Wohnungssuche in Amsterdam: Endstation Hotel?

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Von Euronews
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Touristen verdrängen Studenten und Einheimische aus dem Stadtzentrum von Amsterdam. Universitäten klagen, dass bereits rund 12.000 Wohnplätze für Studierende fehlen. Private Studenten-Hotels möchten nun das Problem lösen, indem sie Studenten und Touristen unter einem Dach beherbergen. Doch nicht jeder ist davon überzeugt.

Noch bevor der Wecker klingelt, öffnet Nicola seine Emails. Jeden Morgen hofft er auf eine Einladung zu einer Besichtigung für ein WG-Zimmer in Amsterdam oder wenigstens ein neues Angebot. Vier Monate lang probierte er alles: Anmeldungen auf diversen WG-Plattformen, Facebook-Aufrufe, Aushänge an der Uni.

“Hätte ich gewusst, dass das so hart ist, hätte ich vielleicht niemals in Amsterdam studiert”, sagt Nicola. “Die Stadt ist toll für Touristen aber für alle jungen Leute ist es fast unmöglich, hier auf dem privaten Wohnungsmarkt ein Zimmer zu finden.” Der Kanadier ist einer von 100.000 Studenten, die derzeit an Amsterdamer Universitäten eingeschrieben sind – fast ein Drittel kommen aus dem Ausland.

Nicola beschreibt die Situation in der Stadt gerne als AirBnB-Teufelskreis: Bei durchschnittlichen Preisen von 150 bis 250 Euro pro Nacht sei es natürlich lukrativer die Wohnung bei AirBnB an Touristen, als monatlich an einen Studenten zu vermieten. Je mehr Wohnungen bei AirBnB vermietet werden, desto knapper wird es auf dem normalen Wohnsmarkt und desto mehr steigen die Mieten. Studenten, die sich Monatsmieten von über 1.000 Euro nicht leisten können und kein Recht auf staatlich subventionierte Sozialwohnungen haben verlieren.

Jorick Beijer, Leiter der Stiftung The Class of 2020, stimmt Nicola zu: “In Amsterdam entstehen zur Zeit immer mehr illegale Hotels, es gibt kaum Kontrollen und Regeln für das Vermieten über AirBnB.” Die unabhängige Stiftung mit Sitz in Amsterdam forscht seit 2011 zum Thema Wohnraum für Studenten in Europa. Ihr Ziel ist es bis zum Jahr 2020 alle Wohnraumprobleme europäischer Studenten zu lösen. Dafür erstellen Jorick Beijer und seine Kollegen unabhängige Rechercheberichte und bringen Interessenvertreter aus dem öffentlichen und privaten Sektor zusammen.

Doch die Herausforderungen sind groß. In Amsterdam, so Beijer, fehle es vor allem an Studentenwohnheimen. Lange Wartelisten und wenig Alternativen für private Unterkünfte führen dazu, dass manche Studenten ihre Plätze an Amsterdamer Universitäten abgeben und in anderen Städten studieren.

Im Mai 2017 riefen daher die Direktoren der Amsterdamer Universitäten und der zwei größten Wohnheimbetreiber in einem Manifest die Stadtverwaltung dazu auf, mindestens 2.000 neue Wohnheimplätze pro Jahr zu bauen. Laut ihrem Bericht fehlen derzeit bereits 12.000 Plätze. Der zuständige Mitarbeiter der Stadtverwaltung war für eine Einschätzung nicht erreichbar.

Jorick Beijer sieht neben der Stadtverwaltung auch die nationalen Regierungen in der Verantwortung langfristige Strategien für preiswerte Unterkünfte zu entwickeln. Er wünscht sich aber auch mehr Engagement aus dem privaten Sektor: “Wir müssen in Zukuft viel stärker nach innovative hybriden Wohn-Modellen suchen, die Studenten mit anderen gesellschaftlichen Gruppen zusammenbringen”.

Der schottische Unternehmer Charlie MacGregor erkannte schon 2006, dass man verschiedene Gruppen unter einem Dach zusammenbringen kann. “Als ich nach Holland kam, war ich schockiert über die Verhältnisse hier. Manche Studenten stehen vier Jahre lang auf Wartelisten, alle waren unzufrieden mit der Qualität. Ich komme aus Großbritannien, dort gibt es ein viel größeres und vielfältiges Angebot.”

Heute leitet MacGregor die The Student Hotel-Gruppe und betreibt über 3000 Hotelzimmer in Amsterdam, Rotterdam, Den Haag, Groningen, Eindhoven, Maastricht, Barcelona, Florenz und Paris. Studenten können hier während des Semesters für fünf oder zehn Monate ein Zimmer mieten. Kleine möblierte Kammern, keine Wartelisten, Wifi, Wäscheservice, Fahrrad, Fitnessstudio, Co-Working Spaces, Reinigung und gemeinschaftliche Aktivitäten inklusive. Parallel werden 20-30% der Räume während des Semesters an Touristen vermietet. In den Sommerferien, wenn die Studenten ausziehen und in Amsterdam Tourismus-Hochsaison ist, sind es fast 100%.

Bei seiner Wohnungssuche ist Nicola auch auf das Student Hotel in Amsterdam gestoßen: “Definitiv ein geniales Geschäftsmodell – aber welcher Student kann sich das denn leisten?” Mit Preisen zwische 800 und 900 Euro pro Monat richtet sich das Student Hotel an wohlhabende Studenten, die komfortabel bis luxuriös leben möchten. Studentenverbände kritisieren deshalb wiederholt, dass Projekte, wie das Student Hotel den Markt verzerren würden und so 900 Euro Miete bald zur Normalität werden könnten. “Das Student Hotel mag zwar ein paar Studenten helfen aber die strukturellen Probleme der Stadt löst es nicht”, bemängelt Nicola.

Diese strukturellen Probleme, so Unternehmer MacGregor, würden jedoch seit Jahren nicht in Angriff genommen. Jeden Sommer gebe es die gleichen Diskussionen, weil in einem System, in dem stark geschützter sozialer Wohnungsbau auf hohe Grundstückspreise und steigende Touristenzahlen trifft, Studenten, Berufseinsteiger und junge Familien die Verlierer sind. “Das ist ein System, das grundsätzlich so nicht funktioniert”, folgert er. Das wiederum kann Nicola nur bestätigen.

Von Annabella Stieren

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