Deutschland im Energie-Wahlkampf: Wo weht der Wind des Wandels?

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Von Hans von der Brelie
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Die kommende Regierung wird Deutschland von Grund auf umkrempeln. Das Land braucht eine neue Energie-Infrastruktur. Schmerzfrei wird das nicht gehen!

Über Deutschland weht ein Wind des Wandels. Am 26. September wird gewählt. Die neue Regierung steht vor gewaltigen Herausforderungen: Das Land muss klimaneutral werden – bis 2045, so steht es im Gesetz.

„Zentrales Wahlkampfthema in Deutschland: Schafft das Land die Energiewende? Die großen Parteien setzen auf Sonne und Wind, seit Jahrzehnten schon. Doch Bürokratie und wütende Bürger verzögern die Wende“, so euronews-Reporter Hans von der Brelie.

Bayern und die 10H-Regel

Rhön-Grabfeld – ein fränkischer Landkreis im Norden von Bayern. Windpark-Manager Erich Wust klärt uns auf über politische Fallen, Genehmigungsprozeduren im Schneckentempo, klagewütige Bürger und Bayerns berühmt-berüchtigte 10h-Regel: Zehnmal Windrad-Höhe, das ist der Mindestabstand zur nächsten Wohnbebauung. Ausgedacht hat sich das ein Franke aus der Nachbarschaft, 2014 wurde es Teil der bayerischen Landesbau-Ordnung. 10H, das ist so etwas wie der Super-Gau der bayerischen Windenergie-Erzeuger, Altanlagen dürfen zwar stehen bleiben – doch neue werden keine mehr gebaut. Zwar gibt es Ausnahmeregeln, die Kommunen dürfen theoretisch anders entscheiden – aber welcher Bürgermeister traut sich das schon? Herr Wust, was wünschen Sie sich von der Politik?

„Wenn wir den Ausbau der erneuerbaren Energien schaffen wollen, dann müssen wir insbesondere hier in Bayern diesen obersten Bremsklotz, diese 10H-Regelung, schnellstmöglich abschaffen. 10H hat in Bayern dazu geführt, dass seit zwei Jahren kein einziger Bauantrag mehr eingereicht wurde“, sagt Wust.

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Wargolshausen: Wut auf Windkraft

Wir wollen wissen, warum die Wargolshausener wütend sind auf die Windkraft-Investoren. Manche haben Angst vor Infraschall, andere argumentieren mit Vogelschutz - hier fliegt der Rotmilan. Doch im Kern geht es um Raumordnung und Landnutzung: „Es geht darum, dass die Gemeinde ihr Neubaugebiet erst mal so nicht ausweisen kann und darauf Rücksicht nehmen muss, dass hier zwei Windparks geplant oder betrieben werden und dass es dann im Endeffekt sein kann, dass ich keine Bauplätze mehr bekomme“, sagt Hubert Warmuth von der Wählergemeinschaft Wargolshausen.

Monika Zimmer vom Verein zum Schutz der Umwelt und des Kulturerbes in Rhön-Grabfeld (SUKRG e.V.) erläutert: „Es gab 1700 Unterschriften für eine gewürdigte Petition und Wargolshausen, der Ortsteil hier, ist mit 80 Prozent gegen die Windkraft.“ Ihr SUKRG-Kollege Stefan Reinhart sagt: „Wargolshausen wird von 200 Meter hohen Windrädern total eingekesselt und da fühlen wir uns total beeinträchtigt.“ Und Julia Diller, die sich ebenfalls in die SUKRG-Arbeit einbringt, meint: „Wir haben schon die Befürchtung, dass die Häuser hier nichts mehr wert sind, wenn wirklich diese 23 Windräder um uns herum aufgebaut sind.“

Spitzenkandidaten von Grünen UND Konservativen wollen deutschlandweit zwei Prozent der Freiflächen für Windkraft einplanen. Sozialdemokraten und CDU/CSU verkünden im Wahlkampf, Genehmigungsprozeduren von sechs Jahren auf sechs Monate verkürzen zu wollen.

