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Fast 300 Kinder missbraucht - Französischer Arzt Joël Le Scouarnec verurteilt

Eine Skizze einer Gerichtsverhandlung am 24. Februar 2025.
Eine Skizze einer Gerichtsverhandlung am 24. Februar 2025. Copyright  Valentin Pasquier via AP
Copyright Valentin Pasquier via AP
Von Alexander Kazakevich & Jan-Friedrich Funk
Zuerst veröffentlicht am Zuletzt aktualisiert
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Der nächste Missbrauchsprozess, der Frankreich schockiert. Der französische Chirurg Joël Le Scouarnec soll über mehrere Jahrzehnte fast 300 meist Kinder und Jugendliche missbraucht und vergewaltigt haben. Im bretonischen Vannes ist am Mittwoch das Urteil gefallen.

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Es ist der größte Fall von Kindesmissbrauch in Frankreich: Joël Le Scouarnec muss sich wegen hunderten sexuellen Übergriffen und Vergewaltigungen vor Gericht verantworten.

Am Mittwoch ist das Urteil im bretonischen Vannes gefallen. Der ehemalige Chirurg wird zur Höchststrafe, zu 20 Jahren Haft mit einer besonderen Sicherheitszeit von zwei Dritteln verurteilt, die mit einer 15-jährigen sozialrechtlichen Überwachung einhergeht.

Darüber hinaus kann er keinen medizinischen Beruf mehr ausüben und auch keine Tätigkeit, die mit Minderjährigen zu tun hat. Ihm wurde ebenso das Recht entzogen, Tiere zu halten und er ist nicht mehr wählbar. Die Staatsanwaltschaft hatte in ihrem Plädoyer bereits die Höchststrafe von 20 Jahren gefordert.

Vor der Verkündung des Urteils demonstrierte ein Kollektiv der Opfer mit Menschenketten vor dem Gericht in Vannes. Auf den Protest-Schildern stehen Sprüche wie "Je t'accuse" (Ich verurteile dich) oder "Un enfant violé, une vie violée" (Ein missbrauchtes Kind ist ein missbrauchtes Leben).

Protestschilder und ein Kollektiv der Missbrauchsopfer haben sich vor dem Gericht in Vannes versammelt. 28. Mai 2025.
Protestschilder und ein Kollektiv der Missbrauchsopfer haben sich vor dem Gericht in Vannes versammelt. 28. Mai 2025. AP Photo

Fast 300 Opfer - Täter führte Tagebuch

Le Scouarnec soll zwischen 1989 und 2014 fast 300 Opfer sexuell missbraucht haben, die meisten davon Kinder. Das Durchschnittsalter der Opfer gerade mal 11 Jahre. Der ehemalige Chirurg verging sich an den Jungen und Mädchen unter dem Vorwand von Untersuchungen oder während sie unter Narkose standen, im Operationssaal oder im Aufwachraum.

Der 74-Jährige hat über die Taten detailiert Tagebuch geführt. Er habe seine Opfer wie leblose Objekte behandelt und keinerlei Empathie gezeigt, so die Staatsanwaltschaft. Drei Monate dauerte der Prozess, hunderte Zeugen wurden angehört, es gab dutzende Nebenkläger.

Am Ende des Prozesses sagte Le Scouarnec, dass er "keine Nachsicht" verlange, sondern "einfach das Recht (...), diesen Teil der Menschlichkeit zurückzugewinnen, der mir so sehr gefehlt hat", wie die AFP berichtet. Vor Gericht hat er die Taten gestanden, an einzelne Opfer könne er sich aber nicht mehr erinnern, Reue zeigte er nicht. Die Verteidigung bezeichnete dieses "Geständnis" dennoch als "Akt der Wiedergutmachung" und forderte das Gericht auf, dies als strafmildernd in das Urteil einfließen zu lassen.

