Unter den Migranten in Bosnien sind viele Familien mit Kindern
Unter den Migranten in Bosnien sind viele Familien mit Kindern Copyright REUTERS/Marko Djurica
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Trotz 34 Mio € EU-Hilfen: Bosniens Migranten droht ein harter Winter

Von Cristina Abellan Matamoros
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Ein lebensgefährlicher Winter droht für Migranten und Flüchtlinge auf der Balkanroute. Euronews hat mit Betroffenen und Helfern vor Ort gesprochen.

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Usman Ali ist mit seinem 16 Jahre alten Bruder nach Bosnien gelaufen - den ganzen Weg aus ihrer Heimat Pakistan, um ein besseres Leben in Westeuropa zu finden.

Jetzt sitzt er in einer Zeltsiedlung in Vucjak, einer ehemaligen Mülldeponie acht Kilometer vor der kroatischen Grenze. Seine Reise zum Wunschziel Italien kann er erstmal nicht fortsetzen.

Wie viele andere Migranten wurde auch der Pakistaner von der kroatischen Polizei an der Grenze aufgehalten und direkt zu der alten Müllhalde gebracht.

Die Lebensbedingungen im Lager Vucjak, das von den lokalen bosnischen Behörden eingerichtet wurde, beschreibt Ali als "sehr, sehr schlecht".

"Ohne Strom, ohne Wasser, zu kalt", sagte er Euronews über Whatsapp.

An den meisten Tagen gebe es nicht genug zu essen, nur das örtliche Rote Kreuz sei dafür verantwortlich, erklärte der 25-Jährige.

REUTERS/Marko Djurica
Migranten stehen Schlange für eine warme MahlzeitREUTERS/Marko Djurica

Medecins Sans Frontieres hat in Vucjak eine Klinik eingerichtet, um den Bewohnern des Lagers medizinische Hilfe zu leisten.

Ali, der jetzt zwei Monate in der Siedlung verbracht hat, ist einer von Hunderten Migranten aus dem Nahen Osten und Asien, die in dem Lager leben. Die Temperaturen fallen und in den Zelten wird es jetzt zu kalt.

Seitdem Kroatien, Ungarn und Slowenien ihre Grenzen wegen illegaler Einwanderung geschlossen haben, sind mehr Migranten ins Land gekommen.

Seit 2018 wurden in Bosnien-Herzegowina mehr als 40.000 Migranten registriert, so die Daten der Internationalen Organisation für Migration IOM.

Rund 7.000 Migranten im Land wollen weiterreisen nach Westeuropa.

"Ich würde sagen, dass 99% der Menschen in Bosnien-Herzegowina hier sind, weil sie nach Kroatien, Slowenien, Italien einreisen und entweder dort bleiben oder weiterziehen wollen", sagte Peter Van der Auweraert, der Koordinator für den Westbalkan bei der IOM im Gespräch mit Euronews.

Der Winter kommt

Die Helfer sind äußerst besorgt wegen der Kälte. Laut Van der Auweraert stellt die IOM 4.200 Betten in offiziellen Unterkunftsräumen zur Verfügung, aber das Problem ist, dass 2.800 Menschen unter rauen Bedingungen in Siedlungen wie Vucjak schlafen müssen.

Van der Auweraert sagte, dass die IOM und andere NGOs lokale Behörden auf den Mangel an winterfesten Unterkünften aufmerksam gemacht haben. Doch eine Antwort blieb aus.

Nach Ansicht des Entwicklungshelfers verschlimmert sich das Problem mit sinkenden Temperaturen. Er befürchtet, dass es mehr Todesfälle geben wird, wenn Migranten in den kältesten Monaten dort zurückgelassen werden.

Die Bedingungen in Vucjak sind "minderwertig und für den Winter sicherlich nicht ausreichend".

Nihal Osman, die stellvertretende Feldkoordinatorin für Serbien und Bosnien, sagte Euronews, es sei "wirklich wichtig", dass die Unterkunftskapazität erhöht werde.

Es sei "dringend notwendig" Vucjak zu schließen, weil der Ort "nicht für Menschen geeignet" sei und "den Winter nicht überstehen würde".

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Neben der humanitären Krise, die sich im Lager Vucjak verschärft hat, haben Beamte der nordwestlichen bosnischen Stadt Bihac damit gedroht, das Migrantenzentrum Bira, das sich in einer alten Fabrik in der Stadt befindet, bereits in der nächsten Woche zu schließen.

Für Van der Auweraert wäre dies eine "katastrophale" Entscheidung.

"Wenn diese Entscheidung getroffen und durchgesetzt würde, bedeutet das, dass sie zu den Leuten, die derzeit draußen schlafen - sagen wir, das sind 2.000 - weitere 1.300 Menschen hinzukommen, die nirgendwo hingehen können.

"Was natürlich katastrophal für die Migranten und die lokale Bevölkerung wäre, weil die Menschen draußen der Kälte ausgeliefert sind und anfangen werden, in Häuser einzubrechen, Lebensmittel zu stehlen und so weiter.".

Warum haben bosnische Beamte das Lager Vucjak überhaupt gegründet?

Die Siedlung Vucjak wurde vom Stadtrat von Bihac gegründet, als die lokale Bevölkerung von der wachsenden Präsenz von Migranten zunehmend frustriert war.

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"Ich verstehe die Frustration in einer Stadt wie Bihac, in der es viele Migranten gibt aber nicht die Kapazität vorhanden ist. Die Menschen schliefen im Stadtzentrum, also brauchten sie einen neuen Platz für Migranten", sagte Van der Auweraert.