Investoren wollen Verlässlichkeit

In Wargolshausen tobt die Windrad-Schlacht bereits seit einem Jahrzehnt. Jüngster Stand: Investoren müssen Fundamente für moderne, leise Anlagen zerstören. Sie dürfen hier nur die lauteren Altanlagen bauen. Investor Jürgen Rüth betont: „Wir haben sechs Millionen hier bei diesem Projekt verbrannt und es kann nicht sein, dass es so zukünftig weitergeht.“

Auch Harald Schwarz ist Investor. Er fordert: „Es muss in der Zukunft eine Verlässlichkeit in der Politik sein. Die Parteien haben das fast alle im Programm: die Genehmigungsbehörden brauchen schnellere Prozesse – und Verlässlichkeit bei allen Beteiligten, weil die Energiewende ist notwendig und das, was hier passiert ist, ist eine Katastrophe gewesen.“ Rüth: „Wir brauchen Politiker mit einem starken Rückgrat und Durchsetzungswillen, damit so ein Dilemma nicht mehr passiert.“

Wir brauchen Politiker mit einem starken Rückgrat und Durchsetzungswillen, damit so ein Dilemma nicht mehr passiert.
Jürgen Rüth
Investor

Raimund Kamm vertritt die Interessen der erneuerbaren Energie-Erzeuger. Wir treffen ihn in seinem Arbeitszimmer in Augsburg, die Wände sind bis unter die Decke verstellt mit Regalen voller Aktenordner und Fachliteratur. In einem Blumentopf steckt ein buntes Kirmes-Windrad.

In der Vergangenheit waren Deutschlands Politiker zu eng mit Atom- und Kohlelobby verbandelt, antwortet Kamm auf die Frage, warum Deutschland nicht schneller vorankommt mit der Energiewende. Und heute? „Jetzt, im Jahr 2021, sehe ich das Hauptinteresse bei der Erdgaswirtschaft, dass die versuchen, den Energiewechsel, die Energiewende aufzuhalten. Sie haben großen Lobbyeinfluss, und das ist sehr gefährlich – und diesen Politikern müssen wir – lassen sie es mich hart sagen – auch das Handwerk legen und sagen: Ihr seid Klimaverschmutzer. Noch mal vier Jahre Zeit zu verlieren, können wir uns nicht leisten“, so Kamm.

Stören Windräder das Dorfleben?

Auf geht's nach Ebersberg. Der Landkreis neben München will die Bürger mitnehmen, wie es in Politikerreden immer so schön heißt. Wie sieht das konkret vor Ort aus?

Damit das Dorfleben nicht gestört wird, sollen die Windräder in die bayerischen Staatsforsten. Mit dieser Idee ging der bayerische Ministerpräsident Söder (CSU) an die Öffentlichkeit, als die Kritik an der 10H-Regel nicht verstummen wollte. Der Ebersberger Forst - hier sollen fünf Räder aufgestellt werden - ist nur ein Beispiel von möglicherweise sehr vielen Staatsforst-Standorten. Obwohl: Einigkeit herrscht auch über diesen Vorschlag aus der Münchner Staatskanzlei noch lange nicht.

Schauen wir uns einmal in Ebersberg um. Ein Postkarten-Landkreis, der ländliche Traditionen, architektonisches Bauerbe, gute Landküche und modernes Bürgertum miteinander vereint. Ein Fleckerl Erde, wo es sich gut leben lässt. München ist nicht weit, die Rad- und S-Bahnnetze sind perfekt ausgebaut, was braucht man mehr zum Glücklichsein? Richtig, eine Debatte zur Energiewende:

Wie kann der CO2-Ausstoß auf dem Land am besten verringert werden? Die örtliche Energie-Agentur informiert die Bürger und organisiert Rollenspiele. Bei der Abstimmung im Mai gab es eine knappe Mehrheit für die Windräder im Wald. Manuel Knecht von der Energie-Agentur sagt: „Ziel von dem Landkreis Ebersberg ist es, dass wir bis 2030 die Klimaneutralität erreichen. Die wichtigste Säule für die Zukunft ist ganz klar, Photovoltaik viel stärker ausbauen und ganz wichtig: Windkraftanlagen.“ Nur dadurch schaffe man die Energiewende, man sehe sofort die Auswirkung, betont er und fragt: „Was passiert denn, wenn wir kein Windrad bauen, oder doch ein Windrad bauen? Wir sehen dann einfach: Wir müssen das installieren.“

Auf dem riesigen Dorfmodell in der Energie-Agentur führt Knecht es vor. Eine spezielle Software wurde entwickelt, damit werden die Veränderungen im Energieverbrauch, bei der Energieversorgung maßstabsgerecht umgerechnet in CO2-Ersparnisse. Entscheidungsträger oder interessierte Bürger können hier durchspielen, was es heißt, eine Dorfgemeinde komplett umzustellen auf Erneuerbare Energien, man sieht - mathematisch präzise berechnet - wieviel ein Windrad bringt (oder fünf). Man versteht, dass es einen Unterschied macht, diesen oder jenen Typ von Biogasanlage zu installieren. Man kann vergleichend ablesen, ob es besser ist, eine große PV-Anlage auf einem Fabrikdach zu installieren, viele kleine Anlagen auf Privathäusern - oder Freiflächenanlagen auf dem Acker. Oder alles zusammen.

