Bertrand Piccard: "Zukunft bedeutet immer Wandel"

Bertrand Piccard
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Von Isabelle KumarSabine Sans
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Der Schweizer Psychiater und Abenteurer erzählt in der Sendung "Disruptive" von seinen Erfahrungen sowie von seiner neuesten Initiative der 1000 Lösungen, die umweltfreundliche und rentable Technologien und Produkte für die Zukunft vorschlägt.

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Unmöglich ist ein Wort, das in seinem Wortschatz nicht existiert. Er ist ein Pionier, Entdecker und - wie er es nennt - ein 'Inspirationist': Bertrand Piccard ist vor allem dafür bekannt, dass er der erste Mensch war, der die Erde im Duo mit einem Landsmann in einem selbst entwickelten Solar-Flugzeug umrundet hat. Nun hat er sich auf sein, wie er sagt, bisher grösstes Abenteuer eingelassen - 1000 Lösungen zu sammeln, die unterschiedliche Wege zur Bekämpfung des Klimawandels aufzeigen und dabei profitabel sind. Wir treffen Bertrand Piccard in seiner Heimatstadt Lausanne in der Schweiz.

Euronews-Reporterin Isabelle Kumar:

Bertrand Piccard, vielen Dank, dass Sie unser Gast in Disrupted sind. Sie sind ein Entdecker, ein Abenteurer. Aber es scheint, als ob Sie viel mehr antreibt, als das Bedürfnis, der Zwang, sich ins Unbekannte zu stürzen?

Bertrand Piccard, Schweizer Psychiater und Abenteurer:

Das stimmt. Es ist kein Zwang, es ist der Wunsch, etwas zu verändern. Ein Forscher ist jemand, der mit dem Status quo, mit dem, was er sieht, mit dem, was er hat, nicht zufrieden ist. Er will etwas anderes, er will etwas Besseres. Er versucht, die Welt oder sich selbst zu verbessern. Das Unbekannte ist natürlich ein großer Teil davon. Wenn wir uns nur auf das konzentrieren, was wir wissen, verlieren wir alles andere. Deshalb liebe ich es, alle Gewissheiten infrage zu stellen und zu sehen, wie man Dinge verändern kann.

Euronews:

Werfen wir einen Blick auf Ihren Werdegang, ein wichtiger Wendepunkt war Ihre Erdumrundung mit einem Heißluftballon. Dann kam Solar Impulse, eine Ihrer größten Errungenschaften bis heute. Was wollten Sie mit Solar Impulse beweisen?

Bertrand Piccard:

Ich wollte beweisen, dass saubere Technologien und erneuerbare Energien das Unmögliche möglich machen können - das war meine Intention. Und die Zäsur, dass ein Solarflugzeug nachts ohne Treibstoff mit Solarenergie fliegen kann.

Euronews:

Als Sie sich auf dieses unglaubliche Abenteuer einließen, was ging Ihnen da durch den Kopf? Hatten Sie Angst vor dem Scheitern? Waren Sie sich der Risiken bewusst?

Bertrand Piccard:

Meine Vorbilder waren Astronauten, Entdecker, Taucher, Umweltschützer - dazu kamen mein Vater und mein Großvater, die große Entdecker waren. Deshalb wollte ich immer diese Art von Leben führen. Die Erde in einem Ballon zu umrunden war das letzte große Abenteuer des 20. Jahrhunderts. Richard Branson und Steve Fossett versuchten es. Und ich dachte, warum nicht auch ich? Also versuchte ich es, scheiterte zweimal, schaffte es beim dritten Mal. Das war das Maximum, das wir mit Treibstoff erreichen konnten. Es waren 20 Tage non-stop in der Luft, 45.000 Kilometer, der längste Flug aller Zeiten in der gesamten Geschichte der Luftfahrt. Wir landeten mit 40 Kilogramm flüssigem Propan, der Rest von den 3700 Kilogramm, die ich am Start hatte. Wenn ich es also besser machen will, muss ich den Denkansatz verändern. Ich muss etwas grundlegend verändern und ein Flugzeug ohne Treibstoff entwickeln - denn nicht der Himmel setzt die Grenze, sondern der Treibstoff. So entstand der Traum von Solar Impulse mit dem Ziel, die Welt ganz ohne Treibstoff zu umfliegen. Und die einzig mögliche Energie dafür war damals die Solarenergie.

