Afrikanische Schweinepest auf dem Vormarsch in Europa

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Von Hans von der BrelieSabine Sans
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Wildschweine verbreiten in Europa ein weiteres gefährliches Virus. Menschen können sich nicht damit infizieren, aber die wirtschaftlichen Auswirkungen könnten enorm sein.

Covid-19 ist nicht das einzige Virus, das den Planeten unsicher macht. In Europas Wäldern wütet die Afrikanische Schweinepest. Ungefährlich für Menschen - aber tödlich für Schweine. Das Problem: die Seuche wandert weiter, von Osteuropa Richtung Westen. Jetzt wurde in Westpolen ein an der Krankheit verendeter Wildschweinkadaver gefunden, nur zehn Kilometer vor der Grenze zu Deutschland...

Noch ist Westeuropa weitgehend ASP-frei und profitiert deshalb von den hohen Weltmarktpreisen für Schweinefleisch. Der Grund hierfür liegt darin, dass auch China - hier wird enorm viel Schweinefleisch konsumiert - unter der Afrikanischen Schweinepest leidet und deshalb massiv Fleisch importiert. Allerdings nur aus Ländern, die keinen einzigen Fall von ASP aufzuweisen haben. So wie Deutschland, Dänemark und die Niederlande, um nur einige zu nennen.

Im Zentrum der Abwehrschlacht steht Polen

Euronews-Reporter Hans von der Brelie war vor Ort, um hinter die Kulissen zu schauen, aber die Afrikanische Schweinepest ist ein heikles Thema. Trotz mehrwöchiger Vorbereitung, bestätigter Terminabsprachen und einem voll geländegängigen Euronews-Geländewagen sind wir auf einmal ganz allein im nächtlichen polnischen Wald... "Wir hatten eine Verabredung mit polnischen Jägern, die haben sich auf uns gefreut und wir haben uns auf sie gefreut – aber gerade eben kam die Absage aus Warschau, aus dem Ministerium: Nein, wir dürfen nicht mit polnischen Jägern filmen, schade", kommentiert unser Reporter auf einem Schlammweg im Scheinwerferlicht.

Die feste Zusage mehrerer Jäger wurde, nach einem Telefonat mit dem Landwirtschaftsministerium, rückgängig gemacht. Warum? Hat die polnische Regierung etwas zu verbergen? In der Tat tobt in Polen seit Monaten noch eine ganz andere "Schlacht", das Thema Wildschwein hat sich politisiert, Opposition und Regierung feuern mit schwerem Geschütz, zumindest verbal. Auch Umweltgruppen, Jagdverbände und Bauernlobby kämpfen um Deutungshoheit und Meinungsführerschaft.

Im Prinzip geht es um folgende Fragen:

- Hat die liberale Vorgängerregierung die Gefährlichkeit der Tierseuche unterschätzt, rechtzeitiges Handeln verschleppt, die Ausbreitung der Afrikanischen Schweinepest sozusagen "verschlafen"? Das glauben viele Bauern in Polen.

- Instrumentalisiert die jetzige, ultrakonservative Regierung das Thema durch martialisch-drakonische Schlagdrauf-Gesetze, um Punkte zu sammeln für bevorstehende Wahltermine? So lautet die Lesart der Opposition.

- Tummeln sich in der Schar der eigentlich recht gut organisierten polnischen Profi-Jäger zuviele Hobbyjäger, die sich nicht an die Regeln halten? So belegen es einige Schockvideos.

- Legen Umweltaktivisten, so die konservative Lesart der Regierung, "falsche Fährten", um aus "übertriebener Tierliebe" die polnischen Jäger als Sündenböcke abzustempeln?

Die Wurstbrotspur

Ein Frachtschiff brachte das Virus 2007 ungewollt von Afrika nach Georgien. Genau lassen sich die Einzelheiten heute nicht mehr rekonstruieren, doch offenbar war das gefährliche Schweinepestvirus in Abfällen. Russland und weite Teile Osteuropas wurden verseucht: die Ukraine, Weissrussland, die baltischen Staaten, Ungarn, die Tschechische Republik, Teile Polens, Bulgarien...

