"Moskau will die Ukraine balkanisieren"

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Von Stefan Grobe
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Thema unseres Wochenend-Magazins State of the Union ist auch diese Woche wieder die Ukraine-Krise. Darin ein Interview mit dem Direktor der International Renaissance Foundation in Kiew, Oleksandr Sushko.

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Es war eine weitere Woche hektischer Diplomatie, um einen militärischen Konflikt zwischen Russland und der Ukraine zu vermeiden. Doch scheint sich der Westen genau darauf vorzubereiten: Krieg.

Zugleich leugnete Russland erneut, keine Pläne für einen Angriff auf die Ukraine zu haben - aber dann gab es diesen surrealen Moment in einem exklusiven Euronews-Interview mit dem russischen Botschafter bei der EU, Wladimir Tschitschow.

Euronews: Sind alle Optionen auf dem Tisch, einschließlich einer militärischen Eskalation?

Tschitschow: Kein Atomkrieg, nein. (lacht)

Euronews: Gut zu wissen...

Russland könnte also keinen Atomangriff starten, sondern einen konventionellen. Wer weiß.

In der Zwischenzeit erhielt die Ukraine militärisches Gerät aus den USA: Waffen, Munition und andere Geräte.

Auch europäische Länder machen mit - wie die Tschechische Republik. Außenminister Jan Lipavský teilte diese Woche mit, seine Regierung habe einstimmig beschlossen, "der Ukraine mehr als 4000 Stück 152 mm Artillerie-Munition zu liefern und damit einer Bitte aus Kiew nachzukommen."

Was Waffenlieferungen angeht, so ist davon nicht jeder in der EU überzeugt. Deutschland etwa, ohnehin eher zurückhaltend bei anti-russischen Sanktionen, will keine Waffen liefern und führt dazu eine seit langem bestehende politische Regel an, wie Verteidigungsministerin Christine Lambrecht erklärte.

Dennoch bleibt Berlin nicht untätig. Dieselbe Verteidigungsministerin teilte stolz die Lieferung von 5000 Schutzhelmen an die Ukraine mit - Kiew hatte laut Medienberichten 100.000 erbeten.

All dies deutet darauf hin, dass die Ukraine auf einen militärischen Konflikt zusteuert. Wie gehen die Menschen in dem Land damit um? Herrscht in Kiew eine Untergangsstimmung?

Fragen dazu an Oleksandr Sushko, Direktor der International Renaissance Foundation in Kiew.

Euronews: Wie ist die Stimmung in der Ukraine, sind die Menschen beunruhigt, haben sie Angst oder herrscht eine Gelassenheit?

Sushko: (lacht) Die Menschen sind diese Situation gewohnt. Dennoch herrscht wohl der höchste Grad der Beunruhigung seit sieben oder acht Jahren.

Euronews: Moskau will eine nur begrenzte Souveränität für die Ukraine und keine weitere Osterweiterung der NATO. Befürchten Sie, dass der Westen hier am Ende Konzessionen macht, um den Frieden zu retten?

Sushko: Ich denke, dass die Forderung nach einem Ende der NATO-Osterweiterung für Moskau nur eine Vernebelungstaktik ist. Denn der Kreml will den Einfluss der westlichen Demokratien in Osteueropa insgesamt stoppen. Moskau will dort eine eigene Interessenssphäre schaffen, in der die gesamte Politik streng von Russland bestimmt wird. Die NATO ist hier nur ein kleiner und symbolischer Teil der Debatte, und Russland will nur die Glaubwürdigkeit der Allianz und des Westens insgesamt aushöhlen.

Euronews: Im Westen werden derzeit Waffenlieferungen an die Ukraine diskutiert. Würden diese einen großen Unterschied machen angesichts der militärischen Stärke Russlands?

Sushko: Sicher sind die militärischen Potenziale Russlands und der Ukraine höchst ungleich. Die Ukraine wird militärisch nie so stark sein wie Russland. Doch ist dies ein wichtiges Zeichen der Solidarität. Zudem sind Waffenlieferungen sinnvoll, weil sie die Kosten einer Invasion für Russland deutlich erhöhen, vor allem wenn es um Waffen geht, mit denen die russische Luftwaffe und Panzer getroffen werden können, die Herzstücke eines russischen Angriffs.

Euronews: Sollte Russland einmarschieren, wie sehen danach die Pläne des Kremls aus? Soll die Ukraine einfach annektiert werden oder will Moskau ein Marionettenregime installieren?

Sushko: Schwer zu sagen. Aber was sie auch planen ist zum Scheitern verurteilt. Realistisch werden sie keine vollständige Besetzung vornehmen, denn Moskau hat nicht die Mittel, das Russland-feindlichste Land mit der feindlichsten Bevölkerung zu unterwerfen. Was sie aber versuchen könnten, ist, aus der Ukraine ein großes Bosnien zu machen und das Land zu balkanisieren. Das heißt einen funktionsuntüchtigen Staat zu schaffen, bei dem einige Teile von Russland kontrolliert würden. Ein solcher Staat würde nicht funktionieren und wäre zum Scheitern verdammt.

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