Handeln die Grenzschützer von Frontex in Griechenland illegal?

Migranten werden begleitet von Frontex an Land in Lesbos, Griechenland gebracht.
Migranten werden begleitet von Frontex an Land in Lesbos, Griechenland gebracht. Copyright Michael Varaklas/Copyright 2020 The Associated Press
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Von Lillo Montalto Monella
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Zum 1. März hat die griechische Regierung für einen Monat die Aufnahme von Asylverfahren ausgesetzt. Hat dadurch der Frontex-Einsatz seine rechtliche Grundlage verloren?

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Der Einsatz der europäischen Grenzschutz-Agentur Frontex an der griechisch-türkischen Grenze hat viele Zweifel aufgeworfen. Handeln die Grenzschützer auf einer rechtlichen Grundlage?

Tausende Flüchtlinge aus der Türkei hatten versucht, die Grenze zu überqueren, als Ankara diese trotz Flüchtlingspakt mit der EU nicht mehr zurückhielt.

Am Mittwoch schickte die Agentur Frontex weitere Verstärkung nach Evros.

Experten zufolge fehlt diesem Schritt die rechtliche Grundlage. Griechenland hatte am 1. März die Aufnahme von Asylanträgen für einen Monat eingestellt. Zwei Tage später einigte sich die Frontex-Agentur auf die umstrittene Mission.

Die Grenzschützer reagieren mit ihrem Einsatz an der griechischen Grenze auf eine Situation, die ihrer Meinung nach die Türkei verursacht hat. Die EU-Außenminister werfen Ankara vor, durch den Migrantenstrom "zu politischen Zwecken Druck" ausüben zu wollen.

Umstrittene Mission

Dem Frontex-Einsatz fehlt nach Meinung von Menschenrechtsexperten die rechtliche Grundlage. Die Entscheidung in Athen, die Aufnahme von Asylanträgen einzustellen, wurde am 1. März von Ministerpräsident Kyriakos Mītsotakīs getroffen.

Zwei Tage später erfolgte die Entscheidung zur Frontex-Mission.

Der Einsatz von Evros begann am 11. März.

Laut Flüchtlingsbehörde der Vereinten Nationen gewährleisten jedoch das Abkommen von 1951 und das EU Flüchtlingsrecht, dass man jederzeit einen Asylantrag stellen darf.

Menschenrechte müssen garantiert werden

Der Frontex-Einsatz steht im Gegensatz zu den Grundsätzen der Behörde. Laut Art. 80 der Regelungen verpflichtet sich Frontex, europäisches Recht und Menschenrechte zu respektieren. Doch das ist nicht möglich, wenn Migranten kein Asyl beantragen können.

Seit 2011 verfügt die europäische Agentur über einen Rechtsexperten. Nach Angaben von Frontex soll gewährleistet sein, dass Frontex-Mitarbeiter es Menschen, die internationalen Schutz brauchen, ermöglichen, Asylanträge zu stellen.

Seitdem die Maßnahme in Griechenland in Kraft getreten ist, wird diese Bedingung an der Grenze zur Türkei mindestens einen Monat lang nicht erfüllt werden.

"In diesem Fall haben die politischen Umstände größeres Gewicht als das Gesetz", argumentiert Professor Giuseppe Campesi, Soziologe und Autor einer Frontex-Studie.

"Die Operation wurde unter den von der griechischen Regierung festgelegten Bedingungen eingeleitet, auch wenn sich die Menschenrechtsverletzungen als systematisch erweisen, da die Syrer daran gehindert werden, Asylanträge zu stellen."

Wir haben Frontex um eine Stellungnahme ihres Rechtsexperten über die Operation in Griechenland gebeten, aber die Agentur antwortete nur, dass "Frontex nicht für Asylverfahren zuständig ist. Die Europäische Kommission führt derzeit über diese Angelegenheit Gespräche mit Griechenland. Wir verweisen weiterhin alle Asylantragsteller an die nationalen Behörden, wie es das Gesetz verlangt."

Die Grenz- und Küstenwache der EU - zuletzt reformiert (im Hinblick auf Satzungsänderungen) im Jahr 2019 - wird 100 weitere Grenzschützer an der griechischen Landesgrenze stationieren und zusätzliche Ausrüstung für die griechische Küstenwache bereitstellen, wie zwei Überwachungsflugzeuge, zwei Boote, sieben Flugzeuge, einen Hubschrauber und vier Wärmebild-Wagen.

Wann handeln die Grenzschützer illegal?

Thomas Gammeltoft-Hansen, Professor für Migrations- und Flüchtlingsrecht an der Universität Kopenhagen, sagt, dass "einer Frontex-Operation unter den gegenwärtigen Umständen die notwendige rechtliche Grundlage fehlt. Jede Zurückdrängung von Migranten würde eindeutig sowohl die EU- als auch die internationalen Menschenrechte verletzen. Die griechische Entscheidung, das Asylverfahren auszusetzen, ist wie das Entfernen der Grundlage, auf der die Frontex-Operationen ablaufen."

