Die Fahrradnation der Welt: Wie haben die Niederländer das gemacht?

Eine Fahrradfahrerin in den Niederlanden.
Eine Fahrradfahrerin in den Niederlanden. Copyright Canva/AP
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Von Callum Tennent
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Die Niederlande sind berühmt für ihre Radfahrer, aber wie hat es das Land geschafft, so viele Menschen in den Sattel zu bringen? #MobilityWeek

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Die Niederlande sind das weltweit führende Beispiel für eine Fahrradnation, und das aus gutem Grund. Das Land hat mehr Fahrräder als Einwohner:innen, und selbst der Ministerpräsident fährt oft mit dem Rad zur Arbeit.

Im Jahr 2018 wurde mehr als ein Viertel aller Fahrten mit dem Fahrrad zurückgelegt - ein starker Kontrast zu Großbritannien, Frankreich und Irland, wo das weniger als 5 Prozent der Fahrten ausmacht. Bei Fahrten unter 7,5 km steigt diese Zahl in den Niederlanden sogar auf mehr als ein Drittel.

Wie kam es dazu, dass es in den Niederlanden 23 Millionen Fahrräder gibt und die Straßen so umgestaltet wurden, dass sie den Fahrrädern gerecht werden?

Die Geburt einer Fahrradnation

In den 1970er Jahren waren die niederländischen Städte, wie die meisten Städte in Europa, mit Autos verstopft. Der rasche Anstieg von Kfz-Besitzer:innen führte dazu, dass 1970 auf 500 Einwohner:innen 100 Autos kamen.

Die niederländischen Straßen, von denen viele noch aus dem Mittelalter stammten, waren für diese Art von Verkehr nicht ausgelegt, und die Folgen waren tödlich. Im Jahr 1971 wurden mehr als 3.000 Menschen durch Fahrzeuge getötet, und fast 500 dieser Todesopfer waren Kinder.

Das löste eine Bewegung namens "Stop de Kindermoord" (Stoppt den Kindermord) aus. Der öffentliche Widerstand gegen die hohe Zahl der Verkehrstoten fiel auch mit der Ölkrise von 1973 zusammen, als einige Mitglieder der Organisation erdölexportierender Länder (OPEC) die Ölproduktion drosselten und ein Embargo gegen bestimmte Länder verhängten.

Diese beiden Ereignisse reichten aus, um die niederländische Regierung davon zu überzeugen, ihre autoorientierte Stadtplanung hinter sich zu lassen.

Fahrradfreundliche Planung: Autos sind Gäste

Die vielleicht wichtigste Maßnahme, die die niederländische Regierung ergriffen hat, um die Menschen zum Radfahren zu ermutigen, ist die Einrichtung von kilometerlangen Radwegen. Heute gibt es in den Niederlanden mehr als 35.000 Kilometer Radwege; zum Vergleich: das Straßennetz des Landes umfasst nur 140.000 Kilometer.

Doch damit nicht genug: In den Niederlanden gibt es auch eine Reihe von Straßen, die von Autos und Fahrrädern gemeinsam genutzt werden, auf denen Fahrräder aber Vorrang haben. Auf vielen dieser Fahrradstraßen findet man Schilder mit der Aufschrift "fietsstraat auto te gast", was bedeutet, dass Autos hier nur Gäste sind.

Twitter / The Dutch Cycling Embassy, dutchcycling.nl
Schild, das auf die Fahrradstraße hinweist und besagt, dass das Auto ein Gast ist: "Fietsstraat, auto te gast."Twitter / The Dutch Cycling Embassy, dutchcycling.nl

Die niederländischen Kreisverkehre sind ein weiteres Beispiel dafür, dass die Stadtplanung stärker auf das Fahrrad und die Fußgänger ausgerichtet ist. Rund 60 Prozent der Kreisverkehre in niederländischen Städten haben einen separaten Radweg, der um den Kreisverkehr herumführt und die Ausfahrten kreuzt.