Euronews:

Die Luftfahrtindustrie ist aktuell gezwungen, sich neu zu erfinden, nicht nur wegen Covid und den Umweltbelastungen, der enormen Verschmutzung, die die kommerzielle Luftfahrtindustrie verursacht. Ist Wasserstoff Ihrer Meinung nach die Lösung, oder Elektrizität oder ist Solarenergie für Sie eine Lösung?

Bertrand Piccard:

In der Solarenergie müsste es einen großen Umbruch geben, wenn man Passagiere über lange Strecken fliegen wollte. Solar Impulse hatte eine Spannweite von 72 Metern und flog 45 Kilometer pro Stunde mit nur einer Person an Bord. Auf diese Weise hatten wir genug Solarenergie, um fliegen zu können. Das ist für 200 Passagiere nicht sehr praktisch. Heute müsste man kommerzielle Flüge mit Hybrid-Flugzeugen, mit Wasserstoff betreiben. Für kleine Flugzeuge kann man vielleicht Batterien nehmen. Aber Solarenergie könnte zusätzliche Energie liefern. Wenn bei einem Airbus 380 alle Tragflächen mit Solarzellen bedeckt wären, würde das nur die Energie für die Unterhaltung an Bord liefern - nicht für die Triebwerke.

Moment der Verpflichtungen und Zeit zu handeln

Euronews:

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Covid-19 hat die Industrie lahmgelegt. Was ist Ihre Meinung - wenn die Luftfahrtindustrie wieder aufblüht, muss sie aufgrund des finanziellen Drucks, der auf ihr lastet, hauptsächlich auf fossile Brennstoffe zurückgreifen? Oder könnte das der Moment sein, in dem sie sich neu erfindet?

Bertrand Piccard:

Nein, es ist der Moment der Verpflichtungen. Airbus hat sich verpflichtet, in 15 Jahren Null-Emissions-Flugzeuge auf den Markt zu bringen. Das ist in 15 Jahren möglich. Die Luftfahrt ist so bahnbrechend, so innovativ, dass man das schaffen kann. Wenn Sie in der Geschichte zurückblicken, sind 15 Jahre ein kompletter Zyklus für neue Flugzeuge. Jedes Mal, alle 15 Jahre, gab es eine Revolution. Es ist also möglich. Aber es wird diese 15 Jahre dauern, um dieses Ziel zu erreichen. Aber wir müssen begreifen, dass wir jetzt handeln müssen.

1000 Lösungen, um die Zukunft zu gestalten

Euronews:

Sprechen wir über Ihre Initiative der 1000 Lösungen, die kurz vor dem Ziel steht. Sie haben die Welt mit einem Heißlufballon umrundet, Solar Impulse entwickelt. Warum mussten Sie sich dieser dritten wirklich großen Herausforderung stellen?

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Bertrand Piccard:

Die Herausforderung der 1000 Lösungen ist das, worauf es letztendlich ankommt. Der "Breitling Orbiter Three", der Ballon zur Weltumrundung, war mein persönlicher Traum. Solar Impulse - mit einem Solarflugzeug die Welt zu umrunden, war ein sehr symbolträchtiges Unterfangen. Jetzt bin ich auf dem Boden der Tatsachen angekommen, bei der sehr praktischen Herausforderung, der Welt eine Auswahl von 1000 technologischen Lösungen anzubieten, die die Umwelt schützen, aber dabei profitabel sind. Die dritte Reise um die Welt wird mit diesem Portfolio, diesem Leitfaden der 1000 Lösungen unternommen, um den Regierungen, den großen Unternehmen und Institutionen alle nötigen Instrumente an die Hand zu geben, um ihre Umweltziele zu erreichen. Jeder hat heute Umweltziele, man will klimaneutral im Jahr 2040 oder 2050 sein. Aber niemand hat eine Ahnung, wie man das erreichen kann. Ich möchte zeigen, dass es all diese Lösungen bereits gibt, sei es von kleinen Start-ups, großen Unternehmen oder multinationalen Konzernen. Insgesamt gibt es Hunderte und Aberhunderte dieser Lösungen, die zur Erreichung ehrgeiziger umweltpolitischer und energiepolitischer Ziele genutzt werden können.