Die Liste ist lang und blutig. Denn Wildschweine übertragen das Virus auf Hausschweine. Und dann wird der gesamte Bestand "gekeult". Tausende, zehntausende Hausschweine werden getötet. Darunter leiden insbesondere Rumänien und Bulgarien ganz massiv. Und jetzt eben auch Polen.

Auffällig - und von Fachleuten immer wieder angemahnt - ist die Tatsache, dass sich ein gewisses Muster abzeichnet. Die Ausbreitung der Afrikanischen Schweinepest erfolgte zunächst entlang von vielbefahrenen Fernfahrerrouten, "die Wurstbrotspur" nennen das die Forscher. Denn das Virus kann nicht nur von Tier zu Tier, also von Wildschwein zu Wildschwein oder von Wildschwein zu Hausschwein übertragen werden, sondern überlebt bedrohlich lange auch in Fleischprodukten, da hilft auch das Zwischenlagern im Tiefkühlfach nicht viel.

Wenn der Fernfahrer dann die Reste seines Wurstbrotes an der Raststelle ins Gebüsch wirft und das hungrige Wildschwein im ukrainischen Unterholz diese Reste auffrisst - dann wandert das Virus vom Wurstbrot zurück ins Wildschwein.

Wildschweine wandern. Gemächlich zwar, aber sie wandern. Die Ausbreitung der Seuche in Europa seit 2007 scheint beide Ausbreitungwege aufzuweisen: "Sprünge" (siehe: Die Wurstbrotspur) über riesige Distanzen wechselten sich ab mit langsameren Perioden, in denen die Afrikanische Schweinepest geographisch zu stagnieren schien oder nur sich nur langsam ausbreitete.

Die Spur der Jäger

Doch es gibt neben der "Wurstbrotspur" - wie in jedem Thriller - noch weitere Verdächtige. Schauen wir uns einmal genauer an, was wann in Polen geschah. 2014 gab es hier die ersten Fälle, im Osten Polens, unweit der Grenze zu Weissrussland und der Ukraine. Zunächst schien es so, als würde die Afrikanische Schweinepest nur im Osten und Norden Polens zirkulieren, der Westen des Landes war offenbar jahrelang ASP-frei.

Doch nun ist die Seuche plötzlich dreihundert Kilometer weit "gesprungen", bis an die polnische Grenze mit Deutschland. Erneut ein Wurstbrot im Gebüsch an der Fernfahrerhaltebucht? - Polnische Umweltschutzaktivisten haben nun eine neue Spur entdeckt, die Spur der Jäger...

Wir sind unterwegs mit Tomasz Zdrojewski, er ist Sprecher einer Dachorganisation, die sich Niech Zyje nennt (was man in etwa mit "am Leben bleiben" übersetzen kann) und vor neun Jahren gegründet wurde. Etwa 40 polnische Umwelt- und Naturschutzgruppen sind Mitglied bei Niech Zyje. Der Dachverband ist alles andere als eine Gruppe durchgeknallter Hippies.

Hier sind echte Naturschutzprofis am Werk, eine Lobby, die zählt - und (gelegentlich) Gehör findet. Bei Gesetzesinitiativen melden sie sich zu Wort, versuchen Einfluss zu nehmen, dem Natur- und Umweltschutz eine Stimme zu verleihen. Bei Expertenrunden und Podiumsveranstaltungen wird Fachwissen geliefert. Und vor Ort sind Aktivisten unterwegs, die ermitteln, beobachten, Daten und Fakten sammeln. Auch im polnischen Wald. Auch in Jagdrevieren.

Wir haben uns in der polnischen Hauptstadt Warschau verabredet, Tomasz Zdrojewski klettert in unseren allradgetriebenen Euronews-Produktionsgeländewagen, machen uns auf den Weg zum "Tatort", ein Waldgebiet, eine knappe Stunde Autofahrt von Warschau entfernt.

Als es von der Autobahn abgeht, wird es schnell holprig. Auf schmalen Waldwegen arbeiten wir uns durch monotone Nadelwaldpflanzungen, nur gelegentlich abgelöst von vereinzelten Laubbäumen und einigen Wiesen. Mehrmals überprüft Tomasz Zdrojewski die Fahrtroute auf seinem Navigationsgerät.

