Ece Temelkuran: "Die Enttäuschung ist mit Händen zu greifen"

Ece Temelkuran: "Die Enttäuschung ist mit Händen zu greifen"
Von Catherine HardySabine Sans
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Die regierungskritische türkische Autorin bewertet die Wahlen in der Türkei für euronews.

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81 Millionen Menschen haben an den türkischen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen teilgenommen. Nach offizieller Auszählung von 99 Prozent der abgegebenen Stimmen, kommt Recep Tayyip Erdogan auf 53 Prozent. Ein klarer Sieg für den amtierenden Staatspräsidenten und seine AKP.

Euronews sprach mit Ece Temelkuran, einer angesehenen, regierungskritischen politischen Kolumnistin in der Türkei, über die Wahlen in der Türkei.

Catherine Hardy, euronews: "Welche Botschaft sendet die Türkei mit diesem Wahlergebnis an die EU und die Welt?"

Ece Temelkuran, regierungskritische Autorin und Journalistin: "Sie senden die Botschaft, dass sie die Demokratie verteidigen werden, bestrebt sind, ein westlich orientiertes Land zu bleiben und sich einer pluralistischen Gesellschaft verpflichtet fühlen. Das sollte von der Europäischen Union ernst genommen werden. Wie Sie sich vielleicht auch erinnern werden, wurde Herr Erdogan vor allem während seiner ersten Amtszeit ab 2002 von westlichen Ländern unterstützt, und ich denke, viele Menschen in der Türkei würden mit mir darin übereinstimmen, dass die Opposition jetzt zumindest moralisch von der Europäischen Union und den demokratischen Kräften in den europäischen Ländern unterstützt werden sollte."

Ece Temelkuran: "Die EU unterstützt die türkische Opposition".

"Was die Menschen frustriert und was sie kritisieren, ist die Unvorhersehbarkeit bei allem, nicht nur in der Außen-, sondern auch in der Innenpolitik. Das ist natürlich keine Überraschung, wenn das Schicksal eines Landes in den Händen eines Mannes liegt und dieser Mann, Präsident Erdogan, für seine Dünnhäutigkeit, seine aufbrausende Art bekannt ist. Er handelt nach seinen eigenen Regeln, daher ist er ziemlich unberechenbar. Interessant dabei ist, daran zu erinnern, dass Erdogan im Wahlkampf 'mehr Gerechtigkeit, mehr Freiheit' versprochen hatte."

"Die Opposition weckte eine unglaubliche Begeisterung bei all jenen Menschen, die keine 'Ein-Mann-Herrschaft' wollten. Es war noch nie da gewesen, dass sich alle Fraktionen des politischen Spektrums gegen Herrn Erdogan, gegen den Präsidenten verbündeten - nicht persönlich gegen ihn, sondern gegen das Regime, dass er in den vergangenen 15, 16 Jahren aufgebaut hatte. Kritische Menschen in der Türkei setzten große Hoffnungen in diese Wahl. Aber es herrscht eine Atmosphäre der Hoffnungslosigkeit und Enttäuschung, die so stark ist, dass man sie mit Händen greifen kann. Es wird Zeit brauchen, bis sich die Menschen von dieser Enttäuschung, dieser Frustration erholt haben, bis sie wieder ihr politisches Engagement, ihre Oppositionsarbeit aufnehmen können."

Ece Temelkuran, 1973 in Izmir geboren, studierte Jura, bevor sie sich als Journalistin und Schriftstellerin etablierte. Sie schreibt Romane und Sachbücher, auf Deutsch liegen unter anderem die Studie "Euphorie und Wehmut: Die Türkei auf der Suche nach sich selbst" sowie die Romane "Was nützt mir die Revolution, wenn ich nicht tanzen kann" und "Stumme Schwäne" vor. Sie schrieb als Kolumnistin für die Tageszeitungen Milliyet (2000–2009) und Habertürk (2009–2011) und moderierte eine eigene Sendereihe auf Habertürk TV (2010 und 2011). Im Jahr 2013 wurde sie für wenige Monate Chefredakteurin der linken Tageszeitung BirGün. Die vielfach ausgezeichnete Autorin lebt seit Ende 2016 im Exil in in Zagreb, publiziert aber nach wie vor in türkischen Medien.

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