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Russischer Kriegsdienstverweigerer: Trotz Folter kein Asyl

Russische Soldaten mit Präsident Wladimir Putin im Mandryk Central Militär-Krankenhaus in Moskau, Russland, 29. Oktober 2025
Russische Soldaten mit Präsident Wladimir Putin im Mandryk Central Militär-Krankenhaus in Moskau, Russland, 29. Oktober 2025 Copyright  AP Photo
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Von Laura Fleischmann
Zuerst veröffentlicht am
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Russland lockt Rekruten mit hohen Prämien und irreführenden Jobangeboten. Experten warnen vor verdeckten Rekrutierungsstrategien. Betroffene suchen Schutz in Deutschland – und scheitern.

Sieben Tage brauchte Artem Klyga, um Russland zu verlassen. Von Moskau aus nahm er zehn Züge, um dem Dienst an der Front zu entkommen. Der Rechtsanwalt verweigerte in Russland den Kriegsdienst, half als Experte für Militärrecht und Aktivist anderen, dasselbe zu tun. Doch dann begann Russland im großen Stil zu mobilisieren. "Ich hatte für mich entschieden: Ich bleibe nur, bis ich eine reale Bedrohung für mein Leben und meine Gesundheit sehe", erklärt Klyga im Gespräch mit Euronews.

"Ich arbeitete damals mit anti-kriegsorientierten unabhängigen Lokalpolitikern zusammen. Wir zogen viel Aufmerksamkeit auf uns. Es gab einen Versuch der Polizei, mich zur Armee zu schicken. Rechtlich wäre das anfechtbar gewesen, aber ich wollte es nicht riskieren – also floh ich nach Usbekistan." Mehr als 2.000 Kilometer sind es für Klyga von Moskau bis an die usbekische Grenze, bis in die Sicherheit.

Von dort aus beantragte Klyga ein humanitäres Visum für Deutschland. Zahlreiche Unterlagen sammelte er zusammen, wies seine Arbeit als Anti-Kriegsdienst-Aktivist nach. Klyga bekam das Visum, den Befreiungsschlag, so wie etwa 2.150 russische Staatsangehörige seit Beginn des groß angelegten russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine. Sie alle eint eine nachgewiesene besondere Gefährdungssituation.

Aufnäher eines russischen Soldaten, der im Krieg gefallen ist, Kyjiw, Ukraine, 23. Juni 2025
Aufnäher eines russischen Soldaten, der im Krieg gefallen ist, Kyjiw, Ukraine, 23. Juni 2025 Copyright 2025 The Associated Press. All rights reserved

Abgelehnte Asylanträge

Deutlich schwieriger ist es für russische Männer, die in Deutschland Asyl beantragen. Von Anfang 2022 bis Oktober 2025 stellten 6.747 russische Männer zwischen 18 und 45 Jahren einen Asylantrag in Deutschland. In demselben Zeitraum wurden 353 als Asylberechtigte oder Flüchtlinge anerkannt. 3.370 Anträge wurden abgelehnt, 2.165 erledigten sich, weil es sich beispielsweise um Dublin-Fälle handelt, für deren Asylanträge andere Länder zuständig sind, wie das BAMF Euronews mitteilt. Allerdings würden nicht alle Anträge und Ablehnungen im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine stehen.

"Die neue deutsche Regierung verfolgt eine politische Linie, in der behauptet wird, Russland nutze nur Berufssoldaten und es gebe keine Risiken für russische Asylsuchende", betont der Rechtsanwalt. "Es gibt auch Fälle von Menschen, die im Krieg gefoltert wurden und es über andere Länder nach Deutschland geschafft haben – und dennoch abgelehnt wurden."

Jedes Asylverfahren sei eine "Einzelfallprüfung, in der jede vorgetragene Fluchtgeschichte sorgfältig geprüft wird. Bewertet werden immer die individuell vorgetragenen Verfolgungsgründe", so das BAMF zu dem Vorwurf. "Die Herkunft aus einem bestimmten Land sowie ein bestimmter Fluchtgrund sind relevant für die Prüfung eines Asylbegehrens. Allein an diesen entscheidet sich aber nicht die Zuerkennung eines Schutzstatus oder die Ablehnung des Asylantrags."

