Türkische Asylsuchende verklagt Griechenland

Türkische Asylsuchende verklagt Griechenland
Copyright Zübeyir Koçulu
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Von Zubeyir Koculu
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Im Sommer 2019 ist Ayse Erdogan aus der Türkei nach Griechenland geflohen, um dort Asyl zu beantragen. Von ihrem Aufenthalt machte sie Fotos. Doch laut griechischen Behörden ist die türkische Frau angeblich gar nicht ins Land gekommen.

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Eine türkische Frau verklagt den griechischen Staat mit dem Vorwurf, die Polizei habe sie in die Türkei zurückgeschickt, als sie versuchte, in Griechenland Asyl zu beantragen.

Griechenland ist Unterzeichner der Europäischen Flüchtlingskonvention, nach der es illegal ist, Asylsuchende abzulehnen oder in Länder zurückzuweisen, in denen sie gefährdet sind.

Euronews sprach mit Ayse Erdogan, 28, im Gefängnis von Gebze, wo sie seit ihrer Rückführung in die Türkei durch die griechische Polizei am 5. Mai 2019 festgehalten wird.

Privat
Ayse Erdogan im GefängnisPrivat

Sie hatte versucht, in dem griechischen Dorf Cheimonio Asyl zu beantragen. Ihr wurde auch die medizinische Behandlung wegen eines verstauchten Knöchels verweigert.

Warum floh Ayse Erdogan?

Erdogan, eine Lehrerin, hatte am 4. Mai die Grenze zwischen der Türkei und Griechenland überquert. In der Türkei drohte ihr ein Gerichtsverfahren, sie sollte sich wegen Terrorismusvorwürfen verantworten. Die junge Frau wird beschuldigt, Mitglied der Gülen-Bewegung zu sein, die Ankara für einen gescheiterten Putsch gegen den türkischen Staat im Sommer 2016 verantwortlich macht.

Ankara bezeichnet die Gruppe, die von dem selbsternannten Kleriker Fethullah Gülen angeführt wird, als terroristische Organisation.

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"Ich bin schon lange in dieser Zelle, was mich zermürbt. Nach Jahren stand ich endlich kurz davor, meinen Zwillingsbruder zu treffen, als die griechische Polizei mich zurückdrängte", sagte sie gegenüber Euronews. "Ich werde nie vergessen, was sie mir angetan haben."

"Ich habe viel durchgemacht. Ich bin nicht nach Griechenland gegangen, um das Land zu plündern. Ich hatte nicht einmal vor, dort zu bleiben, sondern wollte von dort weiterfahren. Ich musste mein Land verlassen, weil der türkische Staat mich als Terroristin brandmarkt."

Foto: Zubeyir Koculu
Eleni TakouFoto: Zubeyir Koculu

Eleni Takou, der stellvertretenden Direktorin und Leiterin der Anwaltschaft bei HumanRights360, zufolge berichten Zeugen und Opfer fast täglich von so genannten "Push-backs" über den Evros-Fluss, den Tausende von Migranten jedes Jahr überqueren.

Die griechischen Behörden bestritten, dass Ayse Erdogan jemals in Griechenland war, aber Forensic Architecture, eine Forschungsagentur bei Goldsmiths, University of London, veröffentlichte im Februar in Zusammenarbeit mit HumanRights360 ein Video, das angeblich ein Beweis dafür ist, dass sie dort war.

Euronews hat die griechische Regierung um eine Stellungnahme gebeten.

Die Beweislage

Ayse hat Aufnahmen ihrer Reise gemacht, darunter auch Standortbestimmungen auf WhatsApp und ein Videotagebuch, das ihre Reise dokumentiert.

"Die Sicherheitsbeamten konfiszieren oder werfen die Telefone der Migranten normalerweise in den Fluss, bevor sie sie zur Rückkehr zwingen. In dieser Hinsicht ist Ayses Fall sehr überzeugend", sagte Takou.

Stefanos Levidis von Forensic Architecture fügte hinzu: "Zum ersten Mal können wir ihre gesamte Reise, ihren Aufenthalt im Land und die Polizeiwache sehen, wie sie sie aufgenommen hat. So konnten wir eine räumliche Analyse durchführen und multimediale Beweise erstellen, die das Zurückdrängen durch griechische Sicherheitskräfte belegen."