Gefahr für Fledermaus und Wespenbussard

Der Ebersberger Forst, gleich um die Ecke, ist eines der größten geschlossenen Waldgebiete im bayerischen Flachland. Die Gegner des Projekts wollen, dass das so bleibt. Sie befürchten, dass Windräder im Wald andere Projekte nach sich ziehen, Straßen oder sonstige Infrastrukturbauten. Die Pro-Wind-Abstimmung vom Frühjahr wollen sie nicht akzeptieren – und planen eine Klage. „Hier sollen die Windräder hin, fünf Stück, ziemlich dicht, weit in den Wald hinein“, so Kerstin Mertens von der Schutzgemeinschaft Ebersberger Forst und entfaltet eine große Karte.

Mertens erinnert an die Kühlfunktion der großen Waldfläche für den Großraum München. Und daran, dass zahlreiche Menschen hier wandern, joggen, sich erholen. Es sei absurd, Bäume zu fällen, um den Wald zu schützen, versucht sie das Argument der Windradbefürworter zu entkräften.

Wie steht es um den Vogelschutz? Eigentlich verfüge der Landkreis Ebersberg ja eigentlich auch außerhalb des Waldes über genug Fläche, „wo man die Windräder hinstellen könnte“, meint Benedikt Sommer vom Landesbund für Vogelschutz. Er ist nicht prinzipiell gegen Windkraft, ganz im Gegenteil. Nur will er eben keine Windräder im Wald haben.

Während in der Polit-Arena diskutiert wird, ob und wie man künftig Klage-Möglichkeiten beschränken sollte, zeigt uns Mertens den Grund für ihr Engagement gegen Windräder hier. Zwischen den Bäumen gehen wir auf einen Nistkasten zu, weit über tausend hängen im ganzen Wald verteilt. Vorsichtig öffnet Mertens einen der Kästen: Niedliche Langohrfledermäuse (offiziell: "Braunes Langohr") hängen hier. Mertens: „Wenn die Fledermäuse in die Nähe der Rotoren kommen, dann entsteht ein Unterdruck und dieser Unterdruck führt dazu, dass ihre Lungen platzen.“

Im Ebersberger Forst hat Mertens über ein Dutzend verschiedene Arten gesichtet, neben dem "Braunen Langohr" auch das "Große Mausohr", ja selbst der große Abendsegler kommt hier vor. Besonders wichtig ist das Vorkommen der sehr seltenen Bechsteinfledermaus, die im Ebersberger Forst ihr südlichstes Sommerquartier in Deutschland hat, in dem sie sich auch fortpflanzt.

LBV-Kreisvorsitzender Sommer schaltet sich ein: „Wir haben den Wespenbussard (Pernis Apivorus) hier, eine seltene, streng geschützte Art, die wirklich kollisionsgefährdet ist, die hier brütet, in wenigen Paaren und wo wirklich jedes einzelne Kollisionsopfer einen großen Verlust darstellt.“ - Offenbar wurde auch bereits der Schwarzstorch gesichtet.

Ich glaube, dass Windenergieanlagen mit der Energiewende einfach den größeren Beitrag zum Artenschutz beitragen.
Lea Steiner
Geologie-Studentin

Sören Schöbel-Rutschmann, Professor für Landschaftsarchitektur regionaler Freiräume an der Technischen Universität München, und Geologie-Studentin Lea Steiner sehen das anders. Auch sie leben hier, engagieren sich für die Energiewende und erinnern daran, dass der Ebersberger Fichtenforst ein Wirtschaftswald ist, von Menschen geschaffen, von Menschen genutzt, von Menschen verändert.

Dem Klimaschutz müsse oberste Priorität eingeräumt werden, so sehen das Schöbel und Steiner. Als Universitätsprofessor erarbeitet Schöbel-Rutschmann Vorschläge, wie Windparks in die Landschaft eingebunden werden können. Lea Steiner, die bei einem Bürgerbeiligungsprojekt namens AktivBüKe mitmacht, hat in einen Energieausschuss des Landkreises Vorschläge eingebracht, wie die Ziele zur CO2-Verringerung mit den Vorstellungen der Menschen vor Ort in Einklang gebracht werden können.

