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Neue Zollunion mit der EU? Brexit-Debatte in Großbritannien eskaliert

Der Anti-Brexit-Aktivist Steve Bray posiert bei seiner Ankunft vor dem Westminster Magistrates Court in London, England, am 14. April 2025.
Der Anti-Brexit-Aktivist Steve Bray posiert bei seiner Ankunft vor dem Westminster Magistrates Court in London, England, am 14. April 2025. Copyright  AP Photo
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Von Estelle Nilsson-Julien & Tamsin Paternoster
Zuerst veröffentlicht am
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Der Brexit sorgt im Vereinigten Königreich erneut für Schlagzeilen: Die Liberaldemokraten haben überraschend Rückenwind für ihren Vorschlag einer maßgeschneiderten Zollunion bekommen. Doch wo steht Großbritannien heute – und welche Vorteile könnte ein solches Abkommen tatsächlich bieten?

Die Brexit-Debatte gewinnt in Großbritannien erneut an Fahrt, nachdem mehr als 100 Abgeordnete einen von den zentristischen Liberaldemokraten eingebrachten Gesetzentwurf unterstützt haben. Die Partei – drittstärkste Kraft im britischen Parlament – fordert darin eine maßgeschneiderte Zollunion zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU.

Nach Ansicht der Liberaldemokraten würde eine solche Vereinbarung die Zollverfahren harmonisieren und damit Bürokratie sowie Handelshürden auf beiden Seiten abbauen.

Damit der Entwurf Gesetz werden kann, müsste ihn jedoch die Regierung unterstützen. Trotz der Zustimmung eines Dutzends Labour-Abgeordneter ist das derzeit eher unwahrscheinlich. Premierminister Keir Starmer hat einen Wiedereintritt in eine formelle oder maßgeschneiderte Zollunion ausgeschlossen. Ein solches Abkommen, so seine Argumentation, würde bestehende Handelsverträge des Vereinigten Königreichs – etwa mit den USA – gefährden.

Belastete Beziehungen

Ende Dezember 2020 verließ Großbritannien offiziell die EU-Zollunion und den Binnenmarkt und unterzeichnete das Handels- und Kooperationsabkommen – mehr als vier Jahre nach dem Brexit-Referendum. Seither gelten für Warenhandel zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich Nullzölle, sofern die Ursprungsregeln erfüllt werden. Dennoch bleiben eine Reihe regulatorischer und zollrechtlicher Kontrollen bestehen. Einige Kontrollen wurden zudem einseitig ausgesetzt.

Um die durch konservative Regierungen belasteten Beziehungen zu verbessern, verständigten sich London und Brüssel im Mai im Rahmen des „EU–Britain Reset“ auf mehrere Maßnahmen, darunter ein Pflanzenschutzabkommen zur Reduzierung von Lebensmittelkontrollen.

Der Liberaldemokrat Al Pinkerton, der den Gesetzentwurf am Dienstag vorlegte, argumentiert, sein Vorschlag würde britische Unternehmen vor einer regelrechten Flut zusätzlichen Papierkrams bewahren. „Britische Unternehmen betteln darum“, sagte er gegenüber dem Euronews-Faktencheck-Team The Cube. Seit 2021 seien zwei Milliarden zusätzliche Dokumente angefallen – mit Mehrkosten in Millionenhöhe.

Auch europäische Firmen hätten ihm „sehr positives“ Feedback gegeben, da sie ihrerseits unter höheren Kosten durch die Grenzkontrollen nach dem Brexit litten. Mit dem Entwurf wolle er die Regierung „zwingen, einen Verhandlungsprozess einzuleiten“, der zu einem neuen, maßgeschneiderten Abkommen mit Brüssel führen könnte. Die durch den Vorschlag ausgelöste öffentliche Debatte ermutige ihn sehr, so Pinkerton.

Premierminister Keir Starmer spricht mit der Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, während eines Treffens zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU, 19. Mai 2025
Premierminister Keir Starmer spricht mit der Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen während eines Treffens zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU, 19. Mai 2025 Kin Cheung/Copyright 2025 The AP. All rights reserved

Vorteile durch Zollunion?

Ökonomen sind uneins darüber, welchen Nutzen eine neue Zollunion hätte. Unklar bleibt zudem, welche genaue Ausgestaltung die Liberaldemokraten anstreben. Die Partei schätzt, das britische BIP könnte um 2,2 % wachsen und zusätzliche Steuereinnahmen von rund 25 Milliarden Pfund (28,5 Milliarden Euro) generiert werden – eine grobe Zahl, da der genaue Rahmen noch nicht feststeht.

Jonathan Portes, Professor für Wirtschaft und öffentliche Ordnung am King’s College London, hält diese Schätzung nicht für unrealistisch. Sie basiere auf pre-Brexit-Modellen, die prognostizierten, dass der Austritt aus der Zollunion das Vereinigte Königreich rund ein Prozent des BIP koste. Den Gedanken, man könne eine vorteilhafte Zollunion „relativ einfach“ aushandeln, bezeichnet er jedoch als „Fantasie“.

Wie groß die Vorteile wären, hinge stark vom konkreten Design ab. Ein Modell ähnlich der Zollunion zwischen der EU und der Türkei – zollfreier Handel mit den meisten Industriegütern, aber nicht in allen Bereichen – hätte laut Portes Vor- und Nachteile. Die Türkei muss EU-Regeln übernehmen, profitiert jedoch nicht automatisch von EU-Freihandelsabkommen. Eine solche Regelung wäre für Großbritannien politisch schwer vermittelbar.

Gleichzeitig wäre der Nutzen für die EU eher begrenzt. „Der Handel zwischen der EU und Großbritannien ist bereits tief integriert, und es gibt kaum interne Barrieren, die eine Zollunion entscheidend abbauen würde“, sagte Fabian Zuleeg, Geschäftsführer des European Policy Centre. Die EU hätte zwar gewisse Vorteile, doch das Vereinigte Königreich würde stärker profitieren – was die Bereitschaft der EU dämpfen könnte.

Ukrainische und Anti-Brexit-Anhänger vor der Downing Street mit Fahnen und Plakaten, als Premierminister Keir Starmer einen Ukraine-Gipfel in London abhält, 2. März 2025
Ukrainische und Anti-Brexit-Unterstützer vor der Downing Street mit Fahnen und Plakaten, während Premierminister Keir Starmer einen Ukraine-Gipfel in London abhält, 2. März 2025 Frank Augstein/Copyright 2025 The AP. All rights reserved

Würde die EU zustimmen?

Während der Brexit-Verhandlungen 2017–2019 hatten EU-Offizielle stets betont, Großbritannien könne sich außerhalb der EU keine exklusiven Vorteile sichern. Heute sind die Beziehungen entspannter – was der deutsche SPD-Europaabgeordnete René Repasi vor allem dem Regierungswechsel in London zuschreibt. Die Labour-Regierung trete deutlich seriöser auf und ermögliche konstruktive Gespräche.

Grundsätzlich stehe die EU einer engeren Integration Großbritanniens offen gegenüber, so Repasi. Ein Sonderstatus lasse sich jedoch politisch schwer rechtfertigen – entscheidend seien daher die Details. Ein Sprecher der Europäischen Kommission wollte sich zu einem hypothetischen Abkommen nicht äußern.

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