"Der Schritt kann viele neue rechtliche Wege eröffnen, und es ist für die teilnehmenden Staaten schwer vorhersehbar, wie die Ergebnisse aussehen werden", fügte Gammeltoft-Hansen hinzu.

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Mehrere NGOs unter Führung des Global Legal Action Network kündigten an, "die Rechtsverstöße gegen Migranten und Flüchtlinge zu dokumentieren und rechtliche Schritte gegen die Verantwortlichen einzuleiten."

Am 6. März erhielt ein dänisches Boot vom Hauptquartier der Operation Poseidon über Funk den Befehl, ein Migrantenboot aus griechischen Gewässern zu befördern - die dänische Besatzung weigerte sich. Die Operation Poseidon ist eine in Griechenland stationierte und von Frontex koordinierte Grenzüberwachungsmission.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen lobte Griechenland als "Schild" Europas gegen Flüchtlinge.

Kontrollinstanzen?

Kürzlich wurde Frontex kritisiert, weil zwei Aktivisten Anwaltskosten von 23.000 Euro begleichen mussten, nachdem sie im November ein Gerichtsverfahren gegen Frontex verloren hatten. Die beiden, Luisa Izuzquiza und Arne Semsrott, hatten bei der EU-Agentur Informationen über den Namen, die Flagge und den Typ der Schiffe angefordert, die 2017 im zentralen Mittelmeer eingesetzt wurden. Dem Antrag wurde nicht stattgegeben, die beiden legten Berufung ein und verloren anschließend.

"Wir wollen diesen Präzedenzfall nicht zulassen", sagte Izuzquiza gegenüber Euronews. "Wenn dies die Art von Gesetzentwurf ist, dem man sich stellen müsste, wenn man ein Verfahren gegen Frontex anstrengt, würden viele Akteure der Zivilgesellschaft - Journalisten, Aktivisten - es sich zweimal überlegen, bevor sie ein Gerichtsverfahren gegen sie anstrengen.”

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Die beiden Aktivisten haben eine Online-Petition für Crowdfunding geschaffen, die bereits über 85.000 Unterschriften erhielt.

Frontex wurde im Laufe ihres Bestehens mehrfach reformiert, und das Budget der Agentur ist von 143 Millionen Euro im ersten Jahr ihrer Tätigkeit auf 11,3 Milliarden Euro für den Zeitraum 2021-2027 gestiegen. Von einer Agentur, die die Arbeit der EU-Grenztruppen koordiniert und sich nur auf das Personal und die Mittel der Mitgliedstaaten stützt, wird Frontex nun über eine eigene uniformierte Truppe - das so genannte ständige Korps - von 10.000 Mann verfügen. Etwa 3.000 werden direkt von Frontex eingestellt. Die Truppe wird bewaffnet sein, eine europäische Uniform tragen und über eigene Fahrzeuge verfügen.

Zitat:

Das ist ein absolutes Novum: Es ist das erste Mal, dass eine EU-Agentur über einen operativen Arm verfügt, dessen Personal zur Anwendung von Gewalt und zur Ausübung von Zwangsbefugnissen berechtigt ist.
Prof. Giupseppe Campesi

Es wird Aufgabe des Rechtsexperten von Frontex sein, alle möglichen Menschenrechtsverletzungen zu überwachen, die während der Einsätze auftreten könnten.

Wie Campesi jedoch argumentiert, ist der Überwachungsmechanismus unwirksam, da sich die Mehrheit der Beamten in den Mitgliedstaaten befindet. "Wenn Frontex Zeuge eines Problems wird und angeben kann, wer der dafür verantwortliche Mitarbeiter ist, bereitet man einen internen Bericht vor und sendet ihn an die Regierungen mit der Bitte, gegen ihre eigenen Polizeikräfte vorzugehen. Zum jetzigen Zeitpunkt gehen die EU-Staaten dem jedoch nicht nach.”

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Zur Verantwortung gezogen?

Im Jahresbericht von 2016 kritisiert Frontex selbst einen “Mangel an Feedback der nationalen Behörden in den Mitgliedsstaaten” bei schweren Vorfällen wie Misshandlungen von Flüchtlingen (S. 133).

Frontex-Direktor Fabrice Legeri bestätigt dies in einem Interview mit Die Zeit: "Wir haben diese Übergriffe nicht mit eigenen Augen gesehen, sondern nur davon gehört. Wir berichten solche Fälle dann weiter an nationale Behörden, mehr können wir nicht tun.”

Die neuen Grenzschützer werden nur der Agentur gegenüber verantwortlich sein, was bedeutet, dass es der in Warschau ansässigen Agentur obliegt, ihre eigenen möglichen Fehlverhalten zu untersuchen. Giulia Raimondo, eine Forscherin für integriertes Grenzmanagement in Europa, kritisiert daher, dass der Überwachungsmechanismus bei Frontex bisher nicht den idealen Standards entspricht: "Sie sind die Richter ihrer selbst, es gibt keine Unabhängigkeit.”

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