So kommentiert die internationale Presse die Brexit-Abstimmung

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So kommentiert die internationale Presse die Brexit-Abstimmung.

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Einige Kommentare aus internationalen Zeitungen zur Brexit-Abstimmung in Großbritannien.

The Telegraph: "May hat niemanden zufriedengestellt"

"Was Frau May grundsätzlich nicht verstanden hat, ist, dass man zur Umsetzung des Referendums klar mit Europa brechen muss. Das erfordert, sich für eine Seite zu entscheiden und sich für sie einzusetzen. Ihr Versuch, alle - einschließlich Brüssel - zufriedenzustellen - hat am Ende niemanden zufriedengestellt. Das Ausmaß ihrer Niederlage ist der Beweis. Teil des Problems ist, dass ein Ergebnis - ein gut gehandhabter Brexit ohne Abkommen - jetzt von Abgeordneten wie Regierung so gut wie vom Tisch genommen worden ist, obwohl es sich dabei um die logische, rechtliche Lage handelt, in der sich Großbritannien nach dem 29. März befinden wird. Die Premierministerin wird sich einem ernsthaften Widerspruch stellen müssen: Sie besteht darauf, dass der Brexit nicht gestoppt werden darf, aber auch, dass ein ungeordneter Brexit vermieden werden soll. Was bedeutet das mit Blick auf Artikel 50?"

The Guardian: "Müssen dem Chaos ein Ende setzen"

"Frau Mays Entscheidung, die Parteipolitik dem nationalen Interesse vorzuziehen, führt dazu, dass das Land ziellos driften wird, während die Regierung versucht, das Austrittsabkommen neu zu fassen. Eine fehlende Führung kann zu einem Gefühl der Panik führen, das von einer Regierung noch verstärkt wird, die Lebensmittel- und Medikamentenvorräte anlegt, als bereite sie sich auf einen Krieg vor. Wir müssen dem Chaos und der Spaltung ein Ende setzen, die soviel dazu beigetragen haben, unser Land zu entstellen. Wir müssen uns der Frage stellen, ob es ein stabiles Verhältnis zwischen einem Großbritannien im Brexit-Modus und der EU geben kann, das es beiden erlaubt, auf der Basis gemeinsamer Interessen und Werte zu zusammenzuarbeiten."

Times: "Ist May Teil des Problems oder der Lösung?"

"Das Land ist mit einer Krise konfrontiert und es nicht klar, ob Theresa May Teil des Problems oder Teil der Lösung ist. Sie hatte schlechte Karten, aber sie hat sie auch außerordentlich schlecht gespielt. Wenn ihr Vermächtnis in etwas anderem bestehen soll, als die glücklose Premierministerin gewesen zu sein, die das Land ins Chaos geführt und den Weg für eine Regierung unter Corbyn geebnet hat, muss sie zu Kompromissen bereit sein, um die Annahme irgendeiner Form ihres Deals noch zu ermöglichen. Das bedeutet, alles dafür zu tun, einen EU-Austritt ohne Vertrag zu verhindern und Maßnahmen zu akzeptieren, die sie bislang abgelehnt hat. Dazu gehört die Bereitschaft zu einer dauerhaften Zollunion oder auch der Aufruf an die Wähler, den EU-Deal in einem zweiten Referendum zu unterstützen - wie unattraktiv das im Moment auch aussehen mag. Es erscheint nun fast unvermeidlich, dass sie um einen Aufschub für den Brexit über den März hinaus bittet. Wenn May unwillig ist, das Notwendige zu tun, um ein Chaos zu vermeiden, wird das Parlament eine Führungspersönlichkeit finden müssen, die dazu bereit ist."

The Independent: "Alle können noch einmal abstimmen"

"Bald wird die souveräne Entscheidung über den Brexit daher auf die ein oder andere Weise ihren Weg zurück zur Wählerschaft finden. Damit wird der Brexit nicht "gestohlen". Alle, die 2016 abgestimmt haben, können noch einmal abstimmen. Sie können erneut für den Brexit stimmen, wenn sie wollen. Sie können aber auch zu dem Schluss kommen, dass der Brexit sich, aus welchem Grund auch immer, nicht als das leicht umzusetzende Paradies der Möglichkeiten erwiesen hat, das ihnen einst präsentiert wurde. Nun, da sie die Risiken und Vorteile aller Optionen kenne, sollten sie die Gelegenheit bekommen, ihr Urteil abzugeben. Alles andere würde ihnen ihr demokratisches Recht entziehen."

