Umstrittene Migrationspolitik auf Lampedusa

Umstrittene Migrationspolitik auf Lampedusa
Von Valérie Gauriat
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Insiders begleitete einen Arzt auf der italienischen Insel, der sich für eine humanere Migrationspolitik einsetzt und nicht nur Unterstützung dafür bekommt.

Lampedusa, ein beliebtes italienisches Reiseziel südlich von Sizilien, ist auch einer der bekanntesten Schauplätze der Einwanderungstragödie im Mittelmeer.

Pietro Bartolo wurde bei den Europawahlen im Mai auf der Liste der italienischen Demokratischen Partei ins Europaparlament gewählt. Der Arzt, der bei fast jeder Ankunft von Flüchtlingen gerufen wird, will seine Erfahrungen in den Dienst einer neuen Migrationspolitik stellen. Nach eigener Aussage hat er rund 300.000 Migranten in den vergangenen 30 Jahren behandelt.

Er führt die euronews-Reporterin über die Insel, am Strand erklärt er: "Dort drüben ist Libyen, hier ist der südlichste Punkt Europas. Wir sind ein Tor zu Europa. Und jetzt will man dieses Tor schließen. Vielleicht bröckelt dieses Tor deswegen. Hier spürt man den Südwind, der aus Afrika kommt und den Staub aus Afrika mitbringt. Man hört fast die Klagen, die Schreie, die Leiden - man hört sie."

Die Flüchtlinge sollten über reguläre Kanäle kommen, nicht über das Meer

Die nächste Station ist der Hafen, an dem die Flüchtlinge aus Afrika ankommen: "Ich habe mehr Nächte, mehr Tage an diesem Pier verbracht, als in meinem eigenen Haus", meint Bartolo. "Seit dreißig Jahren komme ich jede Nacht hierher, jede Nacht und warte auf all diese Leute. Mir liegt dieser Ort sehr am Herzen, obwohl ich so viel Leid, so viel Entsetzliches, so viele Tote auf diesem Pier gesehen habe - so viele Tote. Und dafür sind wir verantwortlich! Wir sind es, die Kriege führen, die Hunger und Gewalt verursachen. Wir sind die Ursache für das alles! Sie wurden gezwungen zu fliehen, alles zu verlassen, um ein bisschen Sicherheit zu finden, und wir wollen sie nicht aufnehmen. Aber so laufen die Dinge nicht, das ist nicht richtig. Wir haben die Pflicht und die Verantwortung, ihnen zu helfen. Diese Menschen sollten normalerweise mit dem Flugzeug kommen, über reguläre Kanäle, über humanitäre Korridore. Nicht über das Meer. "

Die Lega lässt keine Rettungsschiffe an den Küsten Italiens anlegen

Aber nicht alle denken wie der Arzt. Auf der Insel gibt es viele Lega-Anhänger. Die Partei von Italiens Innenminister Matteo Salvini ist für eine Begrenzung der Zuwanderung. Ein neues Dekret verbietet Rettungsschiffen, an Italiens Küsten anzulegen. Während der Reportage liegt die Seawatch 3, das Schiff einer deutschen NGO, verbotenerweise kurz vor Lampedusa in italienischem Hoheitsgewässer.

Das Thema stand auf der Tagesordnung einer vom Bürgermeister Lampedusas organisierten Sitzung anlässlich des Besuchs einer humanitären Organisation.

"Ich schäme mich dafür, dass Italien diesen leidenden Menschen den Zugang zu unserem Land verbieten kann! Ich schäme mich", sagt Pietro Bartolo bei dem Treffen. Dann muss er die Sitzung verlassen. Er wird zu einem Einsatz gerufen: An diesem Tag dürfen 10 der insgesamt 52 Flüchtlinge auf der Seawatch 3 das Boot verlassen.

Die Einwohner Lampedusas fühlen sich vergessen

Auf der Insel bekommt Pietro Bartolo längst nicht von allen Einwohnern Unterstützung. Viele sind der Auffassung, dass zu viele Anstrengungen und Mittel für Migranten aufgewendet werden, während nichts für die lokale Entwicklung getan wird. Mangelnde Infrastruktur und Arbeitsplätze, hohe Steuern, Lampedusa sei von der Politik vergessen worden, heißt es. Die Beteiligung an den Europawahlen war gering, fast die Hälfte wählte die Regierungspartei Lega von Matteo Salvini.

Die euronews-Reporterin trifft die Frau, die Pietro Bartolo im Auto hinterher schrie. Die Restaurantbesitzerin Angela Maraventano ist eine ehemalige Senatorin der Lega-Partei.

"Das ist ein traditionelles Rezept aus Lampedusa. Man darf die Kultur des eigenen Landes nie aufgeben", meint sie. "Ich habe mich dem Lega-Projekt aufgrund der Probleme angeschlossen, die den Alltag meiner Insel seit so vielen Jahren bestimmen. Es geht um Gesundheitsversorgung, Bildung, Verkehrsmittel, die Abfallentsorgung. Wir haben Flüchtlinge mit offenen Armen aufgenommen. Jetzt haben wir genug. Jetzt bitten wir die nationale Regierung und das Europäische Parlament, uns etwas zurückzugeben."

Ein Ladenbesitzer fügt hinzu: "Junge Leute finden nur vier oder fünf Monate Arbeit im Jahr. Nichts Längerfristiges, also gehen die meisten von ihnen weg."

"Wir wollen nur Wachstum, und es ist nicht die Einwanderung, die Lampedusa wachsen lässt", meint der Stadtratsvorsitzende Davide Masia. "Die Einwanderung kommt vor allem denen zugute, die Geld verdienen mit diesem Problem."

"Wir wollen ein ruhiges Leben auf unserer Insel", so Angela Maraventano. "Wir werden diejenigen willkommen heißen, die in Not sind, aber wir werden gegen dieses Phänomen kämpfen. Denn das befördert die Kriminalität, dahinter steckt die Mafia. Also offene Türen für Kreuzfahrtschiffe, für Fischer, für Touristen. Aber geschlossene Häfen für diejenigen, die Flüchtlinge transportieren, gegen die werden wir nicht aufhören zu kämpfen."

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