Coronasommer auf Sardinien: Urlaub nur für Geimpfte?

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Von Monica Pinna
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Während sich der Impfprozess weltweit beschleunigt, bekommt ein Gesundheitsausweis immer mehr Zustimmung.

Italien verhängt über Ostern erneut einen harten Lockdown. Sardinien zieht mit, obwohl die bei Touristen beliebte Insel zuvor mir einer geringen Infektionslage punkten konnte: Nach dem Corona-Ampelsystem in Italien war Sardinien über Wochen im März "weiße" Zone, d.h. die 7-Tage-Inzidenz lag bei unter 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner. Sardinien mit seinen rund 1,6 Millionen Einwohnern will die Tourismus-Sommersaison retten. Geplant ist, nur noch Gäste auf die zweitgrößte Insel des Mittelmeeres zu lassen, die bereits gegen Corona geimpft sind oder einen negativen PCR-Test vorweisen können, der nicht älter als 48 Stunden ist. Wer trotzdem einreist und keinen Impfnachweis hat, muss in eine mehrtägige Quarantäne. Als Impfnachweis bringt die Insel einen Gesundheitsausweis (passaporto sanitario) ins Spiel. Wird Sardinien damit ein Vorreiter für ganz Europa?

Sardinien war fast COVID-frei

Italien war 2020 das erste europäische Land, das einen landesweiten Lockdown verhängte. Angesichts steigender Infektionszahlen geht man jetzt in die dritte landesweite Abriegelung. Eine umstrittene Entscheidung in Sardinien - die einzige italienische Region, die bis vor Kurzem fast COVID-frei war.

Die Insel war im März eine "weiße" Zone, die niedrigste Warnstufe in Italiens Corona-Ampelsystem, während auf dem italienischen Festland die Zahlen wieder stiegen.

"Sardinien war drei Wochen lang eine weiße COVID-Zone. Das war gut für uns. Wir konnten uns endlich freier in der Region bewegen", so Stefania Olanda aus Carloforte, einer Kleinstadt auf der Insel  San Pietro circa 10 Kilometer vor der Südwestküste Sardiniens. Marisa Porcu, auch aus Carloforte, sagt: "In einer weißen Zone zu leben bedeutet, mehr draußen zu sein, längere Spaziergänge zu machen, Menschen zu treffen, stehenzubleiben und mit ihnen zu reden."

Die 7-Tage-Inzidenz auf Sardinien lag fast einen Monat unter dem kritischen Wert von 50 Corona-Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner. In stark betroffenen italienischen Regionen klettert dieser Wert zwischenzeitlich über 500.

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Corona-Ampelsystem in Italien im März 2021euronews

Man versucht, die Neuinfektionen gering zu halten

Stefania Olanda hat zwei Kinder. Sie geht zu ihrer Schwester, um sich das COVID-Update des örtlichen Bürgermeisters anzusehen. Die Maßnahmen ändern sich so schnell, dass niemand seine wöchentliche Rede verpassen will.

Im Facebook-Live vom 19. März 2021 verkündet Salvatore Puggioni laut den aktuellen Updates der örtlichen Gesundheitsbehörde die Genesung von zwei Personen, aber auch zwei neue positive Fälle. Der Bürgermeister kündigt an, dass Sardinien wahrscheinlich wieder als orange Risikozone eingestuft wird, was bedeutet, dass Bars und Restaurants geschlossen werden und Bewohner ihre Gemeinde nicht verlassen dürfen. Er sagt:

"Eine "weiße Zone" zu sein, war kein Zufall. Für dieses Ziel haben wir hart gearbeitet. Und wir sollten versuchen, es so zu halten. Wir müssen die regionalen Richtlinien respektieren. Darauf verlassen wir uns sehr".

Die Anwohner sind enttäuscht: "Wieder als 'orange" Zone zu gelten, ist ein Rückschritt", meint Marisa Porcu. "Wir sind es alle leid, mit diesen Einschränkungen zu leben. Wir fühlen uns beengt. Wir kaufen schnell ein und es gibt keine Möglichkeit, sich zu treffen und zu unterhalten." Und Stefania Olanda sagt: "Ich verstehe nicht, warum dieser Wechsel so abrupt erfolgte. Um ehrlich zu sein, die Fälle, die wir im Fernsehen sehen, gibt es in unserer Region nicht. Wir haben deutlich weniger Neuansteckungen."

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geschlossene Geschäfte auf Sardinieneuronews

Unmut über Regierungs-Entscheidungen

Am folgenden Tag genossen die Bewohner von Carloforte ihr vorerst letztes Wochenende ohne Einschränkungen. Danach gilt Sardinien wieder als "orange Zone" mit diversen verschärften Coronaregeln. Restaurantbesitzer Cristiano Giuntini kann das Vorgehen nicht nachvollziehen:

"Rechnungen flattern weiter ins Haus, die Miete muss bezahlt werden. Man weiß also nicht wirklich, wie es weitergehen soll. Aber das ist nicht einmal das Problem. Das Problem ist, wie man entscheidet, welche Farbe wir haben. Bis gestern hatte Sardinien eine Infektionsrate von 0,8 Prozent von Hundert und heute sind wir 'orange'."

