"Russland findet andere Käufer für sein Gas" Wladimir Tschischow im Interview

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Von Efi Koutsokosta
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"Russland hat keine Pläne, in die Ukraine oder ein anderes Land einzumarschieren. Das ist ein Bluff, aber nicht Russlands." Der Ständige Vertreter Russlands bei der EU, Wladimir Tschischow, im euronews Interview.

Die diplomatischen Gespräche zwischen Russland und dem Westen gehen auf höchster Ebene weiter, die Spannungen aber halten an. Russland hat massiv Truppen an der ukrainischen Grenze zusammengezogen.  Die USA haben ihre Truppen in höchste Alarmbereitschaft versetzt, sie sind bereit für den Einsatz in Europa. 

Ein Krieg scheint näher denn je.

Über die neuesten Entwicklungen sprach der ständige Vertreter Russlands bei der EU, Wladimir Tschischow, in Brüssel mit euronews Redakteurin Efi Koutsokosta. 

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Herr Botschafter, vielen Dank, dass Sie bei uns sind. Die offensichtlichste Frage zu Beginn: Ist Russland bereit, in die Ukraine einzumarschieren, oder ist das nur ein Bluff?

Russland hat keine Pläne, in die Ukraine oder ein anderes Land einzumarschieren. Das ist ein Bluff, aber nicht Russlands.
Wladimir Tschischow

Wladimir Tschischow

Das ist keine Frage der Bereitschaft. Russland hat keine Pläne, in die Ukraine oder ein anderes Land einzumarschieren. Das ist ein Bluff, aber nicht Russlands, sondern der Länder, die diese hysterische Botschaft in Europa und der Welt verbreiten.

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Sie sagen hysterisch, aber es ist eine Tatsache, dass Russland als erstes Land Angriffswaffen in Schlagdistanz zur Ukraine stationiert hat. Wenn das keine direkte Bedrohung der Souveränität des Landes ist, was dann?

Wladimir Tschischow

Sie werden überrascht sein, wie viele Angriffswaffen die Nato entlang der russischen Grenzen stationiert hat. Ganz zu schweigen von Militärbasen und so weiter. Und die Zahl der Überflüge entlang der russischen Grenzen in der Schwarzmeerregion ist zum Beispiel ist im letzten Jahr um 60 Prozent gestiegen, um mal eine Zahl zu nennen.

Für Russland geht es um die nationale Sicherheit. Die NATO hat damals versprochen, sich nicht nach Osten auszudehnen. Um es mit den Worten des damaligen US-Außenministers zu sagen: "keinen Zentimeter" nach Osten.
Wladimir Tschischow

euronews

Sie nennen es Selbstverteidigung, denn Sie sehen in den Nato-Aktivitäten eine ernsthafte Bedrohung Ihrer Sicherheit. Aber Russland hat 100.000 Mann an der ukrainischen Grenze zusammengezogen. Was steht für Russland jetzt auf dem Spiel?

Wladimir Tschischow

Für Russland geht es um die nationale Sicherheit. Deshalb hat Russland eine Initiative in Form eines Vertragsentwurfs mit den Vereinigten Staaten und den NATO-Ländern vorgelegt, mit dem eine Reihe von Vereinbarungen in rechtlich verbindlicher Form zu Papier gebracht würden, die in den letzten 30 Jahren seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion eingegangen wurden. 

Die NATO hat damals versprochen, sich nicht nach Osten auszudehnen. Um es mit den Worten des damaligen US-Außenministers zu sagen: "keinen Zentimeter" nach Osten. Seitdem haben wir fünf NATO- Erweiterungen Richtung Osten erlebt. Wenn es also heute heißt, Russland nähere sich der NATO, dann ist es doch so, dass nicht Russland sich der NATO nähert, sondern die NATO nähert sich Russland an.