Euronews:

Wenn es also um Investitionen in die Zukunft geht, kann man sich Ihre 1000 Lösungen ansehen. Wie weit sind Sie von der 1000er-Marke entfernt? Und können Sie unseren Zuschauern zur besseren Veranschaulichung beispielsweise zwei Lösungen vorstellen, die Ihnen wirklich ins Auge gefallen sind?

"Die Menschen warten auf die eine Lösung, die ein Wunder bewirkt. Das Wunder besteht darin, dass es viele Lösungen gibt, jede davon ist hilfreich. Und alle zusammen verändern sie die Welt."
Bertrand Piccard
Schweizer Psychiater und Abenteurer

Bertrand Piccard:

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Von den 1000 Lösungen, die wir auswählen, haben wir 830 identifiziert und mit unserem Label versehen. Wir sind also fast am Ziel. Unter diesen technologischen Lösungen gibt es beispielsweise welche, die Wasser sparen, die helfen, Wasser zu reinigen, die Energie mithilfe von Wellen erzeugen, die Gebäude viel besser isolieren, die intelligente Gebäude und Wärmepumpen entwickeln. Es gibt Lösungen für viel billigere Solarenergie, die nur ein Viertel dessen kostet, was man für Strom aus Öl, Gas, Kohle oder Kernkraft ausgibt. Es gibt Systeme, um Autos viel sauberer zu machen, ein kleines Modul, das Sie für 500 Dollar in Ihren Motor einbauen und das 20 Prozent des Treibstoffs spart und 80 Prozent der giftigen Partikel abfängt, die ausgestoßen werden. Die Menschen warten auf die eine Lösung, die ein Wunder bewirkt. Das Wunder besteht darin, dass es viele Lösungen gibt, jede davon ist hilfreich. Und alle zusammen verändern sie die Welt, sie bringen die Technologie, den Umweltschutz voran.

Umweltschutz ist profitabel

Euronews:

Es ist eine Sache, großartige Ideen zu haben, aber es ist eine andere, sie tatsächlich umzusetzen. Wie viel von diesen 1000 Lösungen sind marktreif und werden von der Industrie umgesetzt?

Bertrand Piccard:

100 Prozent dieser 1000 Lösungen, denn das ist eines der Kriterien. Wir wollen das Label der Stiftung Solar Impulse nicht auf die vage Idee eines sogenannten genialen Erfinders setzen, der in 50 Jahren etwas tun wird. Nein, alle Lösungen, die wir ausgezeichnet haben, sind Lösungen, die entweder bereits auf dem Markt oder marktreif sind, die für die Industrie profitabel sind, die Arbeitsplätze schaffen und die auch die Umwelt schützen. Wenn diese drei Kriterien erfüllt sind, dann vergibt unsere Expertengruppe das Siegel.

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Euronews:

Wie sieht es mit der Kapitalrendite aus, wie verhält sich die Rendite im Vergleich zu traditionellen Investitionen?

Bertrand Piccard:

Sie ist gleich oder besser. Wir gehen von einem Return on Investment aus, der manchmal sechs Monate, maximal fünf Jahre beträgt. Aber wenn Ihr angelegtes Geld wie aktuell nur negative Zinsen abwirft, ist das perfekt. Man leiht sich Geld, verdient an den Zinsen und man investiert in neue Infrastrukturen, die die Umwelt schützen. Der Umweltschutz bezahlt sich quasi selbst. Was ich hervorheben möchte, ist die Tatsache, dass wir aufhören müssen zu glauben, dass wir nur die Wahl haben zwischen einem Wachstum, das soziales Chaos bringt, oder diesem sogenannten unbegrenzten Wachstum, das zu einer ökologischen Katastrophe führt. Nein, es gibt einen dritten Weg, den ich als qualitatives Wachstum bezeichne, bei dem man Arbeitsplätze schafft und Geld verdient, indem man das, was die Umwelt verschmutzt, durch das ersetzt, was die Umwelt schützt. Heute, mit all den Milliarden Euro und Dollars, die den Markt für die Bewältigung der Covidkrise überschwemmen, ist das der perfekte Zeitpunkt, um Infrastrukturen zu ersetzen und in viel modernere Systeme zu überführen, die sich quasi selbst bezahlen. Auf diese Weise werden wir Arbeitsplätze schaffen und Geld verdienen.