Doch, der Weg stimmt. Wir halten an, steigen aus. Während unser Drohnenpilot Pawel Sudol sein Fluggerät aufsteigen lässt für die Luftaufnahmen (übrigens: Danke Pawel, Klasse Bilder), zeigt uns Tomasz Zdrojewski einen Pfad zwischen hohen Stämmen und ein angrenzendes Feld. "Dort, Wildschweinspuren", meint er plötzlich. Der weiche Ackerboden ist voll von Wildfährten, Abdrücken von Rehen, Rotwild, Schwarzwild...

"An derselben Stelle war vor einigen Wochen eine Gruppe von Jägern unterwegs. Die toten Tiere wurden quer über das Feld geschleift. Hier haben wir eine breite Blutspur entdeckt, Dutzende Meter lang. Das ist ein echtes Problem, denn andere Wildschweine können sich an dem Blut infizieren, falls eines der geschossenen Tiere an ASP erkrankt ist", empört sich Tomasz Zdrojewski.

Einige polnische Jäger kümmerten sich nicht um die europaweit geltenden Grundregeln zur Eindämmung der Afrikanischen Schweinepest, klagt Zdrojewski. Dann kommt er zur Sache:

"Wenn viele Jäger unterwegs sind, laufen die Tiere in Panik weg, dadurch wird die Seuche auch Richtung Westen weitergetragen", so Zdrojewski. "Genau das ist hier passiert, obwohl Jagdgruppen in dieser Pufferzone verboten sind."

Wenn das stimmt, dann haben wir es hier, auf diesem unscheinbaren Acker am Rande eines langweilig wirkenden Nadelwaldes, mit einem Riesenskandal zu tun. Denn hier geht es nicht um einige lokale Jagdauflagen, die möglicherweise nicht beachtet wurden. Hier geht es um eine europaweit grassierende, ganze Tierbestände verwüstende Tierseuche, die unzählige Landwirte in ihrer Existenz bedroht, die volkswirtschaftlich weitreichende Auswirkungen hat, eine laut EU-Gesetz anzeigepflichtige Seuche, die eingedämmt werden MUSS, die auf gar keinen Fall weiterverbreitet werden darf.

Jagd auf die Jäger

Die Aktivisten von Niech Zyje "jagen die Jäger" mit Kameras. Ein Video löste eine polenweite Debatte aus, Tomasz Zdrojewski beschreibt den Inhalt: "Die weiden die Wildschweine ohne Schutzkleidung aus, mit nackten Händen, ohne sich an die geltenden Regeln zu halten, überall ist Blut, sogar das Auto steht mitten im Blut."

Seiner Auffassung nach haben alle polnischen Regierungen seit 2014 Fehler an Fehler gereiht. Man habe die "falschen Mittel" ergriffen und "populistische Pseudomethoden" verwendet. Immer habe man nur von Abschuss geredet, doch das sei "zu einfach". Es fehle an einer echten Strategie, die mehrere Lösungsansätze kombiniere.

Niech Zyje ist am parlamentarischen Konsultationsprozess beteiligt. Jüngster Vorschlag der Dachorganisation: Man solle gewisserweise die Bewegungsfreiheit der Jäger vorübergehend einschränken. Wer an einer Jagd in einem bestimmten Revier teilgenommen habe, solle nicht einfach sofort in ein weit entferntes anderes Revier fahren dürfen, sondern erst einmal 72 Stunden daheim abwarten.

Forderung nach mehr Geld für Kadaversuche

Und: sehr viel mehr Geld solle in die Suche nach verendeten Wildschweinkadavern investiert werden. Das Zusammenspiel vieler Techniken ist ausschlaggebend, die Ausbreitung der Tierseuche einzudämmen: perfekte Reinigung der Jagdkleidung, immer und überall, besondere Behandlung der Jagdstiefel und -messer, immer und überall, noch bessere Schutzmethoden vor, um und in den Hausschweinbeständen, gezielter Abschuss kranker Tiere in den besonders von ASP betroffenen "roten Zonen", aber erst nach Einzäunung der Reviere - da ja ansonsten genau das Gegenteil erzielt wird, nämlich eine Versprengung der Tiere...

