Mehr als 30.000 Kinder mussten vergangenen Winter mit Grippe stationär im Krankenhaus aufgenommen werden. Der Verband der Intensivmediziner fordert die StIKo auf, die Impfempfehlung für alle ab 6 Monaten auszuweiten.
Die ersten hat es bereits erwischt: Der Saisonwechsel geht in Deutschland alle Jahre wieder mit einer Grippewelle einher. Ein "deutlich unterschätztes" Virus, wie der Verband der Intensivmediziner auf seinem Jahreskongress warnt. Rund 30.000 Kinder mussten im vergangenen Winter aufgrund einer Grippe-Erkrankung in Krankenhäusern stationär aufgenommen werden.
Alarmierende Zahlen, wenn es nach dem Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) geht. "Wir fordern die Impfempfehlung aller Kinder ab sechs Monate und auch für die Erwachsenen", sagte Prof. Dr. med. Florian Hoffmann, Präsident der DIVI. Diese Forderung richtet der Verband an die Ständige Impfkommission (StIKo).
Denn die StIKo empfiehlt derzeit Menschen ab 60 Jahren, chronisch Kranken, Schwangeren, Bewohnern von Alten- und Pflegeheimen sowie medizinischem Personal zur Grippe-Impfung. Für Kinder wird bisher keine besondere Empfehlung ausgesprochen. Eine Empfehlung der StIKo hätte außerdem den Vorteil, dass gesetzliche Krankenkassen dazu verpflichtet wären, die Kosten für die Impfung zu übernehmen.
Imfpung verhindert nicht Erkrankung, aber schwere Verläufe
Das Ziel einer Impfung sei nicht das Verhindern jeder Infektion, sondern schwere Verläufe zu verhindern, erklärte der DIVI-Chef bei der Pressekonferenz. Von einem schweren Verlauf wird gesprochen, wenn Patienten ins Krankenhaus oder auf die Intensivstationen aufgenommen werden müssen.
Prof. Hoffmann ist auch Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Klinikum Dritter Orden in München-Nymphenburg. Rund 30.000 Einwohner entspricht der Größe einer deutschen Kleinstadt, eine Zahl, die vergangenes Jahr die Auswirkungen von Influenza deutlich machte: "Wir wissen letztendlich, dass 30.000 Kinder wegen einer Influenza ins Krankenhaus aufgenommen wurden."
"Das kann man nicht einfach so akzeptieren, wenn es vermeidbar ist", betont Prof. Hoffmann. Bei einer DIVI-Umfrage im Januar und Februar 2025 wurden 181 Patienten unter 18 Jahren gemeldet, die mit einer Viruserkrankung auf der Intensivstation aufgenommen wurden. Mehr als ein Drittel dieser Patienten war unter vier Jahre alt, der Großteil nicht gegen Grippe geimpft.
Von diesen Patienten sind etwa 10 Prozent an den Folgen der Influenza gestorben. Sie kamen mit Symptomen wie etwa Atemversagen, Kreislaufversagen oder auch neurologischen Symptomen. Rund ein Drittel der Patienten war für mehr als sieben Tage in stationärer Behandlung.
"Das sind dramatische Zahlen", erklärt Dr. med. Ellen Heimberg, stellvertretende DIVI-Sprecherin, die auf der interdisziplinären pädiatrischen Intensivstation am Universitätsklinikum Tübingen als Oberärztin tätig ist. "Wir haben es mit einer Erkrankung zu tun, die potenziell vermeidbar oder in einer deutlich abgeschwächten Form durch eine Impfung zu vermeiden wäre."
Andere Länder ergreifen bereits Maßnahmen
Der Verband der Intensivmediziner entschloss sich zur Impfempfehlung, um auch mit anderen europäischen Ländern gleichzuziehen.
"Wir müssen jetzt impfen, damit wir in zwei bis drei Wochen, wenn die Welle wirklich los geht, die Menschen auch geschützt haben", warnt Prof. Hoffmann und macht auf das Angebot in Apotheken aufmerksam. Um sich rechtzeitig vor einer möglichen Viruserkrankung zu schützen, empfehlen Experten für Risikogruppen eine jährliche Impfung von Oktober bis Mitte Dezember. Doch auch eine Impfung zu Beginn oder im Verlauf der Grippewelle kann laut dem Bundesgesundheitsministerium noch sinnvoll sein.
Behörden und Gesundheitsorganisationen rechnen mit einer starken Grippewelle. Der Verband der Intensivmediziner führt dies in Teilen auf die sich neu verbreitende Subklade K des H3N2-Virus zurück.
Besonders früh waren die Auswirkungen diesmal in Großbritannien zu spüren, bereits Ende September setzte dort die erste Grippewelle ein. Ein aktueller Wochenbericht des Robert-Koch-Instituts (RKI) bewertet die Zahlen für Deutschland derzeit als auf einem "moderaten, bzw. hohen, aber nicht unüblichen Niveau". Demnach deute sich nun der Beginn der Grippewelle in Deutschland an.
