Von Belle-Époque-Plakaten bis zur radikalen Performancekunst: 2025 brachte Ausstellungen, die Grenzen verschoben. Sie stießen neue Gespräche an.
Wenn 2025 eines gezeigt hat, dann dass sich der Schwerpunkt der Kunstwelt verlagert. Ja, Paris lieferte Blockbuster: David Hockney trieb in der Fondation Louis Vuitton manche Kritikerinnen und Kritiker fast zu Tränen, und das Musée d'Orsay erinnerte daran, warum Plakate der Belle Époque bis heute zählen.
Doch einige der spannendsten Momente spielten sich fern der traditionellen Kunstmetropolen ab: Zentralasien trat mit neuen Institutionen und Formaten selbstbewusst auf, Zypern startete seine erste internationale Kunstmesse. Von Leigh Bowerys furchtloser Theatralik in der Tate Modern bis zu Tracey Emins schonungslosen Bekenntnissen in Florenz: Diese Ausstellungen forderten Aufmerksamkeit – nicht nur wegen der Werke, sondern weil sie das Gespräch über die Rolle der Kunst in der Welt neu rahmten.
Louis-Robert Carrier-Belleuse (1848–1913) L’Étameur, 1882 Öl auf Leinwand, 64,8 × 97,8 cm Privatsammlung Foto Studio RedivivusLouis-Robert Carrier-Belleuse (1848–1913) L’Étameur, 1882 Öl auf Leinwand, 64,8 × 97,8 cm Privatsammlung Foto Studio Redivivus
Kunst auf der Straße im Musée d'Orsay
Der tiefgehende Blick des Musée d'Orsay auf die Plakatkultur der Belle Époque wirkte überraschend aktuell für eine Schau über Werbung des 19. Jahrhunderts. Fast 230 Werke – Toulouse-Lautrec, Mucha, Chéret und die Nabis – zeigten, wie illustrierte Plakate Paris in einen visuellen Spielplatz verwandelten. Entscheidend war der Blick auf die Straße als Galerie und Kampfzone zugleich: Morris-Säulen und Sandwichmänner waren nicht nur charmante Fußnoten, sondern die sozialen Medien ihrer Zeit. Die Schau positionierte das Plakat klug als radikale Demokratisierung – „Kunst für alle“, lange bevor jemand Barrierefreiheit hashtagte. In Zusammenarbeit mit der Bibliothèque nationale de France organisiert, war es die erste Ausstellung in diesem Maßstab zu den „Meistern des Plakats“ und ein starkes Plädoyer, kommerzielle Kunst ernst zu nehmen.
Subodh Gupta und Baxtiyor Nazirov, Salt Carried by the Wind, 2024–25, Ausstellungsansicht. Mit freundlicher Genehmigung: die Künstler und die Uzbekistan Art and Culture Development FoundationSubodh Gupta und Baxtiyor Nazirov, Salt Carried by the Wind, 2024–25, Ausstellungsansicht. Mit freundlicher Genehmigung: die Künstler und die Uzbekistan Art and Culture Development Foundation
Buchara-Biennale
Zentralasiens zeitgenössische Kunstszene meldete sich mit Nachdruck, als die erste Bukhara Biennial die Madrasas und Karawansereien der usbekischen Stadt in Ausstellungsräume verwandelte. Kuratiert von Diana Campbell und betitelt „Recipes for Broken Hearts“, brachte die zehnwöchige Veranstaltung über 70 internationale Künstlerinnen und Künstler mit lokalen Handwerkerinnen und Handwerkern zusammen – gleichberechtigt. Das Konzept, inspiriert vom Mythos, Ibn Sina habe den Plow erfunden, um einen liebeskranken Prinzen zu heilen, stellte klug die Frage, wem in kollaborativen Praktiken die Anerkennung zusteht. Statt Bucharas UNESCO-gewürdigte Architektur bloß als Kulisse zu nutzen, brachte die Biennale Bewohnerinnen, Bewohner und Gäste ins Gespräch über Erbe und heutige Identität. Mit Antony Gormley und Slavs and Tatars an der Seite lokaler Macherinnen und Macher – echter Austausch statt bloßer Symbolpolitik – bot sie in Zeiten der Eventmüdigkeit ein frisches Modell für internationale Biennalen.
Leigh Bowery! in der Tate Modern
Die Tate Modern würdigte Leigh Bowery endlich so, wie es ein Künstler verdient, der sich nicht einordnen ließ. Die Ausstellung spannte den Bogen über Performance, Clubkultur, Mode und Body Art – Bowery kannte keine Grenzen. Seine ikonischen „Looks“ – „Kostüme“ wäre zu eng – standen neben Kollaborationen mit Lucian Freud bis Michael Clark und zeigten, wie er Kleidung als Skulptur und seinen Körper als wandelbares Werkzeug begriff. Entstanden ist ein Porträt des Londoner Nachtlebens der achtziger und neunziger Jahre und zugleich eine ernsthafte Auseinandersetzung damit, wie Bowerys furchtloser Umgang mit Geschlecht, Sexualität und Ästhetik bis heute nachhallt. Die Schau glättete seine Provokationen und Exzesse nicht, sondern feierte, wie er Konventionen sprengte und dabei eine wirklich wegweisende Bildkultur schuf.