Das Geldargument ist durchaus konkret, Tomasz Zdrojewski nennt Zahlen. 72 Millionen Zloty habe die polnische Regierung im Rahmen der ASP-Bekämpfung für Bejagung bereitgestellt - aber gerade einmal eine Million Zloty für die Tierkörpersuche in Polens riesigen Wäldern. Doch gerade die an Afrikanischer Schweinepest verendeten Wildschweine sind wahre Virusbomben... "Alle Wissenschaftler in Polen, in ganz Europa, sind sich in diesem Punkt einig", meint Fachmann Zdrojewski.

Seuchenschutz nicht Ernst genommen

Doch auch die Schweinehalter kommen in seinen Augen nicht gut weg. Vor zwei Jahren habe es massive Kontrollen in den Betrieben gegeben, "74 Prozent der Bestände waren unzureichend gegen das Eindringen des ASP-Virus geschützt", erinnert Zdrojewski. Der Mann hat seine Zahlen im Kopf. Obwohl er in den Tagen vor unserem Treffen überlastet war, wenig Schlaf bekam, kennt er die Kennziffern des ASP-Sechsjahresbudgets 2014-2020 auswendig.

Insgesamt seien in diesem Zeitraum 580 Millionen Zloty zur Bekämpfung der Afrikanischen Schweinepest ausgegeben worden, "davon nur zehn Prozent für Biosicherheit und Entschädigungszahlungen an die Landwirte". Dann legt Zdrojewski nach: "Ein echtes Biosicherheitsgesetz, ein Seuchenschutzgesetz, das diesen Namen auch verdient hat, gibt es hier bei uns in Polen erst seit zwei Jahren." - Sein Fazit: "Es sollte mehr Geld für die Bauern geben und mehr Geld für Sicherheitsschleusen investiert werden."

Andere verteidigen den Plan, den Wildschweinbestand zu verringern

Andere verteidigen die Jäger, so wie hier in Westpolen, in Miedzyrzecz, Deutschland liegt nicht weit weg. Großbauer Pawel Egrowski lädt uns ein in seine Wohnküche, es gibt Kaffee und selbstgebackenen Kuchen. Neben der Küchenanrichte hängt ein riesiger Bildschirm, über den der Schweinezüchter alle Gebäude, Ein- und Ausfahrten seines ausgedehnten Betriebsgeländes per Video im Blick behalten kann.

Egrowski ist ein freundlicher, aufgeschlossener Mann, wohlhabend, drei Kinder, viele Hektar Wald- und Landbesitz. Geschlachtet wird in Stettin. Sein Schweinefleisch exportiert er nach Großbritannien und Japan. Mit seiner Frau hat er unlängst das naheliegende Dresden in Deutschland besucht. In Warschau unterhält er gute Beziehungen zur derzeitigen Regierung. Eines seiner Kinder lebt in Berlin, ist dort verheiratet. Die Egrowskis sind eine europäische, polnische Familie. Und in gewisser Weise verkörpern sie Polens Weg nach oben. Sicher ist: Egrowskis Wort zählt hier in der Gegend.

Bereits Egrowskis Vater züchtete Schweine, wenn auch nur wenige. 1992 startete Egrowski Junior so richtig durch. Bis dahin leitete er die landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft, dann kaufte er sich ein, nahm sein Schicksal in die eigenen Hände, hatte Erfolg. Zunächst waren es 3000 Schweine, dann 5000, im vergangenen Jahr sogar 9000 Hausschweine. Egrowskis Geschichte ist eine westpolnische Erfolgsgeschichte, voller Unternehmergeist, Wagemut, Risikobereitschaft.

Dann kam die Hiobsbotschaft: Die Afrikanische Schweinepest sprang von Ost- nach Westpolen. Als zur Jahreswende im Westen kranke Wildschweine entdeckt wurden, verkaufte Egrowski sofort alle 9000 Hausschweine. Eine Panikreaktion? "Nun, der Preis war gut", schmunzelt er. Doch hinter der selbstsicheren Fassade des gestandenen Großbauern lässt sich eine Spur Verunsicherung bemerken, kurz nur, dann geht es weiter mit Technik, Lösungen, Vorschlägen.

