Wendepunkt: Europas Wirtschaft legt wieder zu

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Wir sprechen über das europäische Wachstum, das langsam aber sicher in Gang kommt. Und wir werden den EU-Wirtschaftskommissar und die deutsche Bundesbank fragen, ob dieses Wachstum von Dauer ist.

Wachstum in Europa

Ein Wachstumsindikator ist die Beschäftigung und die erholt sich Stück für Stück. Die Arbeitslosenquote beträgt 9,5 Prozent in Europa und 11 Prozent in der Eurozone. In den meisten Ländern geht sie zurück, insbesondere in der Slowakei, Spanien und Irland. Nur in vier Ländern ist die Arbeitslosenquote gestiegen. Und das ist nur ein Wachstumsindikator, die anderen stellen wir Ihnen jetzt in unserem Crash-Kurs vor.

Stellen wir uns vor, dass die europäischen Staaten Rennwagen sind. In letzter Zeit kamen sie nur langsam voran, doch jetzt können sie endlich wieder um die Wette fahren. Erste Zeichen eines Wachstums sind da. Doch nicht alle fahren gleich schnell. Manche sind vorsichtig, andere haben noch mit Schwierigkeiten zu kämpfen.

Das Bruttoinlandsprodukt entscheidet über die Geschwindigkeit. Es ist in der Eurozone und in der EU im Vergleich zum vergangenen Jahr gestiegen. Nur in Frankreich ist es gleichgeblieben. Aufgrund ihres starken Wachstums sind Lettland, Malta, die Tschechische Republik und Spanien schnell unterwegs. Die anderen Indikatoren, die unsere Rennwagen in Gang bringen, sehen ebenfalls gut aus: Der Verbrauch der Haushalte steigt. Die Exporte auch. Und unsere Importe steigen ebenfalls. Wir müssen noch viele Runden drehen, aber das Rennen hat begonnen, etwas langsam, aber es geht voran.

Ein anderer Indikator ist die Industrie, dafür schauen wir uns den Index der Industrieproduktion an. So kann man schon früh erste Zeichen des Wandels erkennen, denn er zeigt den Mehrwert, der von den verschiedenen Industrien generiert wird. Bei dem Index tut sich etwas, für manche Sektoren geht es stark, für andere etwas zögerlicher nach oben.
Infogramm

Industrie, die Wachstumslokomotive Europas

Die Industrie ist das Rückgrat von Europas Wirtschaft. Sie produziert 80 Prozent der europäischen Exporte. In Polen ist das BIP um mehr als 3 Prozent angestiegen und für 2015 wird mit einem industriellen Produktionswachstum von 5,5 Prozent gerechnet. Um zu verstehen was dahinter steckt, haben wir Solaris, eine der führenden Firmen Polens besucht. Ein Unternehmen, dass Stadtbusse herstellt und nach ganz Europa exportiert.

Der Vize-Direktor Dariusz Michalak erklärt: “Schauen wir uns die Ergebnisse des vergangenen Jahre an: Es gab keinen großen Rückgang der Verkaufszahlen. Das war möglich, da wir in viele Länder exportieren, auch außerhalb Europas. In den Märkten in denen die Nachfrage zurückging haben wir trotzdem Kunden gehabt, da wir ein Nischenprodukt anbieten.”

Firmen wie Solaris sind für die europäische Wirtschaft entscheidend. Die Autoindustrie beschäftigt rund 12 Millionen Menschen in Europa und schafft 4 Prozent des europäischen BIPs. Euronews-Journalistin Monica Pinna fasst zusammen:
“Die Entwicklung der industriellen Produktion zeigt, dass Europa wieder wächst, aber auch, dass dieses Wachstum von Land zu Land unterschiedlich stark ist.”

#realeconomy crew on the road again! #solaris#buses#poznan#poland#growth euronews</a> danivellax@maithreyi_s pic.twitter.com/etOAy9qMdO

— Monica Pinna (@_MonicaPinna) October 13, 2015

In manchen Ländern wie Frankreich, die Niederlande und Estland ist der industrielle Produktionsindex negativ, während er in anderen Ländern wie Polen und die Tschechische Republik wirklich steigt. Inwieweit unterscheidet sich der Wachstum in der gesamten Europäischen Union vom Wachstum in der Eurozone? Wir haben Tadeusz Kowalski gefragt. Er lehrt an der Wirtschaftsuniversität in Posen. “Länder wie Ungarn, die Tschechische Republik und Polen sind immer noch sehr viel weniger entwickelt als die EU-Gründungsländer. Sie holen schnell auf, aber wir müssen realistisch bleiben. Sie werden mindestens zwei Jahrzehnte brauchen, um eine Produktivität zu erreichen, die zu einem durchschnittlichen Pro Kopf BIP führt, wie im entwickelten Europa,” so Tadeusz Kowalski.

