Mein Name ist Maria Spirova. Im Januar habe ich bei dem Euronews-Programm The Global Conversation einen 16jährigen aus der Ukraine kennengelernt. Er heißt Timur und kommt aus Kiew. Wir haben zusammen mit Viviane Reding online diskutiert – und Timor hat geradzu prophetische Fragen zur EU-Position zur Ukraine gestellt.
Meinen Offenen Brief widme ich Timur und allen Ukrainern, die in Osteuropa verzweifeln, weil der ein Viertel Jahrhundert dauernde Kampf für das Ideal der Demokratie nur vor eine Polizeikolonne führt. Timur, zuerst möchte ich Dir sagen, dass es mir leid tut.
Ich hoffe, Du bist in Sicherheit und Dein Freunde auch. Es tut mir leid, dass ich Dir aus einem Land der Europäischen Union schreibe, an die Deine Generation (noch immer?) glaubt.
Es tut mir leid, denn wir sind – ehrlich gesagt – ein paar unentschlossener Feiglinge. Die EU-Regierungen bestehen offenbar völlig aus Leuten, die keine Ahnung haben, was Ihr und Euer Volk gerade durchmacht. Vergebt ihnen, wenn Ihr könnt. Sie glauben ernsthaft, man könnte mit jemandem wie Putin Witze machen. Bis vor kurzem glaubten sie das von Gaddafi.
Mögliche Sanktionen zu erwähnen, bringt gar nichts gegen eine Schurken-Regierung mit globalen neo-imperialistischen Plänen. Das weiß ich, das weißt Du, und das weiß auch Barroso… Besonders für mein eigenes Land will ich mich entschuldigen. Ein Land, dessen Außenminister Vigenin sich fast die Zunge zerbrochen hat, um die Gewalt NICHT zu veruteilen. Eine gemeinsame EU-Position? Nee.
Bulgarische Behörden setzen sich 14 Mal pro Tag über EU-Regelungen hinweg, aber Putin wollen sie lieber nicht begegnen. Weil, wie Du siehst, lieber Timor, haben wir das gemeinsam. Wir sind Teil einer geopolitischen Speisekarte. Die Ukraine ist dabei das Hauptgericht, Bulgarien eher eine Art kleiner Nachtisch. 2011 haben wir die Verhandlungen über eine Öl-Pipeline gestoppt, die es Russland erlaubt, Euer Land zu umgehen und Eure Politiker noch mehr unter Druck zu setzen. Am Tag der schlimmsten Gewalt auf dem Maidan bestätigte Russlands Energieminister, das Burgas-Projekt sei wieder auf dem Tisch. Er ist sicher, dass wir mitspielen werden.
Unser Regierungschef
Oresharski hat in Sotschi mit Viktor Janukowitsch an einem Tisch gesessen – sehr symbolträchtig. Die offizielle Propaganda der Ukraine lässt in mir das ungute Gefühl eines Deja-vu aufkommen. (…) Wie als Janukowitsch im Sommer der Proteste in Bulgarien war und Oresharski die protestierenden Männer, Frauen und Kinder “Extremisten” nannte, deren Demonstrationen täglich niedergeknüppelt werden mussten. Natürlich kann man das Ausmaß der Ereignisse und der Gewalt nicht vergleichen. In der Ukraine zeigen die Menschen im ganzen Land Rückrat., Kiew steht in Flammen. Eure Barrikaden haben standgehalten, unsere nicht. In beiden Fällen schaut die Welt zu.
Jede Protestbewegung wird gleich als nicht repräsentativ abgetan. Lasst Euch nicht von der schweigenden Mehrheit kleinkriegen, wie wir das in Sofia getan haben. Lasst Euch nicht unterkriegen von ein paar britischen Expats in Kiew, die Verleumdungen über Euch auf Twitter verbreitet haben. So sind wir durch viele Grenzen getrennt und ein Vierteljahrhundert nach dem Fall des Eisernen Vorhangs wieder am Anfangspunkt angelangt. Timur, sie haben uns als Geiseln genommen, weil sie glauben, dass das so durchgeht.
Die Zukunft sieht düster aus, aber lasst Euch nicht unterkriegen. Die Freiheit gehört uns, weil wir sie verlangen. Du magst mir verrückt nenne, Timur, aber ich glaube, wir schaffen es. Du kennst das Cliché: Die Freiheit gehört den Mutigen – freedom belongs to the brave. Was auch immer mit #Euromaidan und #ДАНСwithMe geschehen mag. Mach weiter und lass Dich nicht umbringen. Ich möchte bald noch andere EU-Politiker mit Dir in die Mangel nehmen.
Maria Spirova
Aus dem Englischen übersetzt und leicht gekürzt. DIE REDAKTION