Sie sind schön, wortgewandt – und existieren nicht. KI-generierte Frauen des Profils "Prawilne_Polki" rufen zum Polexit auf und verbreiteten rechtsgerichtete Ansichten. Der TikTok-Account wurde gelöscht, doch ein Experte warnt, dass die pro-russische Desinformation für junge Menschen weiterläuft.
In den polnischsprachigen sozialen Medien tauchen immer mehr Videos auf, die zum "Polexit" aufrufen – also zum Austritt Polens aus der Europäischen Union.
Ein Beispiel dafür ist das mittlerweile nicht mehr existierende TikTok-Konto "Prawilne Polki". Dort wurden Inhalte mit jungen, attraktiven Frauen veröffentlicht, die T-Shirts mit polnischen Flaggen und patriotischen Symbolen trugen.
Das Europäische Analytische Kollektiv Res Futura stellte fest, dass die Inhalte mit Hilfe künstlicher Intelligenz erstellt wurden. Die Videos sollten sich gezielt an ein Publikum im Alter von 15 bis 25 Jahren richteten.
In den Videos werden Aussagen wie "ich will den Polexit, weil ich Entscheidungsfreiheit will, auch wenn es teurer wird. Ich erinnere mich nicht an Polen vor der EU, aber ich habe das Gefühl, dass es damals polnischer war", oder: "Wenn ich über den Polexit spreche, höre ich nur 'Angstmacherei', 'Katastrophe', 'Weltuntergang'. Immer dasselbe Muster. Kein Gespräch darüber, wer eigentlich für uns entscheidet und warum. Vielleicht wird es Zeit, dass wir das ruhig besprechen."
Der polnische Austritt aus der EU wird regelrecht befürwortet und mit der "Herrschaft Polens aus Brüssel" begründet. "Genug von der Angst, dass wir ohne Zustimmung von außen nicht klarkommen. Das sind unser Recht, unser Geld und unsere Entscheidungen", heißt es.
Einige der Videos wirken sehr authentisch, bei anderen ist der Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) deutlich erkennbar, da Bild und Ton nicht synchron sind.
"Die Aufnahmen wurden mit generativer KI erstellt. Sie sind keineswegs von guter Qualität. Wer genauer hinsieht, merkt schnell, dass die Mimik unklar ist und die gesprochenen Sätze überhaupt nicht natürlich wirken", erklärt Aleksandra Wójtowicz, Senior-Analystin für neue Technologien und Digitalisierung am Polnischen Institut für Internationale Angelegenheiten, im Gespräch mit Euronews.
Gefahr eines möglichen "Hydra-Effekts"
Wer hinter den Inhalten steckt ist Wójtowicz bislang unklar. "Derzeit gibt es mehrere Gruppen, die mit KI verschiedene Kampagnen betreiben – oft auf YouTube, aber auch auf TikTok", so die Desinformations-Expertin.
Die auf YouTube veröffentlichten Inhalte ahmen teilweise Nachrichtensendungen nach. "Die Art zu sprechen dieser jungen Frauen erinnert stark an die Moderation in den genannten Fake-News-Sendern", merkt Wójtowicz an und erklärt, dass dafür synthetische Stimmen oder Stimmen kombiniert mit generierten Gesichtern genutzt werden. In solchen Videos werden pro-russische Thesen verbreitet, wie zum Beispiel dass die Wahlen manipuliert worden seien, oder auch, dass Ukrainer stehlen würden.
"Aus Forschungsinterviews weiß ich, dass diese KI-Manier, die für viele offensichtlich, irritierend oder eindeutig ist, für manche Zuschauer komplett unbemerkt bleibt", so Wójtowicz.
Die Inhalte des Profils "Prawilne_Polki" wurden sowohl von Organisationen als auch von einzelnen Nutzern gemeldet, weshalb der Account inzwischen auf TikTok nicht mehr verfügbar ist. Wójtowicz hofft, dass die mediale Aufmerksamkeit dazu beiträgt, dass TikTok künftig Desinformationsinhalte über einen möglichen EU-Austritt Polens besser erkennt.
Bei der Eingabe des Stichworts "Polexit" zeigt die Plattform inzwischen eine Warnung vor Desinformation an – doch das bedeutet nicht, dass der Kampf gegen Manipulationen gewonnen ist.
"Auf TikTok ist es typisch, dass solche Aktionen einen 'Hydra-Effekt' auslösen. Wenn Profile gemeldet werden, entstehen oft mehrere neue. Die Betreiber wissen inzwischen genau, dass es ineffektiv ist, sie neu zu erstellen, wenn das Phänomen im Fokus steht – sie werden gelöscht."
Wójtowicz skizziert zwei mögliche Szenarien hinter "Prawilne_Polki": Entweder war es eine Operation, um die Reaktion der Nutzer zu testen. Oder Desinformationsakteure begannen damit, um ihre Kampagne einzuleiten.