Es wir mehr Gewinner als Verlierer beim ökologischen Wandel geben

Euronews:

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Die Ironie dabei ist, dass diese Lösungen bereits existieren. Die Umweltbelastungen, denen wir ausgesetzt sind, gibt es bereits, sie liegen vor unserer Haustür, wir erleben sie. Warum sind die Lösung noch nicht aufgegriffen worden?

Bertrand Piccard:

Weil die meisten dieser Lösungen von Unternehmen kommen, die nicht bekannt genug sind. Oder manchmal kommen sie von großen Unternehmen, und die Leute denken, es ist nur Marketing und keine wunderbare Lösung. Und es gibt noch ein anderes Phänomen, das wirklich schlimm ist: Und das ist die Tatsache, dass gesetzliche Rahmenbedingungen Umweltverschmutzung erlauben. Man darf so viel CO2 in die Atmosphäre einbringen, wie man will, und so viel Plastik in den Ozean und so viele Chemikalien in den Boden oder sogar in die Nahrung, die man isst. Das ist legal. Infolgedessen gibt es viele Unternehmen, die sagen, was wir tun, ist erlaubt, es ist legal, warum sollten wir das ändern? Aber wenn die Regulierungen fortschrittlicher werden, modernisiert werden und wirklich auf den heutigen Technologien basieren, und nicht auf den Technologien, die vor 50 Jahren existierten, dann schafft man die Notwendigkeit, dass all diese neuen Technologien auf den Markt kommen. Und das wird all die Start-ups anziehen, die aufblühen, Arbeitsplätze schaffen und sehr, sehr profitabel sein werden. Und in diesem Sinne wird es sehr viel mehr Gewinner als Verlierer bei diesem ökologischen Wandel geben.

Euronews:

Sie sind von Beruf Psychiater. Und nach allem, worüber wir gesprochen haben, möchte ich Sie bitten, sich auf eine Psychiater-Couch zu legen. Denn ich könnte mir vorstellen, dass Sie bei Ihrer Reise um die Welt, bei der Durchsicht der 1000 Lösungen bestimmt Zeit hatten, in sich zu gehen und einen Blick auf die menschliche Natur zu werfen. Was haben Sie auf dieser Reise, zu der Sie aufgebrochen sind, über sich selbst gelernt?

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Ich habe gelernt, dass man nie Angst vor dem Scheitern haben sollte. Sonst versucht man es erst gar nicht.
Bertrand Piccard
Schweizer Psychiater und Abenteurer

Bertrand Piccard:

Ich habe gelernt, ausdauernd zu sein: Denn früher, als ich jünger war, war ich sehr ungeduldig und Solar Impulse brauchte dreimal länger und war fünfmal teurer, als ich dachte. Ich musste mich also wirklich anstrengen, um erfolgreich zu sein. Ich habe gelernt, dass man nie Angst vor dem Scheitern haben sollte. Sonst versucht man es erst gar nicht. Und man muss auch lernen - und das ist eine Sache, die neu für mich war - In der Realität ist nichts unmöglich, das Unmögliche existiert nur in den Köpfen der Menschen, die die Zukunft als logische Entwicklung der Vergangenheit begreifen, was falsch ist. Zukunft bedeutet immer Umbruch. Man muss sich also wandeln, um für die Zukunft bereit zu sein.

Euronews:

Bertrand, Sie haben in Ihrem Leben so viele unglaubliche Erfahrungen gemacht, in der Luft und auf der Erde: Wenn Sie den Zuschauern dieser Sendung einen Ratschlag geben sollten, welcher wäre das?

Betrand Piccard:

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Suchen Sie nach mehr Weisheit, nach mehr Respekt, nach mehr Mitgefühl im Leben: Denn was immer wir tun, wir können Respekt haben, wir können Mitgefühl haben, wir können weise handeln. Das sind Werte, die wir wirklich in allem, was wir tun, umsetzen müssen. Und noch mehr als das, in allem, was wir sind.

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