Putins Geisterschiffe spionieren kritische Infrastrukturen "für den Kriegsfall" aus

ARCHIV: Ein mutmaßliches russisches "Geisterschiff". Das Foto wurde während der Recherchen der Journalist:innen aufgenommen.
ARCHIV: Ein mutmaßliches russisches "Geisterschiff". Das Foto wurde während der Recherchen der Journalist:innen aufgenommen. Copyright NRK
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Von David Mac Dougall
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Investigative Journalist:innen in der nordischen Region Europas haben die Spionagebemühungen des Kremls gegen Windparks, Ölanlagen und Unterseekabel mithilfe von "Big Data" Analysen dokumentiert.

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Russland betreibt eine Flotte von "Geisterschiffen" in der Ostsee, deren Transmitter ausgeschaltet sind, um Offshore-Windparks, Gaspipelines, Strom- und Internetkabel in den Gewässern um die nordischen Länder auf mögliche Sabotageangriffe zu untersuchen.

Dies sind nur einige der brisanten Behauptungen der einer neuen Dokumentarserie mit dem Titel "The Shadow War", die von den öffentlich-rechtlichen Sendern Schwedens, Dänemarks, Finnlands und Norwegens produziert wurde und sich mit den geheimdienstlichen Operationen Russlands in der Region befasst.

"Im Falle eines Konflikts mit dem Westen sind sie bereit und wissen, wo sie eingreifen müssen, wenn sie die dänische Gesellschaft lahmlegen wollen", wird Anders Henriksen vom dänischen Polizeinachrichtendienst (PET) zitiert.

In einem Fall verfolgten die Dokumentarfilmer ein russisches Forschungsschiff namens Admiral Wladimirsij im Kattegat. Der AIS-Sender des Schiffs, ein System zur Identifizierung von Schiffen und ihrer Position, war ausgeschaltet, aber die Journalisten nutzten verschlüsselten Funkverkehr, um das Schiff zu verfolgen.

Ein Mann an Bord trug eine Uniform, eine kugelsichere Weste und ein Sturmgewehr, als das Schiff an Windparks in Schottland, England und den Niederlanden vorbeifuhr.

Experten zufolge werden die auf solchen Fahrten gesammelten Informationen direkt an den Kreml weitergeleitet.

"Dies ist eine strategische Kapazität für Russland, die als sehr wichtig angesehen wird und direkt von Moskau aus gesteuert wird", so Nils Andreas Stensønes, Chef des norwegischen Geheimdienstes.

Die Admiral Wladimirskij ist nicht das einzige Schiff, das bei offensichtlichen militärischen oder geheimdienstlichen Aufklärungsmissionen identifiziert wurde: Journalist:innen haben in den letzten zehn Jahren 50 russische Schiffe identifiziert, die in nächster Nähe von Öl- und Gasfeldern oder in die Nähe von NATO-Militärübungen schipperten.

Alexei Nikolsky/Copyright 2021 Sputnik
Wladimir Putin inspiziert einen russischen "Supertrawler" während der Feierlichkeiten zum Tag der Marine, Juli 2021Alexei Nikolsky/Copyright 2021 Sputnik

Wie verwundbar ist die unterseeische Infrastruktur in Europa?

Es ist vielleicht keine Überraschung, dass Russland so umfangreiche Operationen durchführt, um kritische unterseeische Infrastrukturen zu erfassen, aber der Krieg in der Ukraine hat die Spannungen noch weiter erhöht.

"Es besteht kein Zweifel, dass die Sicherheit der kritischen norwegischen Infrastruktur nicht ausreichend ist. Kabel sind sehr verwundbar, und Russland hat bereits viele Jahre damit verbracht, unterseeische Kommunikationskabel und Energieinfrastrukturen auf Karten zu identifizieren", erklärt Karen-Anna Eggen, Doktorandin am Norwegischen Institut für Verteidigungsstudien.

"Außerdem haben sie durch verschiedene wirtschaftliche Kooperationen Zugang zu sensiblen Daten erhalten, zum Beispiel zu seismischen Daten. Die Kartierung erfolgt hauptsächlich mit so genannten Forschungsschiffen und Fischereifahrzeugen, aber sie werden auch zur Sondierung und Störung eingesetzt, was ich als Teil einer umfassenderen Vorbereitung für den Fall verstehe, dass die Sicherheitslage im hohen Norden oder in Europa angespannter wird", sagte sie gegenüber Euronews.

Nachdem im vergangenen Jahr offenbar Sprengstoffanschläge auf die Nord Stream-Pipeline in der Ostsee verübt worden waren, verschärfte Norwegen aus Angst vor Anschlägen die Sicherheitsvorkehrungen für seine Offshore-Infrastruktur. Im April 2021 verschwand bereits ein Abschnitt eines Unterseekabels in der Nähe der norwegischen Insel Svalbard, das von der Forschung und dem Militär genutzt wird, und im Dezember desselben Jahres wurde eines der beiden Hauptkabel, die Svalbard mit dem norwegischen Festland verbinden, ebenfalls gekappt.

Obwohl sich kein Land zu diesen Vorfällen bekannt hat, wurden die identifizierten russischen Fischereifahrzeuge mehrfach dabei beobachtet, wie sie die Svalbard-Kabel kreuzten, bevor die Verbindungen gekappt wurden.

"Dies ist ein geopolitisch wichtiger Punkt für Russland und russische Militäraktivitäten. Natürlich streitet Russland jede Verantwortung für die Unterbrechung der Kabel ab, aber es passt zeitlich, örtlich und von der Kapazität her zusammen", so Karen-Anna Eggen.

"Dies ist ein klassischer Fall von verdeckter Aktion mit der Absicht, zu stören, Angst zu erzeugen und die norwegische Reaktion zu testen."

NORWEGIAN COAST GUARD/AFP
Der russische Trawler Elektron, fotografiert am 18. Oktober 2005 auf der Flucht vor der norwegischen Küstenwache vor der arktischen Küste NorwegensNORWEGIAN COAST GUARD/AFP

Wie die Dokumentation zustande kam

Die neue dreiteilige Dokumentarserie "Der Schattenkrieg" ist das erste Mal, dass öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten aus vier nordischen Ländern bei einem investigativen Projekt dieser Größenordnung zusammengearbeitet haben.

Das Ausmaß dessen, was sie aufgedeckt haben, hat selbst die beteiligten Journalist:innen überrascht.

"Wir haben vor fast einem Jahr mit der Recherche begonnen, und es hat ziemlich lange gedauert, bis wir herausgefunden hatten, welche Datenquellen uns zur Verfügung standen. Wir hatten einige Theorien, was verfügbar war, aber unser Projekt bestand nun darin, wie wir dies im Sinne von 'Big Data' tun können, um es systematisch zu erfassen", erklärte Håvard Gulldahl, der leitende Journalist des norwegischen Senders NRK, gegenüber Euronews.

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"Ich muss sagen, dass ich überrascht war, wie viele Schiffe offenbar an diesen Aktivitäten beteiligt sind. Das Ausmaß hat mich überrascht, aber auch der Zeitrahmen, in dem dies geschehen ist. Er ist viel länger, als ich erwartet hatte", fügte er hinzu.

Gulldahl sagt, dass zivile und militärische Expert:innen zwar über die Aktivitäten der Russen Bescheid wussten, dass es aber seit Beginn des Krieges in der Ukraine einen "Paradigmenwechsel" gegeben habe:

"Aktivitäten, die wir früher als harmlos interpretiert haben, sind das in unseren Augen jetzt nicht mehr".

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