Letztlich wurde sie schnell entdeckt, weshalb sie "untertauchen und in Zukunft zurückkehren werde", prognostiziert die PISM-Expertin.
Warum wurden Bilder von jungen Frauen verwendet?
Der Expertin zufolge gibt es einen Trend bei der extremen Rechten, gezielt junge Frauen anzusprechen. Und wer spricht besser junge Frauen an als andere junge Frauen?
"In sozialen Medien wird das Phänomen der wir Phänomene wie die 'Tradwives', also traditionelle Ehefrauen. Das gibt es in den USA oft, aber es überträgt sich auf Polen. Schon bei den letzten Wahlen zeigte sich, dass diese Gruppe sehr einflussreich ist", so Wójtowicz, die daran erinnert, dass während des polnischen Präsidentschaftswahlkampfs zahlreiche Videos, teilweise KI-generiert, Frauen zeigten, die (manchmal singend) für zwei rechte Kandidaten warben – Sławomir Mentzen (Konföderation) oder Karol Nawrocki (unterstützt von der PiS).
"Diese Gruppe ist eindeutig sehr wichtig und kann ein zentraler Hebel für politischen Wandel sein. Kein Zufall also, dass Frauen 2023 eine so große Rolle spielten (gemeint sind die Parlamentswahlen, nach denen die seit acht Jahren regierende PiS die Macht verlor). Sie zu erreichen ist auch für Desinformationskampagnen entscheidend."
"Auf die Russen kann man immer zählen"
Das Phänomen kommentierte Jarosław Urbaniak, Abgeordneter der Bürgerplattform im Sejm: "'Prawilne Polki'?! Auf die Russen ist immer Verlass. Sie haben vergessen, 'prawilne' zu übersetzen."
Er bezieht sich auf das aus dem Russischen stammende Wort "prawilnyj" ("правильный"), das im Polnischen "richtig", "korrekt" oder "ordnungsgemäß" bedeutet.
Im Gefängnisslang bezeichnet es einen respektierten Insassen oder jemanden, der den Regeln einer Gemeinschaft folgt. Heute wird es umgangssprachlich als Synonym für Loyalität verwendet.
Radek Karbowski, unabhängiger Internet-Autor, der das Thema auf seinen Kanälen behandelte, sieht in der Verbreitung solcher Inhalte einen Hinweis auf die Notwendigkeit von Regelungen für KI.
Er zählte, dass "Prawilne_Polki" innerhalb von zwei Wochen 200.000 Aufrufe und fast 20.000 Likes generierte – eine sehr hohe Like-zu-View-Rate. Selbst wenn Likes künstlich erzeugt wurden, beeinflusst dies die Verbreitung und treibt den Algorithmus an.
"Prawilne_Polki" entstand auf einem übernommenen Konto
Interessanterweise wurde der TikTok-Kanal, auf dem die "Prawilne Polki"-Videos erschienen, bereits im Mai 2023 erstellt. Laut dem Portal Kontakt24.pl gehörte er zuvor vermutlich einem englischsprachigen Nutzer, der sporadisch rein unterhaltende Inhalte ohne Bezug zu Polen veröffentlichte. Einige dieser Inhalte sind noch sichtbar.
Der Wendepunkt war der 13. Dezember 2025: An diesem Tag wurde der Account umbenannt in "Prawilne_Polki" mit einer geänderten Bio: "Hier sprechen schöne polnische Mädchen, die ihre eigene Meinung direkt sagen. Patriotismus, Souveränität und Normalität an einem Ort. NEIN ZUM EURO-KOLCHOZ #polexit".
Die Übernahme erfolgte, als der Account bereits eine gewisse Anzahl von Abonnenten hatte, sodass die neuen Betreiber nicht bei null anfangen mussten. Am selben Tag wurden die ersten drei Inhalte im neuen Stil veröffentlicht: zwei Videos mit generierten Frauen und eine Grafik mit der Frage: "Wenn die Wahlen morgen wären – welche Partei ist Nummer eins für die Rechte?"
Studien von UCE Research für Onet zeigen, dass TikTok 2025 für 43,7 Prozent der 18- bis 25-Jährigen die wichtigste Informationsquelle zu den Präsidentschaftswahlen in Polen war.
Eine Umfrage von United Surveys im Auftrag von Wirtualna Polska (22. Dezember 2025) ergab, dass 24,7 Prozent der Befragten für den Polexit sind, während 65,7 Prozent dagegen sind.
Ähnliche Ergebnisse zeigt eine Anfang Dezember veröffentlichte Studie des Pariser Magazins "Le Grand Continent": 25 Prozent der Polen unterstützen Polexit, 69 Prozent lehnen ihn ab.