Papandreou: "Die Griechen sind nicht faul"

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Fariba Mavaddat, euronews:

In der vergangenen Woche gab es erneut heftige Proteste von griechischen und spanischen Bürgern, die es mit Haushaltskürzungen und weiteren Sparmaßnahmen ihrer Regierungen zu tun haben. Sie befinden sich in einem Strudel aus finanzieller Not, und ein Ende ist nicht in Sicht. Im Falle von Griechenland muss die Troika entscheiden, ob das Land genug getan hat, um eine neue Hilfstranche zu erhalten. Doch die Griechen liegen mit ihrem Spar- und Reformprogramm weit zurück. Bei mir ist Giorgos Papandreou, der frühere Ministerpräsident des Landes. Wie bewerten Sie die derzeitige Lage in Griechenland?

Giorgos Papandreou:

Zunächst einmal: Ich stimme dem nicht zu, dass wir mit unserem Sparprogramm zurückliegen. Ich glaube, dass die Regierungskoalition ein annehmbares Sparpaket vorlegen wird, das allerdings große Opfer vom griechischen Volk verlangen wird, ganz klar, schmerzliche Opfer. Aber es wird für unsere Kreditgeber und Partner in der EU annehmbar sein. Worum es neben Defiziten und Schulden auch geht, das sind notwendige Reformen, die wir brauchen, um unsere Wirtschaft zukunftsfähig zu machen. Ich habe von Anfang an gesagt, dass wir die Zeit brauchen, um die Reformen umzusetzen, denn nur dadurch werden wir zukunftsfähig. Kürzungen alleine sind schmerzvoll, und sie bringen nicht die notwendigen Resultate mit sich.

euronews:

Dafür benötigen Sie allerdings Zeit, und die Zeit ist nicht auf Ihrer Seite. Nach zwei Jahren klafft im Haushalt ein Loch von 30 Milliarden Euro, der Wirtschaft geht es schlecht, und auch weitere Hilfsgelder aus Europa erwiesen sich nicht als hilfreich. Kurz: Die Regierungen sagen, für Griechenland zu haften ist unmöglich.

Giorgos Papandreou:

Da bin ich anderer Meinung, denn uns wurde ja keine zusätzliche Zeit zugestanden. Zwei Jahre – damals war ich Ministerpräsident – sind eine sehr kurze Zeit, um Reformen umzusetzen. Einschnitte, ja. Wir haben etwas getan, was kein anderes Land getan hat: eine Haushaltskürzung von 6,5 Prozent, das ist Rekord in der Eurozone. Kein anderes Land hat so viel getan. Es sind aber wegen der Euro-Probleme noch andere massive Probleme aufgetreten. Wenn viele der Entscheidungen, die erst jetzt und in den vergangenen paar Monaten von der EZB und in Europa getroffen wurden, wenn diese Entscheidungen schon 2010 getroffen worden wären, dann gäbe es keine Ansteckungen und ich glaube fest daran, dass wir das griechische Problem mit viel weniger Geld hätten eindämmen können.

euronews:

Wir haben nun zwei Probleme: Einmal hat die Regierung nicht richtig gearbeitet und zweitens ist da das Volk. Es gibt keinerlei Garantie für die EU-Regierungen, dass weitere Finanzhilfen für Griechenland das Problem lösen, und das Volk kann auch nicht endlos belastet werden.

Giorgos Papandreou:

Ich stimme dem zu, dass das Volk nur eine bestimmte Last verträgt. Der Druck ist sehr hoch und die Menschen leiden sehr. Es gibt inzwischen viele Klischees über Griechenland und das ist falsch. Griechen, nur als Beispiel, sind nicht faul. Laut der OECD arbeiten wir sogar am härtesten. Ich gebe Ihnen ein kleines, aber sehr wichtiges Beispiel: Alle Ausgaben in Griechenland sind inzwischen online. Jeder Mensch auf der ganzen Welt kann nachprüfen, was wir ausgeben. Das haben wir getan. Das war eine der Reformen. Vielleicht ein kleiner, aber ein sehr wichtiger Schritt.

euronews:

Ja, aber sehen Sie, es ist doch ein Unterschied, ob man eine Reformpolitik plant, oder ob man sie wirklich umsetzt. Sie sprechen von Transparenz und es wird mittlerweile auch gegen einige hochrangige Beamte in Griechenland wegen des Verdachts auf Korruption ermittelt. Einige waren in Ihrer Partei und in Ihrer Regierung. Das sind Dinge, mit denen sich andere europäische Regierungen nun mal nur sehr schwer abfinden können.

Giorgos Papandreou:

Ja sicher, wenn es solche Fälle gibt, gehören sie vor Gericht. Aber ich möchte niemanden verurteilen, denn vielleicht sind sie unschuldig und andere sind schuld. Ich habe völlige Transparenz und Gerechtigkeit verlangt, und wir ändern das auch. Wenn Sie in einem Land leben, in dem womöglich eine neue Währung eingeführt wird, dann investieren Sie nicht, dann konsumieren Sie nicht, die Banken geben keine Kredite und ausländische Investoren bleiben weg. Deshalb haben wir eine Rezession. Deshalb haben wir so viele Schwierigkeiten. Und das ist nicht alleine die Verantwortung von Griechenland, sondern die von ganz Europa.

euronews:

Das Problem hat doch mit Griechenland erst angefangen.

