Rumänische Jugend fühlt sich abgehängt

Rumänische Jugend fühlt sich abgehängt
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Von Hans von der Brelie
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Rumänien hat ein Problem mit der politischen Repräsentation, die Parteien halten nicht Schritt mit der Moderne, meint der Philosoph Sorin Cucerai.

Verabredung mit dem rumänischen Philosophen Sorin Cucerai, einem unabhängigen Beobachter und scharfen Analytiker gesellschaftlicher Veränderungen Rumäniens. Sein Lieblingsphilosoph unter den antiken Griechen sei Platon, meint Cucerai lächelnd, “das schafft Distanz und einen freien Geist, wenn man die heutigen Entwicklungen verstehen möchte.”

Cucerai ist mehr als ein Kenner der alten Griechen, auf dem Gebiet der jüngeren politischen Philosophie fühlt er sich ebenso heimisch wie in der Soziologie und politischen Analyse. In Rumänien ist er Gast in politischen Diskussionsrunden und sein geschliffenes Englisch machen ihn zu einem auch international geschätzten Gesprächspartner. Euronews-Reporter Hans von der Brelie traf Sorin Cucerai in der rumänischen Hauptstadt Bukarest, zwei Tage nach den winterlichen Massenprotesten (im Januar 2018) gegen die umstrittene Reform des Justizsystems. Cucerai stellt die Protestbewegung in einen zeitlich größeren Rahmen und analysiert die Soziologie des Protestes.

euronews:
Wann begannen die Proteste?

Sorin Cucerai:
Wir haben in Rumänien einen Protest, der sich über mehrere Jahre hinzieht. Die Kundgebungen begannen 2012, und seitdem haben wir eigentlich jedes Jahr Proteste gegen verschiedene Dinge, aber es ist so ziemlich immer Dasselbe, denn es sind dieselben Leute.

euronews:
Handelt es sich um einen Generationenkonflikt?

Sorin Cucerai:
Meiner Meinung nach bildet sich hier in den großen Städten Rumäniens eine jüngere, moderne Generation heraus, die sich von den politischen Parteien überhaupt nicht mehr repräsentiert fühlt. Diese jungen Leute haben das Gefühl, von dieser Gesellschaftsordnung, die da aufkommt, abgehängt zu weden. Paradoxerweise erstarkt in West- und Nordeuropa die populistische Rechte, weil die Menschen in ländlichen Gebieten sich abgehängt fühlen. Hier in Rumänien passiert das Gegenteil: Leute in den Städten fühlen sich alleingelassen, sie haben den Eindruck, dass die Politiker nicht ihrem Lebensstil, ihren Erwartungen und Hoffnungen gerechtwerden.

euronews:
Warum halten die Proteste an?

Sorin Cucerai:
Die Leute sind immer unzufriedener mit den politischen Parteien. Und eine der sozusagen ‘schlimmsten’ Parteien ist die Sozialdemokratische Partei, die heute das Land regiert. Denn sie wirkt heute wie die veraltetste, überholteste Partei mit einer sehr schädlichen Mentalität, die kaum den Erwartungen der Städter entspricht.

euronews:
Warum werden die kontroversen Reformen jetzt vorangetrieben?

Sorin Cucerai:
Seit ihrer Gründung pflegt die PSD einen autoritären Ansatz gegenüber der Gesellschaft. Und jetzt (bei den Parlamentswahlen Ende 2016, Anmerkung der Redaktion) hatte sie ein exzellentes Resultat bei den Wahlen, 45 Prozent, und mit ihren Verbündeten (der liberalpopulistischen Splitterpartei ALDE, 5,6 Prozent; AdR) hat sie die Mehrheit im Parlament. Und da bricht dann wieder der althergebrachte Instinkt durch: Wir haben die Macht, also können wir es tun. Das ist die lange Antwort. – Die kurze Antwort ist, dass der Chef der Sozialdemokratischen Partei (PSD), Liviu Dragnea, schon wegen verschiedener Korruptionsdelikte vorbestraft ist. Deshalb versuchen sie ganz offenkundig, zu vermeiden, dass er ins Gefängnis muss. Sie versuchen, das Gesetz zu ändern, um einen Mann zu retten.

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