Gemeinsam machen wir uns auf den Weg in den Wald. Auf einer großen Freifläche, durchfurcht von Harvester-Reifenspuren, machen wir Halt. Im Hintergrund ist das Geräusch der Waldarbeiter zu hören, es wird gerodet, klar, das ist ein Wald, um Holz zu gewinnen. Überall Holzstümpfe, wohin das Auge blickt. Ein Wirtschaftswald eben, wiederholen Schöbel und Steiner erneut.

„Man muss unterscheiden, ob man jetzt jede einzelne Fledermaus, jeden einzelnen Vogel schützen will, oder ob man die Art schützen will. Und ich glaube, dass Windenergieanlagen mit der Energiewende einfach den größeren Beitrag zum Artenschutz beitragen“, so Steiner.

„Wir haben jetzt 30.000 Windräder in Deutschland. Völlig klar, wenn wir die Energiewende inklusive des ganzen industriellen Energiebedarfs, den wir haben, hinbekommen wollen, dann brauchen wir das Doppelte, eher das Dreifache an Windenergie-Anlagen.“

Solaranlagen: Das steht in den Wahlprogrammen

Wir machen einen Abstecher zum Bio-Bauernhof von Karl Schweisfurth. Gerade sind die Solarmodule für die riesige Scheune eingetroffen. Photovoltaik aufs Dach oder Freiflächenanlagen auf die Felder? Die Debatte ist politisch heiß – auch im Wahlkampf.

Dass neu gebaute Häuser verpflichtend mit Solaranlagen ausgerüstet werden müssen, lehnen CDU/CSU ab. Und: „Wir wollen, dass beim Bau von Freiflächen-Photovoltaikanlagen der Landwirtschaft keine zusätzlichen Flächen für naturschutzrechtlichen Ausgleich entzogen werden, wenn Mindestkriterien für Naturschutz und biologische Vielfalt auf der Anlagenfläche erfüllt werden“, betont die Union in ihrem Wahlprogramm.

Die Grünen haben diesbezüglich Folgendes vor: „Solardächer fördern und zum Standard machen“, heißt es im Wahlprogramm der Partei. Und weiter: „Beginnend mit Neubauten, öffentlichen und Gewerbegebäuden sowie Dachsanierungen wollen wir diesen neuen Standard perspektivisch auf den Bestand ausweiten.“ Und nicht nur auf Dächern, auch auf dem Land wollen die Grünen diese Form der Stromerzeugung stark nutzen, und zwar „vorzugsweise auf versiegelten Flächen, etwa über Parkplätzen, neben Autobahnen und Schienen und auf Konversions- oder Bergbaufolgeflächen.“

Auch die SPD äußert sich in ihrem Programm zu diesem Thema: „Unser Ziel ist eine Solaranlage auf jedem Supermarkt, jeder Schule und jedem Rathaus. Wir werden innovative Formen der erneuerbaren Stromerzeugung wie integrierte Photovoltaik in der Gebäudehülle und auf landwirtschaftlichen Flächen gezielt fördern und neue strategische Energiepartnerschaften aufbauen“, so die Sozialdemokratische Partei.

Wenn er jetzt eine ordentliche Vergütung kriegen würde, dann würde das funktionieren
Karl Schweisfurth
Bio-Bauer

Doch zurück nach Herrmannsdorf im Landkreis Ebersberg. Bauer Schweisfurth weiß, was er will: „Wir hätten im Landkreis genug Fläche, um alle Photovoltaik aufzubringen, um den Landkreis autonom zu machen, auf den Dächern. Da drüben ist ein Bauer, der hat drei große Ställe, der Benno. Der braucht natürlich niemals so viel Strom in seinem Betrieb, wie da drauf passen würde. Wenn er jetzt eine ordentliche Vergütung kriegen würde, dann würde das funktionieren, dann bräuchte man auch keine Freiflächen-Photovoltaik. (Es) muss ja nicht gleich 30 Cent sein – aber vielleicht 15 oder 18 Cent, dann würde sich das glaub' ich schon rentieren.“

Auch die Wirtschaftsverbände machen zunehmend Druck: von der kommenden Bundesregierung verlangen sie ein höheres Tempo bei der Energiewende. Gebraucht werden: eine neue Energie-Infrastruktur, Flächenzuweisungen, schnellere Entscheidungen. Sonst wird das nichts mit der Energie-Wende.

Weiterer Bericht zu diesem Thema (Tagesschau)...

Journalist • Hans von der Brelie

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