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Russland hat Forderungen gestellt, darunter ein Ende der NATO-Osterweiterung und auch ein Ende der Bestrebungen der Ukraine, dem Bündnis beizutreten. Aber ist das nicht der Versuch, die alte sowjetische Einflußsphäre wiederherzustellen? Ist es das, was Sie da versuchen?

Wladimir Tschischow

Nein. Was wir in den letzten Wochen und Monaten aus dem Westen hören, sei es von den Vereinigten Staaten, der NATO oder sogar von der Europäischen Union, ist eine Wiederholung des Prinzips, dass alle unabhängigen und souveränen Länder das Recht auf Wahl des Sicherheitsbündnisses haben, und die Türen der NATO stehen offen für alle.

Aber der zweite Teil dieser Formel, die 1999 in Istanbul vereinbart wurde, wird gern weggelassen, und ich zitiere aus der Europäischen Sicherheitscharta: Jeder Teilnehmerstaat hat das gleiche Recht auf Sicherheit. Wir bekräftigen das Recht jedes einzelnen Staates, seine Sicherheitsvereinbarungen, einschließlich der Bündnisverträge, frei zu wählen und zu ändern, wenn sie sich weiterentwickeln.

Die NATO selbst hat sich nicht weiterentwickelt, und darüber hinaus hat – Zitat - jeder Staat auch das Recht auf Neutralität. Jeder Teilnehmerstaat wird diese Rechte respektieren, und er wird seine Sicherheit nicht auf Kosten der Sicherheit anderer Staaten stärken.

euronews

Wollen Sie damit sagen, dass die ukrainischen Bestrebungen oder die anderer post-sowjetischer Demokratien der Allianz beizutreten, eine Bedrohung für die Sicherheit Russlands darstellen?

Wladimir Tschischow

Alle Ambitionen, alle Pläne für den Beitritt zu einem Sicherheitsbündnis sollten mit den Sicherheitsinteressen anderer Länder, in diesem Fall also der Nachbarländer, in Einklang gebracht werden. Die Politik der offenen Tür der NATO ist so formuliert, als ob die NATO in einem Vakuum existierte, als ob es um die NATO herum niemanden sonst gäbe.

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Es liegen also alle Optionen auf dem Tisch, einschließlich militärischer Eskalation?

Wladimir Tschischow

Kein Atomkrieg.

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Gut zu wissen. Aber Sie wissen, dass jede militärische Eskalation in der Ukraine…

Wladimir Tschischow

Wir glauben an die Diplomatie, und ich kann nur hoffen, dass unsere Gesprächspartner demselben Grundsatz folgen, dass nämlich jede Meinungsverschiedenheit mit diplomatischen Mitteln gelöst werden kann und sollte.

euronews

Jede militärische Eskalation gefährdet auch die Inbetriebnahme der Nord-Stream-Pipeline. Kann sich Russland das leisten?

Wladimir Tschischow

Es geht ja nicht nur um Nord Stream, sondern um die Gesamtsituation, das europäische Sicherheitssystem, so wie wir alle es uns 1975 in Helsinki vorgestellt haben.

euronews

Zu Nord Stream 2 haben sie jetzt nichts gesagt. Sind Sie besorgt über ein Scheitern des Projekts?

Wladimir Tschischow

Ich denke, die europäischen Verbraucher sollten die ersten sein, die sich Sorgen machen. Denn sie werden ohne reichlich vorhandenes und relativ billiges russisches Gas leben müssen. Und sie werden andere Wege finden müssen, um ihre Häuser zu heizen und natürlich, um ihre Haushalte mit Strom zu versorgen. Der Winter ist noch nicht vorbei...

euronews

Durch Sanktionen stehen auch für Russland Milliarden Euro auf dem Spiel…

Wladimir Tschischow

Nun, Russland wird andere finden, denen es sein Gas verkaufen kann.

euronews

Herr Botschafter, vielen Dank für Ihren Besuch bei Global Conversation.

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