Kein Direktflug, keine Abschiebung?

Viele Geschichten abgelehnter russischer Kriegsdienstverweigerer kennt Klyga. Schon wie in Russland berät er auch in Deutschland Kriegsdienstverweigerer. Sie stammen aus Russland, der Ukraine, Georgien und anderen Ländern der Region. Für den Verein Connection e.V. berät er wöchentlich Dutzende Männer, die fliehen wollen oder schon geflohen sind. "Viele bekommen mittlerweile Ausreiseaufforderungen direkt nach Russland."

Russischer Soldat blickt aus einem Militärfahrzeug bei der Probe für die Militärparade zum Tag des Sieges in Moskau, Russland, am 29. April 2025
Russischer Soldat blickt aus einem Militärfahrzeug bei der Probe für die Militärparade zum Tag des Sieges in Moskau, Russland, am 29. April 2025 Copyright 2025 The Associated Press. All rights reserved

Leichter als in Deutschland sei es in anderen Ländern, wie etwa Frankreich, Asyl zu bekommen. "Dort werden Risiken sehr differenziert eingeschätzt – je nach militärischer Vorgeschichte, Beruf, Erfahrung."

Abschiebungen nach Russland sind aktuell nicht möglich, weil es keine Direktflüge gibt. 2024 hat Deutschland stattdessen 66 Abschiebungen über Transitflughäfen durchgeführt, der Großteil nach Georgien (35), gefolgt von Serbien (30) und Aserbaidschan (1).

Undurchsichtige Rekrutierungsstrategien

Statt auf Zwangsmobilisierung setzt Russland mittlerweile auf gesellschaftlich akzeptiertere Methoden: Etwa 130.000 Euro zahlt der russische Staat an die Familien gefallener Soldaten, Sarggeld wie es auch genannt wird, berichtet die New York Times. Für im Kriegseinsatz entstandene Behinderungen, wie etwa verlorene Gliedmaßen, gibt es 30.000 Euro. Und auch sonst ist der Sold für russische Verhältnisse stattlich: 2.110 Euro monatlich. Zum Vergleich: Der durchschnittliche Monatslohn in Russland lag im August 2025 bei 998 Euro, so die US-Plattform Trading Economics. In ländlichen Gegenden liegt er weit darunter.

"Um Akzeptanz zu schaffen, zahlen sie riesige Summen. Viele sagen: 'Mein Sohn ist gestorben, aber wir haben Geld bekommen.' Es ist auch eine Methode, die Menschen zum Schweigen zu bringen", sagt Klyga dazu.

Frau geht mit zwei Kindern an Militärplakat vorbei, St. Petersburg, Russland, 14. Februar 2025
Frau geht mit zwei Kindern an Militärplakat vorbei, St. Petersburg, Russland, 14. Februar 2025 Copyright 2025 The Associated Press. All rights reserved

Doch auch mit undurchsichtigeren Methoden arbeitet Putins Regime: Immer häufiger verwendet Russland in Jobbeschreibungen Begriffe wie "keine Front" oder "ruhiger Dienst", wie der Thinktank OpenMinds analysiert. Damit würden ahnungslose Bewerber gelockt. Nachdem sie unterschrieben haben, landen sie trotzdem an der Front.

"Es gibt auch Menschen in Gefängnissen - sie unterschreiben Verträge, aber das ist keine freie Entscheidung. Migranten aus ärmeren Ländern wie Tadschikistan, Kirgistan oder Usbekistan werden oft erpresst: Geldstrafen, Deportationsdrohungen – und als Ausweg wird ihnen ein Militärvertrag angeboten. Wenn man unterschreibt, bekommt man sehr schnell die Staatsbürgerschaft", erklärt Klyga.

Nach Russland zurückzukehren, selbst wenn der Krieg vorbei ist, ist für Klyga unvorstellbar: "Das System bleibt dasselbe: dieselben Gesetze, dieselben Repressionen." Eine echte Rückkehrmöglichkeit sieht er nicht.

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