Giorgos Papandreou:

Das Problem hat mit dem Crash an der Wall Street im Jahr 2008 angefangen, nachdem das Bankensystem weltweit schlimmste Betrügereien angerichtet hatte. Das förderte dann natürlich auch Schwachstellen im Euro und in vielen Ländern zutage. Ich meine, dass wir zuerst die Pflicht haben, unser Land zu verbessern und ja: wir haben Probleme, aber wir sind nicht das Problem.

euronews:

Herr Papandreou, die Troika und europäische Regierungen schauen auf die nackten Zahlen und Fakten. Sie sehen, dass die griechische Wirtschaft entgegen allen Versprechungen schrumpft. Und sie fragen sich, wie lange sie dieses Land noch unterstützen sollen. Das Vertrauen ist weg – was sagen Sie da?

Giorgos Papandreou:

Wir haben vieles verbessert. Kein anderes Land hat sein Defizit derart stark heruntergeschraubt. Aber das alles dauert. Und es ist eine partnerschaftliche Aufgabe. Es ist eine Partnerschaft, bei der die Probleme des Euros uns alle betreffen. Es wäre eine Tragödie für Griechenland, wenn wir den Euro verließen, es wäre aber auch eine Tragödie für den Euro, denn das hätte Folgen für die gesamte Region. Es würde den Arabischen Frühling treffen, es würde unsere Beziehungen mit dem Nahen Osten treffen, unsere Beziehungen mit der Türkei, mit Russland. Wir würden viel von unserer Stärke als Europäer einbüßen, und es würde auch die Volkswirtschaften in Europa treffen und zu massenhafter Arbeitslosigkeit und Rezession auf der ganzen Welt führen.

euronews:

Wenn die Troika in zwei Jahren – und das ist nicht viel Zeit – schaut, was Sie geleistet haben und findet, dass sich nichts geändert hat, würden Sie dann einen Austritt aus der Eurozone erwägen?

Giorgos Papandreou:

Also erstens bin ich völlig gegen einen Austritt und ich denke, wir haben mehr als irgendjemand sonst bewiesen, dass wir zu Reformen fähig sind. Wir haben bedeutende Veränderungen und enorme Anstrengungen unternommen, die durch die strukturellen Probleme des Euros noch erschwert wurden. Denn man kann im Euro nicht ein kreditwürdiges Land haben und ein anderes, das nicht kreditwürdig ist. Darin muss Europa übereinkommen. Nicht nur Spanien oder nur Griechenland. Und es interessiert mich nicht, ob es um eine konservative oder sozialistische Regierung geht, alle versuchen, ihre Länder zu reformieren. Und die Menschen bringen Opfer, also lasst uns die Menschen beschützen, lasst uns sie beschützen…

euronews:

…indem man ihnen die Renten kürzt?

Giorgos Papandreou:

Naja, deshalb sage ich ja, dass wir Anpassungen vornehmen müssen, aber weniger schwerwiegende. Wir müssen die Probleme ins reine bringen und wir sind noch dabei. Vieles hat sich in Griechenland verändert, aber das wirkliche Problem war, wie der Staat geführt wurde. Schauen wir uns zum Beispiel die Frage von Steueroasen an. Es gibt kein System, um versteckte Steuern auf eine effektive Weise einzutreiben. Ich habe das Thema Steueroasen und Steuerflucht viele Male zur Sprache gebracht. Eines der größten Probleme in Griechenland ist aber nicht die durchschnittliche griechische Steuerflucht, sondern dass viele der Reicheren – und zwar nicht nur in Griechenland, sondern auch in anderen Ländern – ihr Geld in Steueroasen unterbringen können. Das ist keine Frage nationaler Gesetze. Wir sprechen hier von geschätzten 21 Billionen Dollar, die in Steueroasen auf der ganzen Welt versteckt sind. In Griechenland suchen wir einige Milliarden, also müssen wir uns den Problemen im System selbst zuwenden.

euronews:

Herr Papandreou, wie sehen Sie die Zukunft Europas angesichts all der Meinungsverschiedenheiten, der Differenzen und nationalistischer Ideen.

Giorgos Papandreou:

Sie haben da einen sehr wichtigen Punkt angesprochen. Ich würde sagen, lasst uns die Globalisierung sozusagen “europäisieren”, anstatt Europa zu einer globalisierten Anarchie werden zu lassen, zu einem zersplitterten Kontinent, der von einer globalisierten Wirtschaft aufgesaugt wird. Wir brauchen mehr Integration. Ich denke, es gibt inzwischen in Europa ein Bewusstsein dafür, dass dies ein sehr wichtiges und großes Thema ist, dass es Probleme in einigen Ländern gibt, dass wir aber zusammensitzen und sie lösen können und als Europäische Union Erfolg haben.

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