Die Migrantenkrise an der EU-Außengrenze sollte nicht vom Leiden in Belarus ablenken, mahnt die belarussische Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja. Und der jüngste Anruf von Angela Merkel bei Alexander Lukaschenko sollte diesen nicht legitimieren.
Die humanitäre Migrantenkrise an der EU-Außengrenze sollte nicht vom Leiden in Belarus ablenken, mahnt die belarussische Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja im Interview mit dem litauischen Nationalfernsehen.
Und der jüngste Anruf der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel bei Alexander Lukaschenko sollte diesen nicht als belarussischen Präsidenten legitimieren.
Swetlana Tichanowskaja, belarussische Oppositionsführerin:
„Die humanitäre Krise hat die Aufmerksamkeit etwas von der politischen Krise abgelenkt. In Gefängnissen leiden noch immer Tausende Menschen unter schrecklichen Bedingungen. Es gibt einfach keine Bilder und Informationen, so dass dies nach und nach vergessen wird. Aber ohne die politische Krise in Belarus, die Krise der Diktatur, werden wir die Migrationsfrage nicht lösen. Denn das Regime würde sich etwas anderes einfallen lassen. Man muss also die Krankheit selbst heilen und nicht die Symptome.“
RUSSLAND
Zur Rolle Russlands beim der von der EU beklagten Instrumentalisierung von Migranten durch Lukaschenko sagte sie:
Swetlana Tichanowskaja, belarussische Oppositionsführerin:
„Wir haben keine Beweise dafür, dass der Kreml in irgendeiner Weise daran beteiligt ist. Aber zumindest beobachten sie ruhig, was passiert. Natürlich könnte Russland als einer der Vermittler zwischen dem Regime und der demokratischen Gesellschaft in Belarus eine konstruktive Rolle spielen – bei der Lösung der Migrations- und politischen Krise.“
MERKELS ANRUF
Und zum Merkel-Anruf bei Lukaschenko:
Swetlana Tichanowskaja, belarussische Oppositionsführerin:
„Ein Dialog hinter dem Rücken der Belarussen ist inakzeptabel. Das wird in keiner Weise einen der Konflikte lösen. Nur die vollständige Veränderung der politischen Lage im Land wird zu nachhaltig positiven Ergebnissen führen.“
Am Montag (15.11.2021) hatte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mit dem belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko telefoniert. Das teilte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montagabend in Berlin mit. Es sei bei dem Telefonat um „die schwierige Situation an der Grenze zwischen Belarus und der Europäischen Union“ gegangen.
Nach einem Bericht des belarussischen Staatsfernsehens dauerte das Gespräch etwa 50 Minuten. Dabei sei etwa besprochen worden, wie verhindert werden könne, dass die Lage an der Grenze eskaliert. Es sei zudem um eine humanitäre Unterstützung von den im Grenzgebiet festsitzenden Migranten gegangen. Nach Angaben von Seibert haben Merkel und Lukaschenko weitere Gespräche vereinbart.
EXPLOSIVE LAGE AN DER POLNISCHEN GRENZE
Dem polnischen Grenzschutz zufolge kampieren derzeit rund 4.000 Migranten bei eisigen Temperaturen auf der belarussischen Seite der Grenze. Bei gewalttätigen Auseinandersetzungen mit polnischen Sicherheitskräften - nahe Bruzgi-Kuznica - wurden am Dienstag mehrere Menschen verletzt.
Die Regierungen in Minsk und Moskau machten Polen für die jüngste Gewalt an der EU-Außengrenze verantwortlich. Die EU wirft dem belarussischen Machthaber Lukaschenko vor, gezielt Flüchtlinge ins Grenzgebiet zur EU zu schleusen.
Swetlana Tichanowskaja hat nach Überzeugung der belarussischen Opposition die Präsidentenwahl 2020 gewonnen. Den offiziell verkündeten Wahlsieg Lukaschenkos erkennt unter anderem die EU nicht an. Tichanowskaja lebt zur Zeit in Litauen im Exil.
su mit LTLT, AFP