"Wir konnten beweisen, dass Ayse aus der Türkei nach Griechenland gekommen ist und sich auf der Polizeiwache von Chimonio befand. Sie verschwand dann und tauchte erst in einem türkischen Gefängnis wieder auf."

Nach Meinung von Levidis zeigt Ayse Erdogans Geschichte eine junge Frau, die "zwischen zwei Steinen", der Türkei und Griechenland, zerquetscht wird.

Ihre Anwälte legten das Video dem Staatsanwalt von Orestiada, Evros, vor.

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Klotildi Prountzou, ein Anwalt der griechischen NGO Council for Refugees, legte gegen eine Vorverfahrensentscheidung der Staatsanwaltschaft vom Dezember Berufung ein, mit der Erdogans Klage abgewiesen wurde. Außerdem wurden 60 Fotos, Screenshots, vier Videos und medizinische Dokumente vorgelegt, die zeigen, dass sich drei türkische Asylsuchende auf griechischem Boden befanden.

"Wir fordern den Staatsanwalt auf, alle Daten noch einmal ordnungsgemäß zu prüfen", sagte die Anwältin gegenüber Euronews.

In der Türkei wurde Erdogan bei ihrer Rückkehr 2019 verhaftet, weil sie ihrer vor dem Gerichtsverfahren nach Griechenland geflohen war.

Widersprüchliche Aussagen

Der Kommandant der Grenzwache von Orestiada sagte derweil der Staatsanwaltschaft, dass es am 4. Mai keine Verhaftung gegeben habe.

Die Videorekonstruktion von Forensic Architecture zeigt Ayse Erdogans Reise.

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Push Back Forensic

Ein Gerichtsdokument mit polizeilichen Zeugenaussagen vom 20. August 2019, das Euronews erhalten hat, zeigt jedoch, dass die griechische Polizei am 4. Mai drei türkische Migranten wegen illegaler Einreise nach Griechenland verhaftet hat. Ihre Namen und der Ort ihrer Verhaftung wurden nicht bekannt gegeben.

Kein Einzelfall

Zum ersten Mal überhaupt hat mit Ayse Erdogan ein Asylsuchender die griechischen Behörden anhand von audiovisuellen Beweisen verklagt, weil sie in die Türkei zurückgeschickt wurde. Seitdem gab es jedoch weitere Fälle.

Am 12. Dezember stellte sich eine Gruppe von fünf türkischen Asylsuchenden in der Grenzstadt Tychero der griechischen Polizei. Die Personen - nur als BG, SU, YAT, ZO und HY identifiziert - teilten ihren Aufenthaltsort einem örtlichen Anwalt mit, um rechtliche Unterstützung zu erhalten.

Aber es gelang ihnen nicht, ihn zu treffen. Sie behaupten, dass die griechische Polizei sie zu einer Polizeiwache und dann in einem Lieferwagen an das Ufer des Evros gebracht hat. Nachdem sie ihre Taschen und Ausweise überprüft und ihre Habseligkeiten beschlagnahmt hatten, zwangen maskierte Männer sie auf ein Boot zurück in die Türkei.

Athen wies die Vorwürfe kategorisch zurück und bezeichnete die in den Medien veröffentlichten Videos und Fotos, die diese Praxis angeblich belegen, als "Propaganda" gegen den Staat.

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Die Türkei öffnete im Februar ihre westlichen Grenzen zu Europa, um die europäischen Nationen zu zwingen, ihre Militäraktion in Idlib zu unterstützen, wo bisher mehr als 70 türkische Soldaten bei Kämpfen mit der von Russland unterstützten syrischen Armee getötet wurden.

Als Reaktion auf den Schritt Ankaras setzte die griechische Regierung Asylanträge für einen Monat aus und sagte, dass ab März alle Migranten in ihr Herkunftsland oder in die Türkei zurückkehren würden.

Ayse Erdogan ist fest entschlossen, vor griechischen Gerichten eine Entschädigung einzuklagen.

"Indem ist die griechischen Behörden verklage, werde ich zwar nicht vergessen, was ich erlitten habe, aber ich will die Angelegenheit nicht fallen lassen, da immer mehr Menschen in die Türkei zurückgedrängt werden”, sagt sie.

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