EU-Ombudsmann Emily O'Reilly: "Transparenz rückt vom Rand ins Zentrum"

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EU-Ombudsmann Emily O'Reilly: "Transparenz rückt vom Rand ins Zentrum"

Emily O'Reilly ist eine ehemalige Journalistin und Rundfunksprecherin, seit 2013 ist die Irin Europäische Bürgerbeauftragte. Gerade bemüht sie sich um eine zweite Amtszeit. Euronews hat mit Emily O'Reilly in Brüssel über Demokratie und Transparenz innerhalb der EU gesprochen.

Darren McCaffrey, Euronews: Ombudsmann – Sie sind eine Frau – ist der Begriff nicht ein wenig veraltet?

Emily O'Reilly: "Das ist wahrscheinlich die Frage, die mir am häufigsten gestellt wird. Als ich 2003 Ombudsmann in Irland wurde, war die erste Frage, ob ich als Ombudsmann oder Ombudsfrau genannt werden möchte. Mir war das gleich. Sofort hat die Hälfte der schwedischen Community in Irland an die Irish Times geschrieben und gesagt, dass ich die schwedische Sprache nicht verstehe. Denn Ombudsmann ist ein schwedisches Wort und es trifft auf beide Geschlechter zu. In anderen Sprachen ist der Begriff eher weiblich, 'médiatrice' auf Französisch oder 'Defensor del Pueblo' auf Spanisch."

Darren McCaffrey, Euronews: "Sie fühlen sich also wohl damit?"

Emily O'Reilly: "Ja, das tue ich."

Darren McCaffrey, Euronews: "Transparenz ist wichtig in Ihrem Job und die Zusammenarbeit mit einigen EU-Institutionen. Welche Note zwischen 1 und 10 geben Sie der EU für Demokratie und Transparenz?"

Emily O'Reilly: "Das kommt darauf an, über wen oder welche Institution man spricht. Ich denke, die Institutionen sind durch verschiedene Krisen und ein geschärftes Bürgerbewusstsein in den vergangenen Jahren dazu gezwungen worden, transparenter zu werden. Und es ist interessant, dass die designierte Kommissarin Vera Jourova den Titel 'Kommissar für Werte und Transparenz' tragen soll. Transparenz würde dann vom Rand ins Zentrum rücken. Ich denke, das eigentliche Problem ist, wenn man in Brüssel arbeitet und weiß wie die Institutionen funktionieren, sieht man: es ist demokratisch. Aber von außerhalb kann Brüssel für viele Menschen unverständlich sein, die Sprache, das Multikulturelle. Wenn die Menschen nicht verstehen, wie die Dinge funktionieren, entsteht ein Vakuum, das schnell mit falschen Fakten und Propaganda gefüllt werden kann. Und das schafft meiner Meinung nach ein Zerrbild der EU, das gefährlich sein kann, wie wir in letzter Zeit gesehen haben."

Darren McCaffrey, Euronews: "Sie haben vom Europäischen Rat gesagt, er wäre kein Musterschüler in Sachen Transparenz und Offenheit. Viele sehen die Ernennung von Ursula von der Leyen als ein perfektes Beispiel dafür. Ein Prozess, der für die meisten Bürger in Europa in keiner Weise transparent war."

Emily O'Reilly: "Ja, ich denke, da gab es ein Gefühl von leichtem Unbehagen, aber das ist etwas in der politischen Arena, ich lasse das also beiseite.

Ich erinnere mich daran, dass ich vor einigen Jahren mit einem Ausschuss des britischen Parlaments in Konakt war, weil ich gerade untersuchte, wie Gesetze in Europa diskutiert werden. Der Ausschussvorsitzende sagte zu mir: 'Wir schicken unsere Minister nach Brüssel, wir haben keine Ahnung, was sie tun, was sie diskutieren und entscheiden.' Und ich habe gesagt, ‚warum fragen Sie sie nicht einfach?‘ Sie haben eine Rechenschaftspflicht gegenüber Westminster oder Dublin oder wen auch immer und nicht gegenüber Brüssel.

Wenn die Leute über Brüssel sprechen, vergessen sie, dass Brüssel nicht nur Brüssel ist. Brüssel ist auch Dublin und London, Bratislava, Paris, Prag und alle anderen europäischen Hauptstädte. Es ist also unfair zu sagen, Brüssel ist undemokratisch, Brüssel kommuniziert nicht. Eigentlich sind es die Mitgliedsstaaten, die Brüssel sind, die die EU sind. Und ich denke, sie halten sich oft zurück, wenn es darum geht, die wahre EU zu kommunizieren und was mit den Menschen passiert."

Darren McCaffrey, Euronews: "Wenn wir uns die jüngsten Vorgänge ansehen, in dem einige der künftigen Kommissare überprüft werden, da gab es eine ganze Reihe von Interessenkonflikten. Haben Sie den Eindruck, dass dieser Entscheidungsprozess funktioniert, oder wie kommen denn einige dieser Personen in die Positionen, wenn es solche offensichtlichen Interessenkonflikte gibt?"

