"Ich will kein Europa des Stillstands" - Ein Gespräch mit dem luxemburgischen Ministerpräsidenten Xavier Bettel

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Von Euronews
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euronews: “60 Jahre danach – ist es der Anfang vom Ende des europäischen Projekts?

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euronews:
“60 Jahre danach – ist es der Anfang vom Ende des europäischen Projekts?”

Xavier Bettel:
“Im Gegenteil. 60 Jahre danach ist es Zeit, zu überlegen, was gut gelaufen ist und das auch zu benennen. Es ist besser, sich dessen bewusst zu sein, dass es funktioniert und dass Europa aus einem Friedensprojekt zwischen Frankreich und Deutschland hervorgeht, die vorher aufeinander geschossen haben.”

euronews:
“Kann das europäische Projekt mit der Erklärung von Rom wieder in Schwung gebracht werden?”

Xavier Bettel:
“In Rom wird nichts verhandelt, in Rom gedenkt man dessen, dass seit 60 Jahren Frieden herrscht. Seit 60 Jahren sind wir frei, haben Rechte, sind in einem großen Raum, in dem man arbeiten, leben, heiraten, sterben, studieren kann, in dem es eine Gesundheitsfürsorge gibt, wo man geschützt ist, gewählt werden kann. All das sollten wir uns vor Augen führen.”

euronews:
“Der Chef der polnischen Regierungspartei lehnt ein Europa der zwei Geschwindigkeiten ab. Er meint, ein solches Europa mache Polen zu einem zweitklassigen Mitglied. Verstehen Sie diese Befürchtung?”

Xavier Bettel:
“Ein Europa der zwei Geschwindigkeiten heißt nicht, dass es eine Geschwindigkeit und danach eine weitere geben wird. Es geht um Projekte. Es wird nicht ein Tempo geben, dem alle folgen und ein zweites, dem niemand folgt. Wir sprechen von Projekten, von der Digitalen Agenda zum Beispiel. Es gibt 28 Regulierungsbehörden, 28 Märkte, wir sind zwischen den USA und Asien eingeklemmt. Nötig ist eine gemeinsame Strategie. Bleiben Fortschritte aus, wird es nicht daran liegen, dass sich ein Land an einem Projekt nicht beteiligen will. Wir müssen ein Projekt nach dem anderen in Angriff nehmen. Es geht nicht um ein Europa, an dem sich einige beteiligen und andere nicht. Es geht um Projekte mit jenen, die Fortschritte wollen. Bekanntlich gibt es eine enge Zusammenarbeit im Rahmen des Schengen-Projekts, das mit wenigen begann und Land um Land erweitert wurde. Das gilt auch für andere Bereiche. Mit dem Euro war es genauso. Länder, die bei manchen Projekten zunächst zurückhaltend sind, wollen später zusammenarbeiten. Ich will kein Europa des Stillstands, ich will nicht als Geisel genommen werden, weil manche innenpolitische Probleme haben.”

euronews:
“Sie lassen sich von Polen nicht als Geisel nehmen?”

Xavier Bettel:
“Sie haben Polen genannt. Noch einmal: Es geht um einzelne Fälle. Wenn Polen alles blockieren will, dann sollten wir es wissen. Es geht um Projekte. Es wird nicht so sein, dass die einen voranschreiten, während andere stillstehen, selbst wenn man meint, dass einige lieber rückwärts gingen. Ein Projekt nach dem anderen, das ist mein Verständnis von einem Europa unterschiedlicher Geschwindigkeiten, das voranschreitet und nicht stillsteht. 27 dürfen nicht blockiert werden, weil ein Land den Stillstand will. Ein Land ist nicht die Geisel eines anderen, das ist nicht die EU. Wir sollten 27 bleiben, ich bedauere dass wir nicht mehr 28 sind. Mein Ziel ist, dass die 27 weitermachen. Nochmals: Ich ziehe ein Europa der zwei Geschwindigkeiten einem Europa des Stillstands vor.”

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