Rund die Hälfte der Wirtschaftsbereiche der Eurozone steckt immer noch in der Rezession. In Zentraleuropa stehen die Zeichen auf volle Kraft voraus, wobei die Geschwindigkeit von einem Bereich zum anderen verschieden ist.

Chinas Wirtschaft schwächelt – Eine Gefahr für Europa?

Rainer Hundsdörfer kennt sich aus mit der Herstellung von Ventilatoren und Teilen, die dafür sorgen, dass Maschinen schön kühl bleiben. Seine Firma EBM Papst exportiert in Länder rund um die Welt. Das Abenteuer fing mit 35 Angestellten an, aber mittlerweile arbeiten mehr als 12.000 Menschen für das Unternehmen. Es verkauft weltweit Deutsche Qualität!

“EBM Papst verkauft 75 Prozent seiner Produkte außerhalb von Deutschland. Italien, Frankreich wachsen schnell, Deutschland steht gut da, oder sagen wir ok, die USA sind auch ok, China verlangsamt sich, aber es gibt noch Wachstum, und dem Rest Asiens geht es ganz gut,” so Hundsdörfer.

Diese ganzen Exporte bedeuten mehr Jobs in Europa, aber die chinesische Wirtschaft hat sich verlangsamt.
Was wird passieren, wenn die Nachfrage noch weiter zurückgeht?
Ein anderes Problem könnten erdölexportierende Länder wie Russland und Brasilien darstellen. Diese Länder wurden durch den Fall des Ölpreises um mehr als die Hälfte in knapp anderthalb Jahren schwer getroffen.

Und das Wachstum könnte sich bei den sogenannten BRICS-Ländern, Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika noch weiter verlangsamen. Euronews-Journalist Guillaume Desjardins bringt es auf den Punkt: “China, Russland und Brasilien, in diese drei Länder gehen 18 Prozent der europäischen Exporte. Aber was passiert, wenn die BRICS-Staaten nicht mehr unsere Produkte kaufen? An wen werden wir sie dann verkaufen?”

Die deutsche Zentralbank macht sich noch keine Sorgen. Sie glaubt, dass Schwierigkeiten in den Entwicklungsländern, Europas Aufschwung nichts anhaben werden können. Chefvolkswirt der Deutschen Bundesbank, Jens Ulbrich, erklärt warum: “Als erstes wären da die innenpolitischen Faktoren: niedrige Energiepreise und so gut wie keine Inflation. Das stimuliert wirklich die realen Löhne. Und in manchen Ländern wie Portugal, Spanien und Irland werden zweistellige Summen in den Maschinenbau investiert. In manchen Sektoren werden die Firmen die Verlangsamung von Chinas Wirtschaft sehr viel stärker zu fühlen bekommen, als in anderen. 6 Prozent aller deutschen Exporte gehen z.B. nach China, aber bei der Autoindustrie sind es 10 Prozent der Exporte. Firmen, die nicht in mehreren Märkten im Ausland präsent sind, werden also mehr unter der Verlangsamung in China leiden als andere.”

Die Bundesbank geht davon aus, dass die BRICS-Länder einen Rückgang des Wachstums erleben, aber nicht in die Rezession abrutschen werden. “Das würde zu einem Rückgang der Wachstumsrate in der Eurozone um 0,2 Prozentpunkte führen. Das wäre also nicht sehr viel. Durch die Verlangsamung kann es natürlich auch zu Unsicherheit und Volatilität auf den Finanzmärkten kommen,” so Ulbrich.

Für Rainer Hundsdörfer verrät uns sein Erfolgsrezept: “Wir müssen immer offen sein und nach neuen Märkten Ausschau halten!” Der Bundesbank zufolge wird China ein wichtiger Geschäftspartner bleiben.

EU-Wirtschaftskommissar: “Unsere Probleme sind vor allem hausgemacht!”

euronews, Maithreyi Seetharaman:
“Wir sprechen nun mit dem europäischen Wirtschafts- und Währungskommissar Pierre Moscovici. Verschiedene Teile Europas kommen unterschiedlich schnell voran. Stellt das für Sie die wirtschaftliche Erholung in Frage?”

Pierre Moscovici:
“Nein, Europa erholt sich, das ist klar und deutlich. Das Problem ist, dass die Erholung am Anfang noch etwas träge ist. Und sie verläuft in den Staaten, die zur Eurozone gehören und in den anderen EU-Ländern nicht gleich schnell.”

euronews:
“Warum gibt es da einen Unterschied?”