VIMA Art Fair in Limassol, Zypern. Mit freundlicher Genehmigung von VIMA.VIMA Art Fair in Limassol, Zypern. Mit freundlicher Genehmigung von VIMA.
VIMA Art Fair
Zypern hatte seinen großen Moment mit VIMA, der ersten internationalen Messe für zeitgenössische Kunst der Insel. In einer umgenutzten Weinkellerei in Limassol mit Blick aufs Meer wirkte sie erfrischend intim – weit weg vom strapaziösen Basel–Miami–Paris-Zirkel. 27 Galerien aus Zypern, Griechenland, dem Libanon, den VAE, Nigeria, dem Vereinigten Königreich und darüber hinaus zeigten Zypern als wichtigen Knotenpunkt zwischen Europa, Nahost und Afrika. Das Aufgebot beeindruckte – The Breeder aus Athen, Tiwani Contemporary, The Third Line aus Dubai. Entscheidend war jedoch der echte Dialog, den VIMA zwischen regionalen Ökosystemen stiftete. Kurator Ludovic Delalande verankerte das Ganze konzeptionell mit dem Großprojekt „The Posterity of the Sun“, Gespräche und Performances hielten die Energie hoch. Für ein Debüt war das bemerkenswert schlagkräftig.
Ausstellungsansicht von David Hockney 25, Galerie 4, Fondation Louis Vuitton, Paris. © David HockneyAusstellungsansicht von David Hockney 25, Galerie 4, Fondation Louis Vuitton, Paris. © David Hockney
David Hockney, 25 in der Fondation Louis Vuitton
Angekündigt als Fokus auf die vergangenen 25 Jahre, griff die riesige Schau keck bis 1955 zurück und begann mit einem Porträt, das der achtzehnjährige Hockney von seinem Vater, einem Steuerberater, malte. Über 400 Werke füllten Frank Gehrys Fondation-Louis-Vuitton-Bau (der Architekt bekam in der Schau sogar ein eigenes Porträt) – von Gemälden über digitale Arbeiten auf iPhone und iPad bis zu immersiven Videoinstallationen. Was leicht selbstgefällig hätte wirken können, zeigte stattdessen einen Künstler, der weiter experimentiert und neugierig bleibt. Die internationalen Leihgaben waren spektakulär; Institutionen von Oslo bis Melbourne waren vertreten, und Hockneys persönlicher Einsatz bis ins Detail war spürbar. Es war die größte Hockney-Schau überhaupt und etwas ganz Besonderes; ein Kritiker berichtete sogar, er habe Tränen in den Augen gehabt.
Yinka Shonibare (1962, London) Wind Sculpture (TG) II, 2022 Handbemaltes Aluminium. Im Auftrag des Almaty Museum of ArtsYinka Shonibare (1962, London) Wind Sculpture (TG) II, 2022 Handbemaltes Aluminium. Im Auftrag des Almaty Museum of Arts
Eröffnung des Almaty Museum of Arts
Neben der Buchara-Biennale brachte der September einen weiteren wichtigen Moment für Zentralasiens Gegenwartskunst: Das Almaty Museum of Arts öffnete seine Türen. Finanziert vom Unternehmer Nurlan Smagulov und entworfen von Chapman Taylor, mit architektonischen Anklängen an das Tienschan-Gebirge, wurde ALMA zum ersten privaten Museum für moderne und zeitgenössische Kunst der Region. Die Eröffnungsschau kombinierte eine 700 Werke umfassende Sammlung kasachischer und zentralasiatischer Arbeiten mit einer Einzelausstellung von Almagul Menlibayeva, deren Erkundung von Mythos, Erinnerung und Geografie den Ton vorgab. Außenaufträge von Yinka Shonibare und Jaume Plensa sowie Artist Rooms zu Richard Serra und Yayoi Kusama signalisierten Ambitionen über den regionalen Fokus hinaus. Die Künstlerische Leiterin Meruyert Kaliyeva verortete das Haus als Ort, der Künstlergenerationen zusammenführt – von jenen, die unter sowjetischer Herrschaft Verfolgung riskierten, bis zu den heutigen Positionen.
Alberto Giacometti hält Three Men Walking, 1940er Jahre. Foto: anonym. Archives Fondation Giacometti.Alberto Giacometti hält Three Men Walking, 1940er Jahre. Foto: anonym. Archives Fondation Giacometti.