In den meisten urbanen Gebieten haben Fahrräder Vorfahrt, während Autos anhalten müssen. Außerdem haben die Stadtplaner viele Kreuzungen umgestaltet, um das Risiko für Radfahrer zu verringern.

Je nach Geschwindigkeitsbegrenzung auf einer Straße vor einer Kreuzung sollen die Radwege entweder näher an den Verkehr heranrücken, um die Sicht zu verbessern, oder abknicken, damit die Autos abbiegen können, bevor sie den Radweg überqueren.

Wo Radwege Vorfahrt haben, zum Beispiel wenn Fahrzeuge von einer Hauptstraße in eine Seitenstraße abbiegen, sollten diese Fahrspuren gemäß den Richtlinien erhöht werden. Neben der Gestaltung von Städten und Straßen, die Radfahrer:innen helfen, sicher von A nach B zu kommen, haben die Behörden auch in Fahrradparkplätze investiert.

Im Jahr 2019 wurde in der niederländischen Stadt Utrecht das größte mehrstöckige Fahrradparkhaus der Welt eröffnet, das Platz für 12.500 Fahrräder bietet. Darüber hinaus versucht man, einen reibungslosen Übergang zwischen den verschiedenen Verkehrsmitteln zu ermöglichen, und die meisten Bahnhöfe verfügen jetzt über Fahrradparkplätze. In einigen Zügen gibt es sogar spezielle Fahrradwagen oder Fahrradstellplätze in den Waggons.

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Viele Fahrräder parken vor einem Bahnhof in den Niederlanden.Canva

Die Vorteile einer Fahrradnation

Wenn man sich mit den Vorteilen des Radfahrens beschäftigt, wird schnell klar, warum Länder auf der ganzen Welt dem niederländischen Erfolg nacheifern wollen.

Eine britische Studie aus dem Jahr 2016, die den Wert des Radfahrens untersucht, zeigt, dass es nicht nur den Radfahrer:innen zugutekommt, sondern auch die Produktivität steigert, sich positiv auf die Gesellschaft auswirkt und die Gesundheitskosten für den Staat senkt.

Ein aktueller Bericht von Decisio schätzt den sozialen Wert des niederländischen Radverkehrs auf 1,2 bis 3,8 Milliarden Euro pro Jahr. Die Herstellung, der Verkauf, die Wartung und der Verleih von Fahrrädern stellen zusammen 13.000 Vollzeitarbeitsplätze im Land.

Und die Niederlande haben kein Interesse daran, ihre Ambitionen in Bezug auf den Radverkehr in nächster Zeit zu bremsen. Ende letzten Monats hat die niederländische Staatssekretärin für Infrastruktur und Wasserwirtschaft in einem Schreiben an das Parlament ihr Ziel dargelegt, in den nächsten zweieinhalb Jahren 100.000 zusätzliche Pendler für das Fahrrad zu gewinnen.

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Das Ministerium prüft derzeit auch Pläne, wie es den mehr als 200.000 Kindern und Jugendlichen, die sich kein Fahrrad leisten können, Fahrräder zur Verfügung stellen kann.

Hoffnung für andere Länder

Auch wenn die Niederlande der Spitzenreiter sind, haben andere Länder und Städte gezeigt, dass das Fahrrad schnell angenommen werden kann. In Sevilla in Süden Spaniens stieg die Zahl der mit dem Fahrrad zurückgelegten Wege von weniger als 7.000 im Jahr 2006 auf mehr als 70.000 im Jahr 2011.

Nach niederländischem Vorbild hat die Stadt viele Parkplätze in erhöhte und getrennte Radwege umgewandelt. Sevilla verfügt nun über ein ganzes Netz von Radwegen, von denen die ersten 80 Kilometer für weniger als 20 Millionen Euro gebaut wurden.

Der rasche Ausbau von temporären Radwegen in der ganzen Welt während der Pandemie zeigt, dass die Niederlande vielleicht nicht so besonders sind, wie wir glauben. Mit genügend politischem Willen könnten überall die nächsten Niederlande entstehen.

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