Was entzündet die Haßausbrüche in muslimischen Ländern?

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Von Euronews
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Amerikanische Fahnen werden zu Angriffszielen.
So massiv wie es nur die Generation der heute über 60jährigen im Vietnamkrieg erlebt hat. Dabei ist der Anlaß wahrlich nicht vergleichbar: Ein Schmuddel-Video, das die religiösen Gefühle von Muslimen beleidigt. Und das reicht aus, damit aufgebrachte Massen amerikanische Diplomaten töten. In Washington muss man sich jetzt die Frage stellen: Was hat die US-Politik versäumt im Umgang mit den Ländern des “arabischen Frühlings” ? Als der Sarg des in Bengasi getöteten Botschafters heimgeholt wurde, sagte Außenministerin Hillary Clinton: “Die Völker von Ägypten, Libyen, Jemen und Tunesien wollten bestimmt nicht die Tyrannei eines Diktators eintauschen gegen die Tyrannei des Mobs.”
Sicher, so sah es im Januar 2011 nicht aus, als in Tunis die ersten Rufe nach Demokratie laut wurden.
Aber haben nicht auch schon andere Völker die traurige Erfahrung gemacht, von ganz anderen politischen Kräften um die Früchte ihres demokratischen Kampfes betrogen zu werden?
Der Nahostfachmann Aaron David Miller vom Woodrow Wilson Center, der schon fünf US-Außenminister beraten hat, erwartet, dass
diese Art von Antiamerikanismus weitergeht und noch zunimmt. Seine Begründung: In diesen Ländern bestimmen weitgehend Islamisten die Richtung. Die dortigen Regierungen erweisen sich als sehr unsicher im Umgang mit solchen Herausforderungen. Er sieht wilde Zeiten auf uns zukommen.
Dabei war der Ansatz von Barack Obama zu Beginn seiner Präsidentschaft durchaus hoffnungsvoll.
Im Juli 2009 bekam er viel Beifall weltweit, als er in bezogen auf die vom Irakkrieg geschlagenen Wunden sagte: “….Partnerschaft zwischen Amerika und dem Islam muss auf dem basieren, was der Islam wirklich ist, nicht auf Irrtümern über ihn.
Und ich sehe es als Teil meiner Verantwortung als Präsident der Vereinigten Staaten an, Negativklischees des Islam zu bekämpfen, wo immer sie auftauchen.”
Der Direktor der Washingtoner Denkfabrik “Brookings Institution”, Michael O´Halon, sieht Obamas frühes Sympathiekapital in der arabischen Welt verbraucht. Er sagt: “Die islamische Welt ist nicht mehr von Obama verzaubert. Seine Popularität dort ist schon so niedrig wie die seines Vorgängers Bush. Seine Taktik hat nicht die geplante Wirkung gebracht.”

Den Nahost-Friedensprozeß hat die Obama-Regierung überhaupt nicht voran gebracht.
Und auf die Veränderungen durch den arabischen Frühling hat sie nicht ausreichend reagiert.

Interview mit Malek Chebel

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Es hat scheinbar alles angefangen mit diesem ominösen Film “Die Unschuld der Muslime”.
An dessen auf Muslime beleidigend wirkender Aussage entzünden sich Straßenproteste in der arabischen Welt. Wir sprechen darüber mit dem Pariser Anthropologen Malek Chebel. Er ist Spezialist für Fragen des Islam und der arabischen Welt. Worum geht es diesen aufgebrachten Massen eigentlich? Geht es noch um den Film oder sind das antiwestliche Haßausbrüche?

Malek Chebel
Das antiwestliche Grundgefühl ist vorhanden. Das läßt sich nicht verbergen. Das existiert schon lange.
Das geht zurück bis zu den Kreuzzügen und bis zu weniger deutlich sichtbaren Manifestationen gewisser Gruppen in Amerika und Europa, die den Islam abschaffen oder beschmutzen wollen.
Natürlich existieren solche Gefühle, ganz abgesehen von jenen, die Amerika direkt betreffen wegen seiner Präsenz in Afghanistan. Zuerst im Irak und jetzt in Afghanistan. Die gibt es in Pakistan und im Nahen Osten. Die haben mit einer gewissen Abkehr der USA von der arabischen Region zu tun. Als dritten Punkt möchte ich erwähnen, dass Barack Obamas Rede in Kairo dann doch nicht den gewünschten Effekt hatte. Mindestens so sollte man es beschreiben, was da an Argwohn der Araber und Muslime generell gegenüber Amerika existiert.

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Also doch im vor allem antiamerikanische Gefühle?

Malek Chebel
Ich denke, es ist vor allem antiamerikanisch.
Natürlich wird der Westen als der natürliche Verbündete der Amerikaner auch seinen Preis zahlen müssen. Aber der ist eher als Kollateralschaden zu verstehen. Ich denke, die Araber haben nichts gegen Frankreich, Italien, Spanien oder Griechenland. Grundlegend geht es darum, Amerika die Zähne zu zeigen.

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Die Lage unterscheidet sich doch wohl zwischen Ländern des “arabischen Frühlings” wie Ägypten oder Libyen und anderen wie Pakistan oder Malaysia. Trotzdem werden überall die gleichen Fahnen verbrannt, die gleichen Losungen gebrüllt.
Worin besteht der gleiche Nenner?

Malek Chebel
Zunächst glaubte man, es handele sich um die arabischen Revolutionsländer Tunesien, Libyen, Ägypten und Jemen. Man meinte, dass die muslimischen Länder in Asien nicht betroffen seien.
Dann fanden sich aber schiitische Moralprediger, im Libanon zum Beispiel, wo sie zu Demonstrationen aufriefen. Daraufhin erleben wir jetzt eine Art Umbewertung von einem ursprünglich arabischen Problem – weil der Prophet Araber war und deshalb die arabische Welt aufgebracht ist – hin zu einem muslimischen Problem. Es bezieht sich auch auf Asien , weil Schlüsselelemente in Pakistan und Afghanistan zu finden sind. Es gewinnt, wie man jetzt sieht, eine weltweite muslimische Bedeutung. Und das heisst, es kann noch viel passieren.

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