Ein Schicksalsbericht: Obdachlos durch COVID-Chaos

euronews
euronews Copyright 
Von Hans von der BrelieJohannes Pleschberger, Sabine Sans
Diesen Artikel teilenKommentare
Diesen Artikel teilenClose Button
Den Link zum Einbetten des Videos kopierenCopy to clipboardCopied

Regina kam eigentlich immer durchs Leben. Die Coronakrise hat ihr den erst den Job und dann die Wohung geraubt. Sie erzählt ihre Geschichte.

Die 61-Jährige Regina aus Hessen verdiente bislang ihren Lebensunterhalt durch Arbeit in Hotels, Restaurants oder Weihnachtsmärkten in Spanien, Deutschland und Österreich. Sie arbeitete als Zimmermädchen oder in der Küche, kann kochen, Betten beziehen, an der Rezeption Gäste empfangen, mit einem freundlichen Lächeln gute Laune verbreiten. Regina hat einen guten Draht zu Gästen und Arbeitskollegen, ist flexibel, kann anpacken - und hat sich so ein Leben als Saisonarbeiterin eingerichtet: Ohne eigene Wohnung pendelte sie zwischen Sommersaison und Wintersaison hin und her, meist zwischen Spanien und Österreich, von einer Betriebswohnung zur nächsten. Die Coronakrise machte das alles zunichte. Ein Erfahrungsbericht:

47 Bewerbungen

"Ich bin immer im Winter - manchmal auch in der Sommersaison - in Österreich und verdiene mein Geld als Saisonarbeiterin. In diesem Jahr bin ich im August mit einem festen Jobangebot von Spanien nach Österreich gekommen. Zu diesem Zeitpunkt, nach Kontrolle der COVID-Zahlen, schien in Österreich alles in Ordnung. Aber als ich dann hier in Österreich ankam, hat mir der Chef des Hotels gleich gesagt: Absage, wegen Corona. Da stiegen die Zahlen wieder nach oben. Also dachte ich mir: ein Hotel ist kein Hotel - ich habe 47 Bewerbungen losgeschickt, ich habe mich überall beworben, Hotel, Gastronomie. Ich bin mir ja für keine Arbeit zu Schade.

Da komme ich also hier an in Österreich und habe auf einmal keinen Arbeitsvertrag mehr. Also habe ich mich wieder beworben, nächstes Hotel, Absage. Dann zwischendurch wieder eine Zusage, ein Hotel in Flachau. Doch die haben dann wieder abgesagt. Dann wieder eine Zusage, im Lungau. Und genau am ersten November, fünf Tage vor meinem Geburtstag, hätte ich dort anfangen sollen. Doch dann bekam ich eine Woche vorher einen Anruf: Tut mir leid, ich muss Ihnen absagen, ich habe selber zwei Coronafälle im Hotel! Was macht man denn in so einer Situation? Nichts mehr…

Was macht man in so einer Situation`?

Ich habe mir dann erst einmal ein Pensionszimmer genommen, das habe ich vier Wochen gehalten, dann habe ich gemerkt: Das Geld wird immer weniger, die Hunde wollen essen, ich will essen. Du brauchst ja auch die Dinge für den täglichen Bedarf und wenn es nur Kleinigkeiten sind. Das Kleine macht das Große aus, es fehlt dann überall. Irgendwann habe ich gesagt, ok, bevor du gar kein Geld mehr hast, musst du dir was einfallen lassen, also habe ich mich erst einmal durchgefragt: Caritas, dann der Einweisungsbescheid hier für den Platz von der Volkshilfe, wo man mit Haustier hinkann. (…) Es gibt nur wenige Einrichtungen, die Plätze für Frauen mit Hunden haben, oder überhaupt für Obdachlose mit Hunden. Der einzige Platz war hier in der Volkshilfe – und seitdem bin ich eben hier.

Was ich mir wünsche? Einen Job und eine Wohnung für mich und meine Hunde, das wünsche ich mir. Vielleicht sieht jemand ja dieses Interview und sagt: ok, die Frau, die kann ich gebrauchen. Das würde ich mir wirklich von ganzem Herzen wünschen. Das wäre für mich mein Geburtstagswunsch im Nachhinein und mein Weihnachtswunsch auch, mehr will ich gar nicht.