Die Quarantänezeit unmittelbar nach dem Verkauf seines Bestandes nutzte Egrowski, um seine Sicherheitsschleusen noch weiter auszubauen. Davon profitiert auch unser Euronews-Produktionswagen, so gründlich wurde der schon lange nicht mehr gereinigt. Egrowski kann sich das nicht billige Desinfektionsmittel leisten, er ist wohlhabend. Doch manch anderer Landwirt in Polen, der wirtschaftlich etwas bescheidener aufgestellt ist und knapper kalkuliert, könnte versucht sein, zu sparen, vielleicht eine kleinere oder keine Matte zur Reifenreinigung zu kaufen, etwas weniger häufiger zu desinfizieren - oder in der Hoffnung, dass nicht überall gleichzeitig kontrolliert werden kann, gleich ganz auf einen Schutzzaun um den Betrieb herum zu verzichten.

Für Egrowski ist das keine Option, bei ihm wird Seuchenschutz von A bis Z durchbuchstabiert, kompromisslos: "Biosicherheit ist wirklich wichtig, denn die Autos kommen oft aus einer anderen Gegend", sagt Paweł Egrowski. "Es ist absolut notwendig, zuerst die Reifen zu desinfizieren und dann auch die Seiten des Wagens mit Desinfektionsmitteln abzusprühen. Auf dem Weg zwischen den einzelnen Betriebsgebäuden gibt es erneut Desinfektionsmatten, für die Stiefel."

Schweinehalter Egrowski erklärt den Zuschuss, den die EU beisteuert: "Man kann eine EU-Hilfe für die Seuchenschutzbarrieren beantragen, 25.000 Euro, allerdings muss man das zuerst aus eigener Tasche vorstrecken, später bekommt man das Geld dann zurückerstattet."

Egrowski hat einen direkten Draht zum Landwirtschaftsminister, im Januar hat er ihn in Warschau besucht, mit ihm diskutiert. "Der beste Agrarminister, den Polen je hatte", schwärmt Egrowski. Und begründet das auch: Endlich werde man Ernst genommen, als Fachmann, als Gesprächspartner. Der Mann könne zuhören - und dann anpacken, sofort, ohne zu zögern, ergebnisorientiert. "Da beklagen sich die Jäger, dass sie keine Kühltruhen im Revier haben, um die geschossenen Wildschweine zwischenlagern zu können, der Minister hört zu - und eine Woche sind die Kühltruhen da", nennt Egrowski ein konkretes Beispiel.

Aber auch die Anstrengungen der deutschen Bundesregierung, mit China eine Lockerung der Schweinefleischimportbeschränkungen auf dem Verhandlungswege zu erzielen, nicht nur für Deutschland, sondern für ganz Europa, also auch für Polen, findet Egrowski ausgesprochen gut. Derzeit ist es so, dass China sofort, bei nur einem einzigen registrierten ASP-Fall in einem Land, den gesamten Schweinefleischimport einstellt. Was im Falle von Flächenländern wie Polen (seit 2014 mit ASP-Problem) oder Deutschland und Frankreich (derzeit noch ohne ASP) nur bedingt Sinn ergibt, glaubt Egrowski.

Die deutsche Bundesregierung würde gerne erreichen, dass China seine Handelsbeschränkungen lokal oder regional definiert, nicht auf die Gesamtfläche eines Staates bezogen. Wenn also beispielsweise die Afrikanische Schweinepest in Brandenburg auftreten würde (was derzeit nicht der Fall ist), warum dann gleich ganz Deutschland mit einem Schweinefleischexportverbot nach China belegen? Der polnische Großbauer Egrowski findet den Ansatz gut.

Polens Schweinezüchter stehen hinter dem Plan der Regierung, den Wildschweinbestand in vielen Regionen um 90 Prozent zu reduzieren. Ein neues Gesetz erlaubt den Einsatz von Schalldämpfern, damit soll der "Versprengung" der Wildschweine vorgebeugt werden: Wenn es nicht überall laut knallt, dann laufen die Tiere nicht blindlings in alle Richtungen davon, so die Logik hinter diesem Ansatz. Auch die Armee darf eingesetzt werden, so steht es jetzt im Gesetz.