Im November führte die italienische Regierung ein Corona-Ampelsystem mit unterschiedlichen Warnstufen ein: Je höher das Risiko, desto härter die Maßnahmen, die am stärksten eingeschränkten Zonen sind rot. Der Farbstatus jeder italienischen Region wird alle zwei Wochen neu bewertet, manchmal sogar wöchentlich, je nachdem, wie sich die Pandemie entwickelt. Ähnliche Strategien wurden auch von anderen europäischen Ländern wie Frankreich und Spanien übernommen.

Laut dem international renommierten Virologen Andrea Crisanti hat diese Ampelsystem-Strategie ihre Schwachstellen. Auf die Frage, was falsch an der italienischen Strategie sei, antwortet er:

"Alle Strategien, die versucht haben, den Reproduktionsfaktor des Coronavirus zu kontrollieren, anstatt zu versuchen, die Inzidenz zu verringern, haben dieses Pendeln zwischen Öffnung und Schließung von Regionen verursacht. Ein System, das sich als völlig ineffizient erwiesen hat. Nach dem ersten italienischen Lockdown haben wir die Gelegenheit verpasst, ein Kontroll- und Nachverfolgungssystem einzurichten, das auf automatischen Schließungen und Beschränkungen basiert, sobald ein Cluster auftaucht. Es herrschte die Illusion, dass der Notstand vorbei sei. Was wir jetzt sehen, ist das Ergebnis einer Reihe von wiederholten Fehlern im Laufe der Zeit."

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geschlossenes Restaurant auf Sardinieneuronews

Unverständnis  bei regionalen Behörden

Mehr als einmal haben Regierungsentscheidungen Unverständnis bei regionalen Behörden ausgelöst. Sardinien ist das jüngste Beispiel. Die lokale Verwaltung hat entschieden, die Entscheidung Roms nicht zu kommentieren, aber der Bürgermeister von Sardiniens Hauptstadt Cagliari äußert sich:

"Wir hätten immer noch in der weißen Zone bleiben können, auch weil von den 21 Indikatoren, die von der Regierung zur Bewertung der Risikosituation verwendet werden, 20 unter der Risikogrenze lagen und nur einer leicht angestiegen war, der Reproduktionsfaktor", so Paolo Truzzu. "Wir hätten wahrscheinlich eine weitere Woche 'weiß' bleiben können."

Sardinien ist vom Tourismus abhängig

Sardinien ist auf Tourismus angewiesen. Aber Touristen können auch das Virus einschleppen. Vor dem vergangenen Sommer war die Insel fast COVID-frei, im August verwandelten sich touristische Gebiete in Clusterzonen. Man hat Angst, dass das wieder passieren könnte. Im Hafen von Olbia kommen viele Touristen an. Alle Passagiere, die keinen negativen COVID-Test oder eine Impfung vorweisen können, werden vor Ort getestet. Viele kritisieren dieses Verfahren, so wie zwei Lkw-Fahrer, die diese wie alle Regierungsmaßnahmen für falsch halten. Sie meinen, das Verfahren müsste anders organisiert werden: Der PCR-Test sollte vor der Abfahrt gemacht werden, nicht bei der Ankunft auf der Insel.

Was wird im Sommer passieren, wenn mehr Menschen kommen? Ein Zivilschutzbeamter erklärt die Richtlinien:

"Die Strategie für den Sommer ist, nur Leute auf die Insel zu lassen, die geimpft sind oder einen negativen PCR-Test haben", so Alberto Pozzi, von der Zivilschutz-Generaldirektion auf Sardinien. "Denn ein gründliches Screening wie jetzt bei Hunderten ankommenden Passagieren werden wir nicht durchführen können, wenn es Tausende werden."

Reisen im Sommer trotz Corona?

Wird man in diesem Sommer verreisen können? Laut dem Virologen Crisanti nicht. Er sagt, die Fallzahlen seien jetzt zu hoch im Vergleich zu den Monaten nach dem Lockdown im vergangenen Jahr: 

"Man sollte sich auf drei konkurrierende Strategien konzentrieren: Impfung, soziale Distanzierung sowie die Entwicklung von Überwachungs- und Nachverfolgungssystemen, unterstützt durch IT-Kapazitäten und PCR-Tests, wozu wir derzeit noch nicht in der Lage sind."

Um das schlimmste Szenario zu vermeiden, stürzt sich Europa in eine umstrittene Impfkampagne. Italien hinkt aufgrund von Verzögerungen bei der Impfstoffversorgung hinterher. Sardinien ist das Schlusslicht bei der Zahl der verabreichten Impfungen. In diesem brandneuen Impfzentrum in Olbia beschleunigen die Behörden den Prozess, so gut sie können.

"Wir liegen trotz großer Probleme ziemlich gut im Zeitplan", meint Marco Cilliano, Spezialist für ansteckende Krankheiten. "Es gibt enorme Schwierigkeiten bei der Rekrutierung, mit den Computersystemen, bei der Lieferung der Impfdosen, bei der Dosenvorhaltung für die zweite Impfung, also einen gewissen Vorrat von etwa 30 %, was dann 70 % durchgeführten Impfungen entspricht."

Während sich der Impfprozess weltweit beschleunigt, bekommt die Einführung eines Impfpasses immer mehr Unterstützung. Kritiker befürchten soziale Ausgrenzungen, Befürworter verweisen auf eine damit verbundene Wirtschaftsbelebung, was wiederum Leben rettet.

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