Neue Zürcher Zeitung: "May wird nicht freiwillig gehen"

"Früher traten Regierungschefs zurück, wenn sie eine wichtige Abstimmung verloren hatten, auch bei unwichtigeren Niederlagen. May aber wird freiwillig nicht gehen, aus zweierlei Gründen. Erstens würde die Krise kaum gemildert, wenn in den nächsten Wochen Neuwahlen stattfinden müssten. Zweitens führte das Parlament 2011 eine Gesetzesänderung ein, die fixe Legislaturperioden von fünf Jahren vorsieht. Der demokratischen Tradition steht somit der Buchstabe des Gesetzes entgegen. Das könnte noch zu einer Verfassungskrise führen."

Tages-Anzeiger: "Wertvolle Zeit ist vergeudet worden"

"May hat seit langem gewusst, dass sie weder in der eigenen Partei noch im Unterhaus für eine Mehrheit sprach. Der dringend nötige Brückenschlag zur "anderen Seite" - zu nüchternen Tories, zu moderaten Labour-Leuten - ist unterblieben. Wertvolle Zeit ist vergeudet worden. In der Hitze des Gefechts seit 2016 haben sich gefährliche Fronten gebildet, in Westminster wie im ganzen Land. Am dringlichsten ist wohl, dass sich im Parlament jetzt eine klare Mehrheit formiert, die eine "No Deal"-Katastrophe, den "Sprung über die Klippe", verhindert. Das wäre der erste Schritt. Stattdessen ist aber erst einmal mit weiteren schweren Turbulenzen zu rechnen."

De Telegraaf: "Das politische Chaos ist komplett."

"Das politische Chaos rings um den Brexit ist komplett. Nie zuvor in der Geschichte des britischen Parlaments hat eine Regierung eine derart große Niederlage erlitten, wie sie ihr bei der Abstimmung über das mit Brüssel vereinbarte Brexit-Abkommen bereitet wurde. Ein Deal, an dem zwei Jahre lang gearbeitet wurde und mit dem die härtesten Folgen des britischen EU-Austritts abgemildert werden sollten. Nun bleibt Großbritannien und der EU kaum noch Zeit, eine wirtschaftliche Katastrophe zu verhindern. Diese Niederlage kann nur dazu führen, den Austritt der Briten aus der EU zu verschieben. Es sei denn, Brüssel bleibt hart. Dann käme es am Stichtag 29. März zu einem knallharten Brexit mit allen entsprechenden Folgen. (...) Der Brexit-Deal ist jedenfalls, wie es im Unterhaus hieß, tot wie ein Dodo. Niemand glaubt daran, dass die Briten einen "Plan B" haben."

Les Dernières Nouvelles d'Alsace: "May wurde erniedrigt"

"Alle Zutaten einer Posse oder eines Dramas sind nunmehr vereint. Mit Theresa May in der Hauptrolle. Eine fluchbeladene Heldin, die allen Widerständen zum Trotz am Ruder eines abdriftenden Schiffes verbleibt. Es gibt wohl in der westlichen West keinen Regierungschef, der so erniedrigt, verurteilt und verraten wurde wie die britische Premierministerin. Und dennoch gibt sie nicht auf. Hundert Mal hat man sie am Boden gesehen. Hundert Mal ist sie wieder aufgestanden - und keiner weiß, ob es sich um Mut oder Leichtfertigkeit handelt."

La Repubblica: "Und jetzt?"

"Und jetzt? Wo wird das Vereinigte Königreich enden? Nach dem historischen Rückschlag, den Premierministerin Theresa May im Parlament von Westminster erlitten hat, wird die Frage wörtlich genommen: Das Abkommen, über das zweieinhalb Jahre mit der Europäischen Union verhandelt wurde, wurde abgelehnt. Und Großbritannien gleicht einer abdriftenden Insel. Der Brexit scheint zurück an seinem Ausgangspunkt zu sein. Es gibt viele Spekulationen, aber keinerlei Sicherheit. Alles scheint möglich."

Stuttgarter Zeitung: "Es ist mit schweren Turbulenzen zu rechnen"

Um jetzt einen Weg aus Mays Schlamassel zu finden, braucht es Bedacht und kühle Überlegung. Ob so viel Rückkehr zur Rationalität möglich ist, muss sich zeigen. In der Hitze des Gefechts haben sich gefährliche Fronten gebildet, in Westminster wie im ganzen Land. Am dringlichsten ist wohl, dass sich im Parlament jetzt eine klare Mehrheit formiert, die eine "No Deal"-Katastrophe, den "Sprung über die Klippe", verhindert. Das wäre der erste Schritt. Stattdessen ist aber erst einmal mit weiteren schweren Turbulenzen zu rechnen. In einer Lage wie dieser, ratlos, ohne Konsens im Parlament, ohne funktionsfähige Regierung, kann man nur hoffen, dass sich die britische Politik mit oder ohne May möglichst schnell wieder fängt.

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