2000 Wildschweine wurden Anfang des Jahres an der Grenze zu Deutschland geschossen. Dabei ging Polens Regierung nach dem Lehrbuch vor: Die Jäger bekamen Schalldämpfer ausgehändigt und die Abschussreviere wurden zuvor eingezäunt - um eine Versprengung der Wildschweine nach Deutschland zu verhindern.

EU will weg von der Intensivhaltung

Europa drängt die Schweinzezüchter umzustellen, weg von der Intensivhaltung. Dafür gibt es Geld aus Brüssel und Warschau. Egrowski versteht die Logik: wenn sich die Ferkel weniger eng drängen, dann haben auch Krankheiten geringere Chancen. Deshalb hat er "nur" 4000 Tiere nachgekauft - gerade einmal die Hälfte seines früheren Bestandes.

Der euronews-Reporter will wissen, was 2014 im Vergleich zur heutigen Politik falschlief, aus Egrowskis Sicht: "Die damalige Regierung hatte nie Geld, weder für den Bau von Wildschweinsperren, noch für Großjagden und Massenabschüsse", meint Egrowski. "So war das eben mit den Liberalen, die haben immer nur gesagt: kein Geld, kein Geld, kein Geld."

Wie schützt sich Deutschland vor der Ausbreitung?

Wildschweine sind gute Schwimmer. Die Angst geht um: Im März wurde auf polnischer Seite ein verseuchter Kadaver nur zehn Kilometer vor dem deutsch-polnischen Grenzfluß gefunden. Die ostdeutschen Bundesländer errichteten im Schnellverfahren Wildschweinbarrieren. So wie in Sachsen: Im Rekordtempo installierte das Technische Hilfwerk ein 130 Kilometer langes Netz.

Wir haben uns in Görlitz verabredet, der Treffpunkt liegt am Stadtrand, bereits im Treppenhaus des THW-Gebäudes riecht es verlockend nach Würstchen. Wer einen langen, harten Tag voll anstrengender Arbeit vor sich hat, braucht erst einmal ein anständiges Frühstück, so sieht das auch der Euronews-Reporter.

Gute Planung ist die halbe Miete: die THWler, mehrere Gruppen aus ganz Sachsen, arbeiten Hand in Hand, nutzen die Zeit im Frühstücksraum zur genauen Absprache: Wer übernimmt welchen Abschnitt, welche Handgriffe. Um zügig voranzukommen, setzen die Männer und Frauen des THW auf Arbeitsteilung. Die einen werden eingeteilt, die Stangen mit einem Hammer ins Erdreich zu rammen, die anderen folgen mit Flatterband, der Gruppenleiter kontrolliert und bringt Materialnachschub.

Der Plan steht, alle gehen zu den tiefblauen THW-Transportern, Aufbruch. Vorher verkabeln wir Dirk Würfel noch mit einem Mikrofon. "Wir fahren jetzt an die Neisse ran, dort stellen wir den Zaun auf, der verhindern soll, dass die Afrikanische Schweinepest zu uns herüberkommt", erklärt Dirk Würfel, Gruppenleiter beim Technischen Hilfswerk.

Das Sturmtief Sabine macht den THWlern zu schaffen. Doch die perfekt aufeinander eingespielten Katastrophenschützer sind hart im Nehmen und sie wissen, was auf dem Spiel steht: Gelangt auch nur ein einziges infiziertes Wildschwein über die deutsche Grenze, darf Deutschland keine Hausschweine mehr nach China exportieren. Gar keine mehr. Auch niederländische und dänische Bauern schieben Panik. Hier geht es um sehr, sehr viel Geld...

Dirk Würfel erklärt den Zaun: "Das ist ein Elektrozaun, direkt für Wildschweine ausgelegt, der ist auch von der Farbe her in Blau gehalten. Man hat erforscht, dass Wildschweine die Farbe blau richtig gut wahrnehmen können. Dazu kommt, dass oben drauf noch ein Flatterband entlang gespannt wird, das abschreckende Geräusche erzeugt.”