Der Entwicklungshelfer sagte, die IOM habe die Beamten vor Ort gewarnt, dass der Ort nicht für eine menschliche Besiedlung geeignet sei. Bereits im Juli veröffentlichte das UN-Gremium eine Erklärung, in der es die bosnische Entscheidung verurteilte, Migranten nach Vucjak zu verlegen.

Van der Auweraert sagte, er habe nicht verstanden, warum der Stadtrat den Plan trotz aller Warnungen vor einer "humanitären Katastrophe" durchgesetzt habe.

Es gibt Gesundheits- und Brandgefahren im Zusammenhang mit dem Standort, dem es an fließendem Wasser und Strom fehlt. Darüber hinaus sind die nahegelegenen Wälder mit Landminen übersät, die aus den Jugoslawienkriegen der 90er Jahre stammen.

Die humanitäre Katastrophe sei im Prinzip absehbar gewesen, so Van der Auweraert.

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Die schlechten Lebensbedingungen haben direkte Auswirkung auf die Gesundheit der Bewohner in Vucjak, so Osman.

"Wir sehen sehr viele Hautkrankheiten (häufig Krätze) und Infektionen und seit August herrscht auch mehr Gewalt", sagte sie.

Welche Lösungen gibt es also?

Hilfskräfte der IOM und anderer humanitärer NGOs haben die lokalen Behörden aufgefordert, die Pläne zur Schließung des Lagers Bira einzustellen und zusätzliche Unterkünfte zu schaffen.

Die Suche nach Lösungen für diese drohende Krise liege definitiv in der Reichweite der lokalen Behörden, so Van der Auweraert - aber ob sie darauf reagieren wollen, ist eine andere Frage.

"Die finanziellen Mittel sind vorhanden, die EU hat sich verpflichtet, zusätzliche Auffanglager zu unterstützen, die menschlichen Ressourcen sind vorhanden, die IOM und andere Organisationen können schon morgen Unterstützung leisten", sagte er.

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SEit 2018 hat die Europäische Union hat Bosnien 34 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, um die Bewältigung der Migrantenkrise zu unterstützen.

"Es ist sehr bedauerlich, dass wir an diesen Punkt gekommen sind, denn die Warnungen waren da, die Ressourcen waren da, die politische Lobbyarbeit war da... doch auf verschiedenen Ebenen ist man nur auf Untätigkeit gestoßen", so Van der Auweraert.

Niemand will, dass Migranten im Winter sterben, aber wenn wir keine schnelle Lösung finden, werden sie genau das tun.
Peter Van der Auweraert
Koordinator für den Westbalkan, IOM

Was hält bosnische Beamte davon ab, eine Lösung zu finden?

Van der Auweraert sagte, die erste Herausforderung sei der dezentrale Charakter der bosnischen Regierung.

"Du musst dich durch den Bund, die Landesregierung, die Stadtverwaltung und die Gemeinde arbeiten."

Alle Entscheidungen über die Zuweisung zusätzlicher Unterkünfte werden auf staatlicher Ebene getroffen, während die Entscheidung über die Schließung des Lagers Bira vom Stadtrat von Bihac getroffen wird.

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Zudem ist die aktuelle politische Situation in Bosnien im Wandel, was die Dinge noch komplizierter als sonst macht.

Kommunalwahlen erschweren nach Ansicht des Koordinators der IOM auch die Situation.

"Auf kommunaler Ebene gibt es nur sehr wenige Politiker, die bereit sind, ihren Kopf hinzuhalten und zu sagen, dass es ihnen nichts ausmacht, die Migrantenunterkunft in ihrer Nähe zu haben."

Letztendlich "gibt es niemanden, der eine Entscheidung treffen kann", so Van der Auweraert abschließend.

Er glaube jedoch, dass die Dinge wirklich schlimm werden müssen, bevor sie endlich besser werden.

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"Niemand will, dass Migranten im Winter sterben, und wenn wir keine schnelle Lösung finden, werden genau das tun."

"Es ist bedauerlich, dass wir so weit kommen mussten, um diese Art von Entscheidung zu treffen. Das schlechte Wetter wird den Leuten zeigen, dass wir einige Entscheidungen treffen müssen."

Wie hat die Regierung reagiert?

Das bosnische Innenministerium sagte Euronews in einer E-Mail, dass sie planen, neue Lager für Migranten zu eröffnen - eines in Westbosnien und das andere in der Nähe von Sarajewo. Sie sagten, sie warteten auf die lokalen Regierungen, um die Standorte zu genehmigen.

Es scheint kein Geheimnis zu sein, dass es den lokalen Regierungen schwer fällt, mit den Migranten umzugehen. Bereits 2018 interviewte Euronews Suhret Fazlic, den Bürgermeister von Bihac, der sagte, dass Menschen, die nach Bihac kommen, "gestoppt werden müssten", und forderte zudem eine Entschädigung für den Schaden für den Migranten verursacht hatten Schaden.

Fazlic sagte, dass das Migrantenproblem ein "europäisches Problem" sei und dass "europäische Länder wie Kroatien, Italien, Österreich, Deutschland (....) diese Menschen aufnehmen sollten", weil sie letztlich alle weiterreisen wollen.

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Die Suche nach einer angemessenen Unterkunft für die mehr als 2.000 Migranten geht also vorerst weiter. Und was plant Ali für diesen Winter? Er wird wieder versuchen, über die Grenze zu kommen.

"Ich versuche wieder zu spielen", sagte er, wobei "Spiel" den Versuch bedeutet, die Grenze zu überschreiten, was für viele Migranten zu einem Spiel geworden sei.

"So Gott will, werde ich diesmal gewinnen".

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