Integrative Schulen im Balkan

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Von Euronews
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Zwanzig Jahre nach dem Krieg im früheren Jugoslawien sind die Spuren des Konflikts noch immer sichtbar. Die Narben des Krieges sind nicht verheilt

Zwanzig Jahre nach dem Krieg im früheren Jugoslawien sind die Spuren des Konflikts noch immer sichtbar. Die Narben des Krieges sind nicht verheilt. Die Spannungen zwischen den Bevölkerungsgruppen dauern an und manche Eltern schicken ihre Kinder in ethnisch geteilte Schulen.

Die Europäische Union und der Europarat fördern aus diesem Grund mit einem drei Jahre langen Projekt Integration an den Schulen. Saud Haljkovic ist es egal, woher jemand kommt: “Was zählt ist, Freunde zu haben. Es ist unwichtig, wer sie sind, das Wichstigste ist, wer sie in ihrem Inneren sind. Wir sind alle gleich.”

Saud lebt seit sieben Jahren mit seinen zwei Schwestern und seinem Bruder in einem Waisenhaus in Mostar. Er besucht die Grundschule Mustafa Ejubovic, die an dem Integrationsprojekt teilnimmt. Die Lehrer bemühen sich darum die Schüler, die aus schwierigen Verhältnissen kommen, besonders zu fördern. Saud Haljkovic will später einmal
Gesundheitsminister werden, und falls das nicht klappt Fußballer.

Von den 740 Schülern sind 27 Sinti und Roma, 25 kommen aus dem Waisenhaus und manche gehören ethnischen Minderheiten an.
Mustafa Dzafic, der Direktor der Schule, erklärt das Konzept: “Eine integrative Schule ist eine Schule, die alle Schüler aufnimmt, die begabten und jene, die Schwierigkeiten haben. Integration bedeutet, dass der Unterricht den Fähigkeiten der verschiedenen Schüler angepasst wird.”

Jede Woche gibt es eine Unterrichtsstunde, in der die guten Schüler jenen helfen, die Probleme haben. Die neue Tafel, das Smart Board, ist vor einer Woche angekommen und die Schüler sind begeistert. Emina Brkan nimmt seit mehreren Monaten an diesen Nachhilfestunden teil. Sie erzählt: “Ich mag es, anderen zu helfen. Es passiert jedem einmal in einer Situation zu sein, in der man etwas nicht kann.”

Mehrere Schüler folgen einem speziell auf sie zugeschnittenen Programm. Die neun-jährige Adisa ist Roma. Sie geht zur Nachhilfe und bekommt zusätzlich noch Einzelunterricht, denn ihre Eltern können ihr bei den Hausaufgaben nicht helfen. Adisa ist fleißig: “Ich werde einen Abschluss machen, um einen Job zu finden. Wenn ich mit der Schule fertig bin, will ich an die Universität und dann, wenn ich dort auch einen Abschluss habe, will ich Arzt werden.”

An den Integrations-Workshops nehmen auch immer mehr Eltern teil. Sie arbeiten z.B. mit den Lehrern zusammen, um zu verstehen, wie man einem Kind mit Schwierigkeiten am besten helfen kann. Fuad Salkanovic ist zufrieden: “Die Kooperation zwischen den Eltern und der Schule, bzw. den Lehrern ist sehr gut. Die Kinder kommen besser zurecht und haben bessere Noten.” Eine der Mütter, Amira Trbonja, sagt: “Unsere Aufgabe als Eltern ist es, unseren Kindern zu erklären, dass manche ihrer Schulkameraden anders aussehen oder aus einem anderen sozialen Milieu kommen.”

Adisas Mutter hat zum ersten Mal an dem Workshop teilgenommen: “Ich kann nicht lesen und ich will, dass meine Kinder all das lernen, was ich nie gelernt habe.”

Insgesamt 49 Schulen nehmen an dem Integrationsprojekt teil. Es endet dieses Jahr. Wir trafen in Sarajevo Thorbjørn Jagland, den Generalsekretär des Europarates, um ihn zu fragen, wie es weitergehen soll. Er erklärte: “Wir nutzen diese Projekte, um dann Bildungsreformen in mehreren Ländern umzusetzen. Wir wollen Schulen, in denen die Menschen zusammenarbeiten.”

Die Europäische Union hat rund fünf Millionen Euro in das Projekt gesteckt. Wir trafen Andy McGuffie, den Sprecher der EU-Delegation in Sarajevo. Er erklärte, warum dieses Projekt für die Region so wichtig ist: “Für die Europäische Union geht es bei der integrativen Bildung vor allem um die grundlegenden Menschenrechte. Die Integration von allen Gesellschaftsmitgliedern, insbesondere von den Schwachen und den Außenseitern, ist entscheidend für eine gesunde Demokratie.”

In Pljevlja, einer Stadt in Montenegro, nimmt das Gymnasium Tanasije Pejatovic an dem Integrations-Projekt teil. Lehrer und Schüler haben u.a. ein Radio auf die Beine gestellt. Das Motto lautet: “Lasst uns die Türen öffnen”. Die Geschichtslehrerin Ljiljana Bajcetic erklärt: “Die Vorbereitungen begannen im Dezember 2014. Das erste Programm wurde dieses Jahr am 23. April gesendet, dem internationalem Tag des Buches. Seitdem senden wir jeden Tag.”

Die Schüler wählen die Themen aus, meistens Nachrichten aus aller Welt und einmal pro Monat sprechen sie über Integration. Die Koordinatorin Amina Brahic zeigt uns das Studio: “Wie sie sehen, ist das hier nicht sehr groß. Es ist also nicht immer einfach, aber sehr interessant. Vieles geschieht spontan, dadurch macht die Arbeit mehr Spaß.” Ihre Schulkameradin Kanita Sabanovic erklärt: “Ich arbeite und rede gerne mit Menschen. Ich möchte einen Einfluss auf Jugendliche und Erwachsene haben und meine Erfahrungen mit ihnen teilen.”

Die Schüler gehen jeden Tag eine halbe Stunde lang live auf Sendung. Gesendet wird nur in der Schule, aber alle Schüler hören zu und diskutieren danach während des Unterrichts über die Radiosendung.
Amina hat noch viel vor: “Wir wollen eine eigene Frequenz und das Programm ins Internet stellen. Wir wollen, dass nicht nur die Schüler, sondern alle Bewohner der Stadt uns zuhören.”

Bei der integrativen Bildung geht es nicht darum, den Schüler zu ändern, damit er besser in das System passt, sondern es geht darum, das System zu ändern, damit es flexibel genug ist, um alle Schüler aufzunehmen.

Und was halten die Schüler von diesem Konzept? Aleksandra Aranitovic, meint: “Integriert zu sein, bedeutet Teil einer größeren Gruppe zu sein. Jeder wird respektiert für das, was er ist.” Zorana Acimovic sagt: “Nicht alle Schulen bemühen sich um Integration, aber wir bauen eine Gemeinschaft auf, die auf Integration beruht und ich glaube die Menschen fühlen sich heutzutage akzeptierter.” Und Kanita betont: “Jedes Kind, das anders ist, sollte akzeptiert werden. Und eine integrative Schule bedeutet für mich, dass wir alle zusammengehören und alle eins sind.”

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