Die europäische Automobilindustrie befindet sich in einer Krise. Der Vorstandsvorsitzende von Mercedes-Benz und ACEA-Präsident Ole Källenius äußert sich in einem Exklusiv-Interview mit Euronews zur Zukunft der Branche.
Wie EU-Industriechef Stéphane Séjourné kürzlich eindringlich warnte - die europäische Automobilindustrie ist "in tödlicher Gefahr".
Stotternde Verkäufe, hohe Energiepreise, wachsender globaler Wettbewerb und ein unsicheres regulatorisches und handelspolitisches Umfeld haben den Sektor in eine tiefe Krise gestürzt.
Um die drängendsten Herausforderungen anzugehen, wird EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Freitag hochrangige Führungskräfte der Automobilindustrie in Brüssel zu Krisengesprächen empfangen.
Es ist das dritte und letzte Krisentreffen dieser Art in diesem Jahr, das die Kommission als "Strategischen Dialog über die Zukunft der Automobilindustrie" bezeichnet.
Aber können Krisengespräche wie diese die Katastrophe abwenden, vor der viele Branchenvertreter gewarnt haben - oder ist es mit Europas Rolle in der globalen Automobilproduktion vorbei?
Euronews sprach mit Ole Källenius, dem Präsidenten des Europäischen Automobilherstellerverbandes (ACEA) und CEO von Mercedes-Benz, der seine Gedanken zu den drei wichtigsten Fragen rund um die Automobilindustrie des Kontinents und dessen Zukunft mit uns teilte.
Euronews: Verlangt die Automobilindustrie eine Umkehrung der EU-Emissionsziele?
Ole Källenius: Wir stehen voll und ganz hinter dem Ziel der Null-Emissionen - aber es gibt einen besseren Weg dorthin.
Niemand hat ein größeres Interesse am Erfolg von Elektroautos als die europäische Automobilindustrie.
Wir als Hersteller haben bereits Hunderte von Milliarden in Investitionen gesteckt und Hunderte von emissionsfreien Modellen auf den Markt gebracht.
Die Welt hat sich jedoch weiterentwickelt, und auch die Politik und die Gesetzgebung müssen sich weiterentwickeln.
Deshalb plädieren wir für eine pragmatische Neukalibrierung des CO₂-Reduktionspfads.
Dabei geht es nicht darum, unsere Ziele aufzugeben, sondern sie an die aktuellen Marktgegebenheiten, wirtschaftlichen Bedingungen und geopolitischen Gegebenheiten anzupassen.
Euronews: Welche Faktoren verlangsamen den Übergang zu grüner Mobilität?
Källenius: Was wir in der aktuellen Situation brauchen, sind starke Fördermaßnahmen, darunter eine robuste Ladeinfrastruktur, sinnvolle Verbraucheranreize und eine deutliche Verbesserung unserer Energienetze.
Außerdem müssen die hohen Strom- und Energiekosten deutlich gesenkt werden, da sie sich direkt auf die Attraktivität und Zugänglichkeit der Elektromobilität für den Durchschnittsverbraucher auswirken.
Dies sind keine trivialen Probleme, sondern systemische Herausforderungen, die eine gemeinsame Anstrengung von Politikern, Energieversorgern und der Industrie erfordern, um das volle Potenzial der Elektromobilität zu erschließen. Wir sind bereit, unseren Teil dazu beizutragen, aber das Ökosystem muss sich parallel dazu weiterentwickeln.
Euronews: Was ist notwendig, um einen erfolgreichen Übergang zur grünen Mobilität zu gewährleisten?
Källenius: Es beginnt mit einer ganzheitlichen und pragmatischen EU-Strategie, die über die reinen CO2-Ziele hinausgeht und das große Ganze im Blick hat.
Wir brauchen eine einfachere, flexiblere Regulierung, weniger Bürokratie, realistische Zielvorgaben, langfristige, konsistente Anreize, um die Akzeptanz bei den Verbrauchern zu fördern, sowie die Möglichkeit der Technologieneutralität.
Letztlich muss die Klimapolitik in die umfassenderen Ziele der EU zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit, der Schaffung von Arbeitsplätzen und der strategischen Autonomie integriert werden.