Oberärztin Dr. Heimberg erklärt, andere Länder würden bereits Maßnahmen planen. Mehrere Länder hätten bereits eine breitere Impfempfehlung ausgesprochen. Spanien habe etwa die Maskenpflicht im kommenden Winter im Gesundheitssystem geplant. In Deutschland bestehe eine gewisse Impfmüdigkeit nach der Pandemie. Nur etwa 30-40 Prozent der Risikogruppen seien nach Angaben der DIVI-Vereinigung der Empfehlung der Ständigen Impfkommission nachgekommen.
Was bringt die Impfempfehlung der StIKo?
Dieser Skepsis begegnet Prof. Hoffmann mit Verständnis. Ein 100-prozentiger Schutz könne nicht versprochen werden. Zudem sei der derzeitige Impfstoff noch nicht gegen die neue Subklade des Influenza-Virus H3N2 angepasst. Doch "jeder einzelne, der einen Schutz hat, ist einer weniger, der schwer erkranken kann", mahnt Prof. Hoffmann. Das zähle auch bei einer Impfung mit etwa 50 bis 60 Prozent Effektivität.
Prof. Hoffmann warnt, es sei wenig präsent sei, wie krank eine Grippe wirklich machen könne. Influenza-Erkrankungen werden oftmals nur mit der Lunge und den Atemwegen assoziiert. Komplikationen können allerdings auch das Gehirn betreffen, hinter Entzündungsprozessen und Schwellungen oder epileptischen Anfällen stecken.
Bei Kindern warnt die DIVI zusätzlich davor, dass sie in der Regel maßgeblich an der Verbreitung des Virus beteiligt sind. 50 Prozent der Kinder, die aufgrund einer Influenza-Erkrankung einen schweren Verlauf erleben, sind nach Angaben der DIVI vorher völlig gesund. "Es ist für alle letztendlich eine gefährliche Erkrankung", so Prof. Hoffmann.
In den Wochen der Grippewelle kommt es zudem zu Ausfällen von 10 bis 15 Prozent der Menschen in Erwerbstätigkeit. Der Verband der Intensivmediziner erwähnt hier auch die volkswirtschaftliche Bedeutung für Deutschland. Durch die deutlichen Krankheitsausfälle im Winter würde auch der Druck auf die Wirtschaft erhöht.
Früher Start in die Grippesaison
Die ersten Krankheitsfälle wurden dieses Jahr bereits drei bis vier Wochen früher als in den vergangenen beiden Jahren gemeldet. Das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) rät ebenfalls zu einer schnellen Grippeimpfung. Die Erkenntnisse decken sich auch mit einem Bericht der World Health Organisation (WHO).
"Es ist nach wie vor sehr wichtig, sich impfen zu lassen, insbesondere für Menschen mit einem höheren Risiko eines schweren Krankheitsverlaufs", betont Marc-Alain Widdowson, Leiter des Referats Pandemiegefahren, übertragbare Krankheiten und antimikrobielle Resistenz bei WHO/Europa. Laut einer Studie von WHO/Europa haben Impfstoffe zwischen Dezember 2020 und März 2023 in der Europäischen Region geschätzt 1,6 Millionen Menschenleben gerettet.
Auch die WHO nimmt Säuglinge und Kleinkinder zu den am meisten betroffenen Gruppen für schwere Verläufe bei Influenza oder Covid-19 mit auf. Weitere Gruppen bilden ältere Menschen, Schwangere, Menschen mit chronischen Erkrankungen und immungeschwächte Personen.
Mitte November 2025 lag die Zahl der positiven Grippetests in der primären Gesundheitsversorgung (ein Schlüsselindikator für die Influenza-Aktivität) in der Europäischen Region insgesamt bei 17 Prozent, so der WHO-Bericht. Ausgehend von früheren Trends wird erwartet, dass diese Saison Ende Dezember oder Anfang Januar einen Höhepunkt von etwa 50 Prozent Positivität erreichen wird.
Die aktuelle Variante der Subklade K des Virus A(H3N2) ist ersten Studien zufolge zwar nicht gefährlicher als andere Viren, aber möglicherweise ansteckender. Bei einer Ausbreitung in Australien waren insbesondere Kinder und Jugendliche unter 15 Jahren betroffen. Jede dritte bestätigte Infektion gab es in dieser Altersgruppe.
Wie man sich vor Grippe schützt
Ganz klar ist: Experten benennen vor allem die Impfung als bestes Hilfsmittel, um sich vor Grippe- und Erkältungsviren zu schützen.
Außerdem ist demnach eine ausgeprägte Hygienevorsorge sinnvoll: Händewaschen, Lüften und in die Armbeuge nießen oder husten sind Präventionsmaßnahmen, die auch während Corona geholfen haben.
Wer sich krank fühlt, soll nach Angaben der WHO zu Hause bleiben und bei Kontakt mit anderen Menschen eine Maske tragen, um die Zirkulation von möglichen Krankheitsviren zu unterbrechen. Generell wird empfohlen, einen Arzt aufzusuchen, wenn man sich nach drei Tagen nicht besser fühlt.