Frankreich untersucht haben, sind Frauen der COVID-19-Impfung eher abgeneigt als Männer.

"Dies könnte darauf zurückzuführen sein, dass Frauen sich mehr Sorgen über die möglichen Auswirkungen einer Impfung in ihrem Körper machen, insbesondere im Alter der Mutterschaft, und dass sie aufgrund ihrer differenzierten Sozialisation empfindlicher auf langfristige Risiken reagieren als Männer und einem schnellen technologischen Wandel gegenüber ängstlicher sind", schreiben die Forscher.

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Soziale Ungleichheit spielt ebenfalls eine große Rolle bei der Impfzurückhaltung, so die Forscher.

"Wir haben auch festgestellt, dass Menschen am unteren Ende der sozialen Hierarchie, was das Bildungsniveau, die finanziellen Mittel und den Einwanderungsstatus betrifft, die Corona-Impfung eher ablehnen", schreiben sie.

Wie werden sich die neuen Vorschriften auf die Anti-Impfbewegung auswirken?

Impfskeptiker wie ReinfoCovid berichten, dass ihre Mitgliederzahlen seit der Ankündigung der neuen Impfvorschriften durch die Regierung in der vergangenen Woche stark gestiegen sind.

Meinungsumfragen zufolge befürwortet jedoch eine Mehrheit der französischen Bürger den neuen Gesundheitspass. 58 Prozent der Französinnen und Franzosen befürworten die Ausweitung des Gesundheitspasses auf Cafés und Restaurants, während 66 Prozent den Zugang zu Kultureinrichtungen befürworten.

Seit Macrons Ankündigungen Anfang des Monats ist die Zahl der Impfungen in Frankreich - nach einer deutlichen Verlangsamung in den letzten Wochen - sprunghaft angestiegen.

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Während Frankreich traditionell zu den impfskeptischsten Ländern der Welt gehört, ist die Zurückhaltung bei der COVID-19-Impfung seit Anfang des Jahres deutlich zurückgegangen. Rund 60 Prozent der französischen Bevölkerung haben inzwischen mindestens eine COVID-19-Impfung erhalten.

Laut Courcelle sinkt die Impfbereitschaft, "weil die Regierung die Menschen mit Angst manipuliert", wobei die Fernsehsender als "Komplizen" fungieren: "Angst scheint wirksam zu sein", betonte er.

Die Behörden befürchten, dass sich die Anti-Impf-Bewegung radikalisieren könnte, da der Widerstand gegen die neue Impfpolitik wächst.

Am Samstag wurden zwei Journalisten, die für den öffentlich-rechtlichen Sender France 2 arbeiteten, in der südlichen Stadt Marseille von Demonstrant:innen gejagt und verprügelt. Ein Reporterkollege zeigte Aufnahmen von dem Vorfall in den sozialen Medien.

Am vergangenen Wochenende haben Randalierer zwei Impfzentren im Südwesten Frankreichs angegriffen. Eines wurde in Brand gesteckt, ein anderes mit Graffiti beschmiert, darunter ein Verweis auf die Nazi-Besetzung Frankreichs.

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Innenminister Gérald Darmanin forderte am Montag die Polizei auf, den Schutz von Abgeordneten zu verstärken, nachdem viele von ihnen Drohungen von militanten Impfgegnern erhalten hatten.

Alexandre Freschi, ein Abgeordneter von Macrons Partei La République en Marche, postete einige der Drohungen, die er erhielt, auf seiner Facebook-Seite.

"Ich bin bis an die Zähne bewaffnet. Seien Sie vorsichtig, wofür Sie bei der Abstimmung über den Gesundheitspass stimmen, drücken Sie besser nicht den falschen Knopf", schrieb der anonyme Absender.

Der Verfassungsrat soll bis zum 5. August über die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes entscheiden.

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