Wissenschaftler sind dem Virus auf der Spur

Landeshauptstadt Dresden. Der euronews-Reporter hat eine Verabredung in der Landesuntersuchungsanstalt für Veterinärwesen. In diesem Superlaboratorium arbeiten Sachsens Superhirne in Sachen Tiermedizin. Den nüchternen Betonzweckbau kann man nur nach Anmeldung betreten. Auch hier wird Sicherheit Ernst genommen.

Es ist ein sonniger Tag, das Sturmtief Sabine ist weitergezogen. Aus einem Kühlraum bringt Laborassistentin Melanie Schönig einen Metallkorb mit WS-Schild, WS wie Wildschwein. Um die Sequenzierung vorzubereiten, benötigt es Geduld und Fingerspitzengefühl.

Finden Jäger einen Kadaver im Wald, dann landen die Proben hier, in den Händen von Doktor Dietrich Pöhle, Laborassistentin Melanie Schönig und den anderen Teammitgliedern. Die tierärztlichen Referenzlabore sind europaweit eng vernetzt, das Vorgehen standardisiert, denn die Afrikanische Schweinepest ist in der gesamten EU meldepflichtig.

Mit Messer, Mörser und Maschinen arbeitet Laborassistentin Melanie daran, dem Virus auf die Spur zu kommen. Doch glücklicherweise sind heute alle Proben negativ: (noch) keine Spur von Afrikanischer Schweinepest hier in Sachsen.

Die Landesregierung hat eine Taskforce gegründet: Wird das Afrikanische Schweinefieber entdeckt, wird landesweit Alarm ausgelöst. Sperrzonen, Begehungsverbote, Verbringungsverbote, Exportverbote, Keulungen, das volle Horrorprogramm. Nur gut, dass die Seuche noch nicht den Sprung über die Grenze geschafft hat...

Doktor Dietrich Pöhle stellt klar: "Die Afrikanische Schweinepest ist lediglich gefährlich für Wild- und für Hausschweine, für den Menschen jedoch absolut ungefährlich. Der Erreger kann auch auf Hausschweine übergehen. Eine weitere Gefährdung liegt darin, dass Produkte, die aus erkrankten oder infizierten Schweinen hergestellt wurden, Wurstwaren zum Beispiel, über grössere Distanzen verbracht werden."

In Polen wütete die Schweinepest besonders stark

Zurück nach Polen. Ges liegt weit im Osten. Weissrussland ist nicht weit. Andrzej Waszczuk ist Schweinehalter in dritter Generation. Wird die Familientradition mit ihm zu Ende gehen? 2019 wütete die Afrikanische Schweinepest gräßlich im Nordosten: 35.000 Hausschweine wurden gekeult.

Auch im Westen Polens: Dort mussten Anfang des Jahres 24.000 Tiere notgeschlachtet werden.

Bauer Waszczuk beklagt sich über die Regierung: die solle mehr tun, um verendete Wildschweine - wahre Virusbomben - aus den Wäldern zu entfernen:

"Die Wildschweinkadaver werden nicht rechtzeitig beseitigt, die liegen manchmal drei oder vier Tage in der Landschaft rum, bevor die Behörden jemanden zum Einsammeln losschicken. Wir Landwirte sind stinksauer. Bevor die Seuche kam, gab es in der Gegend 2000 Schweinehalter - jetzt sind es nur noch 600."

Wildschweinbarrieren und Forschungskooperation: Deutschland und Polen kämpfen Schulter an Schulter. Der gemeinsame Feind: die Schweinepest.

Andrzej Waszczuk weiss: Die Seuche sucht nicht nur seine Schweine heim. Wenn Hunderte Schweinehalter zum Aufgeben gezwungen werden, dann stirbt das Dorf: Die Menschen ziehen weg. Das Land wird leer.

(Redaktionelle Anmerkung: Diese Reportage wurde im Februar 2020 in Polen und Ostdeutschland gedreht. Aufgrund der aktuellen Entwicklung um Covid-19 mussten wir die Ausstrahlung mehrfach verschieben. Um jegliche Verwechslung oder Falschinterpretation zu vermeiden, möchten wir hiermit noch einmal ausdrücklich darauf hinweisen, dass ASP eine nicht auf den Menschen übertragbare Tierseuche ist.)

Journalist • Hans von der Brelie

Weitere Quellen • Drohnenpilot: Pawel Sudol

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