Man weiß nicht vor und nicht zurück

Ich war noch nie in so einer Situation wie jetzt. Du weißt nicht nach vorne, nicht zurück. (…) Ich habe Mindestsicherung beantragt, aber das kann dauern. Da kannst du dreimal die Anträge hinschicken und alles dreimal kopieren und nochmal hinschicken. Wenn es hier (im Obdachlosenheim der Volkshilfe Wien-Nordlilcht) kein Essen und Trinken gäbe, dann wüsste ich auch nicht, dann müsste ich irgendwie betteln gehen – und da bin ich nicht der Typ für, das könnte ich auf gar keinen Fall.

Im Moment bin ich ziemlich unten, die Nerven flattern mir so ein bisschen, ich mache mir halt auch viele Sorgen um mich, sage mir, es muss doch weitergehen… ich bin ja nicht die Einzige, der es so geht, es geht ja vielen so.

Andere sind vielleicht in einer anderen Situation, die können zum Arbeitsamt gehen und sagen: Ich habe da und dort gearbeitet und wegen Corona kann ich nicht mehr arbeiten. Die bekommen dann Arbeitslosen- oder Kurzarbeitergeld. Ich habe ebenfalls Arbeitslosengeld beantragt, doch mir fehlen 127 Tage: Man muss in Österreich ein Jahr durchgearbeitet haben, damit man Arbeitslosengeld bekommt, aber wenn man immer als Saisonarbeiterin beschäftigt war, hat man keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld.

Es muss ja weitergehen

Dann habe ich Post bekommen, ich solle Rente beantragen (ich bin jetzt 61 Jahre alt), ja, dann mache ich das, aber die Zeiten, die ich hier gearbeitet habe, in Österreich, sind einfach zu wenig. Dann habe ich die Zeiten von Deutschland angefordert, da musst Du auch lange warten, bis Du Post bekommst. Die Mühlen der Verwaltung mahlen langsam, gerade jetzt. Mein Vater war Fremdenlegionär, der hat immer gesagt: Schlimmer geht immer. (…) 47 Absagen habe ich bekommen, das muss sich mal einer antun. Andere Arbeitssuchende sagen nach zehn Absagen: Ich habe keine Lust mehr. Ich habe weitergemacht. 47 Bewerbungen – und eine Absage nach der anderen. Was willst du denn da machen? Ich gucke trotzdem nach vorne und sage, es geht weiter, es geht immer weiter, es muss ja weitergehen.

An meiner Situation ist Corona Schuld, ganz einfach. Weil die Hoteliers, die wollen ja auch arbeiten – sie können ja nicht arbeiten, sie dürfen nicht. Die Skilifte funktionieren nicht, die Hotels haben zu, die Gastronomen sind im Lockdown, dürfen nicht kochen, selbst der Chinese hier um die Ecke.

Nicht aufgeben, kämpfen ist angesagt

Ich sage mir immer: Nicht aufgeben, kämpfen ist angesagt. Und den Leuten sagen: Haltet einfach Abstand, dann könnt ihr nicht krank werden. Nicht den Kopf in den Sand stecken, keine Couch-Potato werden, das muss nicht sein. Man weiß ja, was man kann. Man muss einfach kämpfen, für sich und seine Familie und für all die anderen auch. Ich sage immer: Man sollte als gutes Beispiel vorangehen – und wenn eine das schafft, dann schaffen andere das auch. Und ich bin nicht die einzige. Da gibt es ganz viele da draußen, die sagen: Was mache ich? Wo führt mein Weg mich hin? Wohin mich mein Weg hinführt, kann ich auch nicht sagen.

Ich würde mich freuen, wenn jemand sagt: Die Frau, die stelle ich ein, die bekommt eine Chance. Es hat ja nicht nur ein Land getroffen, es hat alle Länder getroffen, alle auf der ganzen Welt sitzen im selben Boot."

Wer Regina M. unterstützen will, kann sich bei der Volkshilfe Wien via E‑Mail unter R.Bartl@volkshilfe-wien.at oder mitgliederservice@volkshilfe-wien.at oder telefonisch unter 00 43 (0)1 360 64 20 melden.

Wer die Volkshilfe Wien mit einer Spende unterstützen möchte:

Bank Austria IBAN: AT25 1200 0006 6910 0000 | BIC: BKAUATWW

P. S. K. IBAN: AT55 6000 0000 0154 9900 | BIC: BAWAATWW

Erste Bank IBAN: AT05 2011 1800 8048 0000 | BIC: GIBAATWW

Weitere Quellen • Johannes Pleschberger

Diesen Artikel teilenKommentare

Zum selben Thema

Hat Frankreich aus den Terroranschlägen von 2015 seine Lehren gezogen?

Deutschland im Energie-Wahlkampf: Wo weht der Wind des Wandels?

Halloumi: Kann Käse-Diplomatie Zypern einen?