Emily O'Reilly: "Ja, ich habe das natürlich verfolgt und ich habe mich in der vergangenen Zeit viel mit solchen Fällen beschäftigt. Einer der bekanntesten Fälle ist der des ehemaligen Präsidenten. Der ehemalige Kommissionspräsident Barroso hatte beschlossen, für die Bank Goldman Sachs zu arbeiten – eine ziemlich umstrittene Bank, wie Sie wissen. Mögliche Konflikte wurden untersucht, und ob es angemessen sei, dass jemand, der diese Position innehatte, zu dieser Bank gehen sollte, die derart in die Finanzkrise auf beiden Seiten des Atlantiks verwickelt war.

Jetzt stehen Transparenz und Ethik im Mittelpunkt, wir erleben das in den Anhörungen, und wir sehen das auch in einem Vorschlag der künftigen Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Er sieht ein unabhängiges Organ zur Überwachung der Ethik vor. Wie ich bereits sagte, ist das Thema vom Rand ins Zentrum gerückt. Ich denke, dass die Arbeit, die ich geleistet habe, aber auch die Arbeit des Parlaments und die der Medien hier eine Art Koalition gebildet haben – sie hat die Institutionen dazu gezwungen, diese Fragen viel ernster zu nehmen."

Darren McCaffrey, Euronews: "Sie sprachen davon, die Europäische Union für die einfachen Bürger zu öffnen. Was meinen Sie damit?"

Emily O'Reilly: "Ich weiß, es klingt immer seltsam, wenn man von einfachen Bürgern spricht. Ich meine die Menschen, die zu uns kommen, normale Bürger, aber auch Abgeordnete des Europäischen Parlaments, Geschäftsleute, Zivilgesellschaft und so weiter. Ein positiver Aspekt am Brexit – ironischerweise – und anderer Krisen ist, das Europa für die Menschen in jedem unserer Mitgliedstaaten dadurch viel realer geworden ist. Es hat Europa in gewisser Weise eine menschlichere Note gegeben. Die Leute können das Drama und die Konflikte sehen, sie haben ein größeres Verständnis. Da schwingt emotional viel mehr mit. Vorher war Europa weit weg.

Die meisten Menschen wachen nicht morgens auf und denken an Demokratie und Transparenz in Europa. Sie machen sich Sorgen um ihre Arbeit und ihren Alltag und fragen sich, was in ihrem Dorf, ihrer Stadt oder Regierung passiert. Angesichts der großen Rolle, die Europa, die Brüssel, die die Gesetzgebung im täglichen Leben der Menschen spielt – und die Menschen in Großbritannien und anderen Ländern sind sich dessen sehr wohl bewusst – halte ich es für sehr wichtig, dass die Menschen sehen, was tatsächlich passiert. Es kann so schwierig oder so einfach sein, wie wir wollen. Denn die Menschen, die die Gesetze vorlegen, kommen aus den Mitgliedsstaaten. Es sind unsere Minister, die über die Fischerei, die Landwirtschaft, die Finanzen sprechen. Es sind unsere eigenen Abgeordneten, unsere eigenen Politiker, die ins Parlament kommen, die in den Rat kommen."

Darren McCaffrey, Euronews: "Ein Punkt, über den die Menschen die Distanz zur Europäischen Union spüren, ist, dass die Politiker einfach nicht die normale Bevölkerung abbilden. Jetzt hat es massive Anstrengungen in Bezug auf die Gleichberechtigung gegeben. Aber die ethnische Zusammensetzung: Die Kommission hatte noch nie eine nicht-weiße Person in ihren Reihen. Für die Millionen nicht-weißen Europäer könnten die EU-Politiker nicht fremder aussehen."

Emily O'Reilly: "Das ist richtig. Ich habe gestern mit einem jungen Abgeordneten gesprochen, der intensiv am Thema Vielfalt arbeiten will. Manchmal beschränken wir unsere Diskussionen über Vielfalt auf das Geschlecht, da haben Sie völlig Recht. Wenn Sie zum Europäischen Parlament gehen und wenn Sie im Plenum sitzen, sehen Sie, dass es nicht das Europa widerspiegelt, das wir auf den Straßen von West nach Ost sehen. Ich denke, das ist ein Problem."

Darren McCaffrey, Euronews: „Okay. Eine Frage zum Abschluss, denn Sie streben eine 2. Amtszeit an. Können Sie versprechen, dass Sie Ihr Büro in Straßburg behalten, denn es gab Gerüchte, dass Sie nach Brüssel umziehen.“

Emily O'Reilly: "Es wird sich nichts ändern. Das Büro bleibt in Straßburg."

Darren McCaffrey, Euronews: "Und was sehen Sie als Ihre wichtigste Aufgabe für die nächsten 5 Jahre?"

Emily O'Reilly: "Noch effektiver zu arbeiten als bisher."

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