Moscovici:
“Die Eurozone musste sich während der Krise stärker anpassen, denn die Regeln waren strenger. Wenn Sie sich die Wachstumsvorhersagen, die wir vor einigen Monaten veröffentlicht haben, ansehen – die neuen kommen Anfang November heraus – dann werden sie feststellen, dass die Kluft zwischen Euro- und nicht Euro-Ländern nur 0,2 oder 0,3 Prozent beträgt. In den vergangenen Jahren war sie doppelt so hoch.”

euronews:
“Nun, es wurde auch viel getan, um das Wachstum in der Eurozone anzukurbeln, die quantitative Lockerung der Europäischen Zentralbank z.B. Was passiert, wenn die EZB dieses Programm einstellt?”

Moscovici:
“Ich bin zuversichtlich und gehe davon aus, dass das Programm zur quantitativen Lockerung so lange wie nötig beibehalten wird. Ich sorge mich nicht um eine Unterbechung, aber Geldpolitik allein reicht nicht aus. Wir benötigen vielseitige Maßnahmen: die Haushaltskonsolidierung muss weitergehen und zweitens brauchen wir strukturelle Reformen. Das dritte wären Investionen und das vierte Geldpolitik. Wenn diese vier Säulen vereint sind, dann haben wir alle Voraussetzungen für Wachstum.”

euronews:
“Was ist der Ersatzplan, wenn die EZB ihre Politik ändert?”

Moscovici:
“Ich frage mich nie, was wäre wenn? Die EZB hat sich auf lange Sicht engagiert. Manche Befürchtungen sind gerechtfertigt, aber hier gibt es kein Risiko. Wir dürfen allerdings, nur weil es wieder bergauf geht, die Reformen nicht verlangsamen, insbesondere die Reformen des Arbeitsmarktes und der Renten.”

euronews:
“Liegen manche Länder besonders weit zurück und stellen dadurch ein Risiko dar?”

Moscovici:
“Nein, ich werde kein Land an den Pranger stellen. Aber wir alle wissen, welche Länder sich stärker anstrengen müssen. Ich kenne auf jeden Fall einige. Das zweite Risiko sind Investitionen. Wir benötigen mehr Investitionen in Europa. Wie kann unsere Wirtschaft in den kommenden zehn Jahren wettbewerbsfähiger sein, trotz der Verlangsamung bei den Schwellenländern, wenn wir nicht in der Lage sind, zu investieren?”

euronews:
“Bereitet Ihnen China Sorgen? Sind wir zu abhängig?”

Moscovici:
“Ich würde sagen, dass China sich in einer Übergangsphase befindet. In unserer Vorhersage für 2015 sehe ich keine Konsequenzen und in 2016 wird China wahrscheinlich ein finanzielles Risiko darstellen, aber kein großes. Die Weltwirtschaft muss China im Auge behalten, dort sind strukturelle Reformen nötig und die chinesische Regierung muss besser kommunizieren. Aber für die europäische Wirtschaft besteht im Großen und Ganzen kein Risiko.”

Pierremoscovici</a> not a worried man abt China slowdown Maybe note of caution in 2016 forecast <a href="https://twitter.com/hashtag/realeconomy?src=hash">#realeconomy</a> <a href="https://twitter.com/euronews">euronewspic.twitter.com/nRwpXrQJWT

— Maithreyi (@maithreyi_s) October 19, 2015

euronews:
“Und wie wird sich unsere Beziehung zu Russland weiterentwickeln?”

Moscovici:
“Nun, Russland steht am Anfang einer schweren Rezession und benötigt natürlich strukturelle Reformen. Für Russland und die Welt wäre es von Vorteil, wenn diese Reformen geschehen und die russische Wirtschaft wieder stärker wird. Das wäre auch mir lieber, aber ich sehe da nur wenig Risiko für Europa.
Unsere Probleme sind vor allem hausgemacht. Wir müssen in Europa die Elemente, die unsere Wirtschaft ankurbeln, entwickeln. Das Problem ist, dass unser Wachstumspotential für die kommenden zehn Jahre nur 1 Prozent pro Jahr beträgt, wenn wir nichts machen. Das ist solide, aber ist das genug? Nein, es ist nicht genug! Wir brauchen mehr Handel, in Maßen natürlich. Und dafür benötigen wir Freihandelsabkommen, die gut verhandelt worden sind. Ich mache mir über nicht-wirtschaftliche Probleme Sorgen, die aber natürlich mit dem Wachstum zusammenhängen. Ich denke da an den zunehmenden Nationalismus und Rassismus. Viele Europäer fürchten, dass Europa keine Lösung mehr ist, sondern ein Problem. Ich will, dass Europa wieder eine Lösung ist.”

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