Encounters: Giacometti, Barbican
Die einjährige Reihe des Barbican, die Alberto Giacometti mit zeitgenössischen Bildhauerinnen und Bildhauern zusammenbringt, wirkte wirklich fruchtbar, nicht effekthascherisch. Gemeinsam mit der Fondation Giacometti organisiert, startete sie mit Huma Bhabha, gefolgt von Mona Hatoum; Lynda Benglis ist für 2026 angekündigt. So entstanden generationenübergreifende Dialoge über Tod, Fragmentierung, Erinnerung und Trauma. Giacomettis langgezogene Figuren der Nachkriegszeit – seine Antwort auf die Verwüstung des Zweiten Weltkriegs und seine Meditation über die menschliche Form – fanden echten Widerhall bei Gegenwartskünstlerinnen und -künstlern, die ihre eigenen Krisen verarbeiten. Der intime neue Raum lud zum genauen Hinsehen ein, statt zu überwältigen.
Tracey Emin Sex and Solitude, 2025 Neon, 106 × 804 cm Mit freundlicher Genehmigung der Künstlerin und White Cube Tracey Emin Sex and Solitude, 2025 Neon, 106 × 804 cm Mit freundlicher Genehmigung der Künstlerin und White Cube
Tracey Emin: Sex and Solitude im Palazzo Strozzi
Tracey Emins erste große institutionelle Ausstellung in Italien brachte ihre bekenntnishafte Intensität in den Palazzo Strozzi. Kuratiert von Arturo Galansino, zeigte „Sex and Solitude“ über 60 Arbeiten – Gemälde, Zeichnungen, Stickereien, Neon und Skulpturen. Der Ort war entscheidend: Emins rohe Erkundungen von Körper und Begehren erzeugten eine provokante Reibung mit der Renaissance-Tradition Florenz’ und verorteten sie zugleich in der reichen Kunstgeschichte der Stadt. Werke über Liebe, Verlust, Krankheit und Heilung wirkten dringlich, explizit und außergewöhnlich verletzlich. Obwohl der zeitliche Bogen weit war, betonte Emin vor der Eröffnung in einem Interview: „Es ist keine Überblicksschau. Ich mag weder Überblicksschauen noch Retrospektiven. Ich will im Jetzt leben.“
Vincent van Gogh Schneebedecktes Feld mit Egge (nach Millet), 1890. Öl auf Leinwand. 72,1 cm × 92 cm.Vincent van Gogh Schneebedecktes Feld mit Egge (nach Millet), 1890. Öl auf Leinwand. 72,1 cm × 92 cm.
Kiefer / Van Gogh in der Royal Academy
Die intime, dreiräumige Ausstellung der Royal Academy zeigte, wie Vincent van Gogh Anselm Kiefer seit fast sechs Jahrzehnten begleitet. Sie begann mit dem achtzehnjährigen Kiefer, der ein Reisestipendium erhielt, um Van Goghs Weg von den Niederlanden über Belgien bis nach Arles nachzugehen. In Zusammenarbeit mit dem Van Gogh Museum Amsterdam entwickelt, stellte die Schau die Werke beider einander gegenüber, um gemeinsame Obsessionen für Mythologie, Philosophie und die Last der Geschichte sichtbar zu machen – bei klarer Achtung der unterschiedlichen Ansätze. Kiefers monumentale Gemälde und Skulpturen, genährt von Van Goghs wegweisendem Postimpressionismus, erhielten neue Kontexte, und Van Goghs späte Arbeiten von 1890 wirkten neu belebt. Neue, erstmals gezeigte Werke Kiefers belegten, dass er diese erste Begegnung weiterhin kraftvoll auslotet. Die konzentrierte Präsentation erlaubte es, Einflüsse nachzuvollziehen, ohne Verbindungen zu überdehnen.
Vom Herzen zur Hand: Dolce & Gabbana im Grand Palais
Die Mode erhielt ihren Museumsauftritt, als Domenico Dolce und Stefano Gabbana das Grand Palais in Paris übernahmen, um 40 Jahre maximalistische Vision zu feiern. Nach dem Debüt in Mailand entfaltete sich „Du Coeur à La Main“ in Paris über 1.200 Quadratmeter und drei Etagen, mit 200 Alta-Moda- und Alta-Sartoria-Stücken, 300 handgefertigten Accessoires und 130 Kunstwerken in zwölf atemberaubenden Tableaux. Kuratiert von Florence Müller, ordnete die Schau das Handwerk von D&G stimmig in Italiens weites künstlerisches Erbe ein. Der Nahblick – jene Plätze in der ersten Reihe, die die meisten nie bekommen – enthüllte unter all dem Theater reines Handwerk.