Chirurg wurde bereits verurteilt – und durfte weiter als Arzt arbeiten

Der Fall erschüttert Frankreich. Auch weil Le Scouarnec 2005 bereits wegen Besitzes von Kinderpornografie zu einer Bewährungsstrafe von vier Monaten verurteilt worden war. Als Arzt durfte er trotzdem weiter arbeiten und bekam in rund einem Dutzend Krankenhäusern im Westen Frankreichs verantwortungsvolle Posten.

Das ganze Ausmaß seiner Taten kam erst 2017 ans Licht. In den 90er Jahren hatte er vier Mädchen missbraucht, unter ihnen zwei seiner Nichten, eine Patientin und die sechs Jahre alte Tochter seiner Nachbarn. Die Nachbarin erstattete Anzeige. Bei der anschließenden Hausdurchsuchung wurden 300.000 kinderpornografische Fotos und Videos gefunden und auch die "schwarzen Notizbücher".

2020 wurde Le Scouarnec daraufhin zu 15 Jahren Haft verurteilt, die er zurzeit verbüßt. Nun der dritte Prozess. Und es könnten wegen anderer Opfer noch weitere folgen, so die Staatsanwaltschaft.

Opferorganisationen werfen Behörden Versagen vor

Vor allem die Tatsache, dass Le Scouarnec trotz Verurteilung weiter praktizieren durfte wirft Fragen auf. Opferorganisationen werfen den Gesundheits- und Justizbehörden Versagen vor und fordern im Anschluss an den Prozess eine unabhängige Untersuchung.

Eine Demonstration vor dem Gerichtsgebäude in Vannes am ersten Prozesstag, 24. Februar 2025.
Eine Demonstration vor dem Gerichtsgebäude in Vannes am ersten Prozesstag, 24. Februar 2025. AP Photo/Thomas Padilla

Auch der Verein "La Voix De l'Enfant" warf den Gesundheitsbehörden, den Krankenhauseinrichtungen und der Ärztekammer Untätigkeit vor.

"Entgegen den zwingenden Bestimmungen des Artikels L4126-6 des Gesetzbuchs über die öffentliche Gesundheit hatte das Gericht den Nationalrat der Ärztekammer nicht von dieser Verurteilung in Kenntnis gesetzt. Noch beunruhigender ist, dass, obwohl der nationale Rat der Ärztekammer des Finistère von zwei Ärzten auf diese Verurteilung aufmerksam gemacht worden war und im Juni 2006 versuchte, das Urteil zu erhalten, der Staatsanwalt mehr als fünf Monate brauchte, um es ihm nach zahlreichen Mahnungen des Rates der Ärztekammer zuzustellen", erklärte "La Voix De l'Enfant" in einer Pressemitteilung. Die Organisation ist der Ansicht, dass"eine große Anzahl von Opfern direkt von den schwer schuldhaften Untätigkeiten der Justiz- und Gesundheitsbehörden betroffen ist".

Französischer Ministerpräsident unter Druck

Auch ein weiterer Missbrauchsfall schlägt in Frankreich hohe Wellen. An einer katholischen Privatschule im südfranzösischen Notre-Dame-de-Bétharram sollen über Jahrzehnte Schülerinnen und Schüler missbraucht und geschlagen worden sein.

Ein Skandal mit politischer Dimension. Es geht es um die Frage, was und wieviel der französische Ministerpräsident François Bayrou über die Gewaltvorwürfe wusste. Mehrere seiner Kinder sind in Bétharram zur Schule gegangen, seine Ehefrau hat dort zeitweise unterrichtet. Bayrous älteste Tochter Hélène Perlant sagte Ende April, dass auch sie Opfer der Gewalt in Bétharram war. Ihrem Vater und ihrer Familie habe sie davon aber nichts erzählt.

Bayrou war in dieser Zeit unter anderem Präsident des Départementalrats und Bildungsminister. Mitte Mai musste der aktuelle Regierungschef vor dem parlamentarischem Untersuchungsausschuss aussagen. Dort hat er eine Vertuschung bestritten.

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