Ein Verteidigungsexperte ordnet ein. Braucht Europa angesichts wachsender Spannungen mit Russland mehr Atom-U-Boote? Die Debatte gewinnt an Fahrt.
Mit zunehmenden Spannungen zwischen den Großmächten wächst in Europa das Interesse an neuen, hochtechnologischen Waffensystemen, darunter nuklear betriebene U-Boote.
Nukleare U-Boote sind hochsensibel. Aktuell setzen nur sechs Staaten sie ein: Frankreich, das Vereinigte Königreich, die USA, Russland, China und Indien.
In letzter Zeit stehen sie häufiger im Fokus. In der vergangenen Woche eröffneten französische Soldaten das Feuer auf unbekannte Drohnen über einem U-Boot-Stützpunkt in der Bretagne.
Im November erklärte die US-Regierung, sie werde Südkorea beim Bau nuklearer Angriffs-U-Boote unterstützen, um Nordkorea entgegenzutreten. Das ist ein deutlicher Kurswechsel: Washington vermied über Jahrzehnte die Weitergabe maritimer Nuklearantriebstechnologie.
Die USA geben diese Technologie traditionell kaum weiter. Das Vereinigte Königreich erhält seit 1958 Unterstützung. 2021 öffnete Washington sie auch für Australien.
Im vergangenen Monat nahm Russland zudem ein neues nukleares U-Boot der Klasse Khabarovsk in Dienst.
Was sind nukleare U-Boote?
Der Begriff „nukleares U-Boot“ kann entweder ein von einem Kernreaktor angetriebenes Boot meinen oder ein Boot, das Nuklearwaffen trägt, unabhängig vom Antrieb.
Diese Doppelbedeutung wird oft unscharf verwendet und führt leicht zu Verwirrung.
Nuklear angetriebene U-Boote nutzen die Wärme eines Bordreaktors, erzeugen Dampf und treiben damit ihre Turbinen an. Das verleiht ihnen eine außergewöhnliche Ausdauer.
Sie können monatelang unter Wasser bleiben und müssen nur zum Versorgen der Besatzung mit Nahrung und Wasser auftauchen. Das macht sie deutlich schwerer zu entdecken.
"Die große Energiemenge über lange Zeit ist der Schlüssel. Deshalb sind nuklear betriebene U-Boote für Länder, die sie besitzen, wichtig", sagte Hans Liwång, Professor für Systemwissenschaft in Verteidigung und Sicherheit an der Schwedischen Verteidigungsuniversität, gegenüber Euronews Next.
Ein nuklear bewaffnetes U-Boot muss hingegen nicht nuklear angetrieben sein.
Es kann ein konventionelles Diesel-Elektro-Boot sein, das nukleare Raketen trägt. Nuklear bewaffnete Plattformen können zugleich nuklear angetrieben sein, etwa die französischen U-Boote der Klasse Le Triomphant.
Liwång sagte zudem: "Wir müssen davon ausgehen, dass [Russlands Khabarovsk] Nuklearwaffen tragen kann."
Braucht Europa angesichts russischer Aggression mehr nuklear angetriebene U-Boote?
Nuklear betriebene U-Boote sind stark in verdeckten Missionen und bei Überwachung. Für die aktuellen Konflikte in Europa eignen sie sich jedoch nur bedingt, so Liwång.
Im Krieg in der Ukraine sind für Europa und die NATO vor allem Land und See entscheidend. Diese Räume sind meist flach und küstennah, sagte Liwång.
Das bedeute: Die Entwicklung eines nuklearen U-Boots ist nicht die Kernaufgabe der Marine, fügte er hinzu.
Flache Gewässer und die beengte Geografie im Ostseeraum erschweren den unentdeckten Einsatz solcher Boote. Missionen im tieferen Mittelmeer verlangen in der Regel weder Größe noch Ausdauer oder Komplexität eines nuklear betriebenen U-Boots.
Diesel-elektrische U-Boote sind meist kleiner und günstiger im Unterhalt. Europa kommt gut ohne zusätzliche nuklear betriebene Boote aus, meint Liwång.
"Für die meisten europäischen Länder ist es wichtiger, mehrere konventionelle U-Boote zu haben, als auf die speziellen Eigenschaften dieser Boote zu setzen", sagte er.
Nuklear betriebene U-Boote bringen auch praktische Herausforderungen mit sich. Ihre Reaktoren nehmen im Schiff viel Platz ein, und das Nachladen des Brennstoffs kann bis zu einem Jahr dauern, weil dafür Bauteile zerlegt und ersetzt werden müssen.
Dennoch sieht er ihren Platz im größeren Verteidigungsrahmen Europas, besonders bei Operationen weit draußen im Atlantik. Russlands hybride Kriegstaktiken bedrohen auch europäische Gebiete wie Grönland und Island.
"Ich sehe die Notwendigkeit, dass europäische Länder eine Rolle bei der Verteidigung des Atlantiks übernehmen können", sagte Liwång.
"Nuklear betriebene U-Boote können dazugehören, aber es braucht auch anderes, etwa konventionelle U-Boote und Überwasserschiffe", fügte er hinzu.
Für Europa seien nukleare U-Boote keine dringende Priorität, so Liwång. Die jüngsten Entwicklungen weltweit könnten jedoch auf die europäische Sicherheitslage durchschlagen.
"Das nuklear betriebene U-Boot ist eher ein Instrument globaler Machtprojektion", sagte er.
"Länder wie Russland verfolgen eine solche Vision. Das prägt ihre Haltung gegenüber den USA. Und diese Haltung beeinflusst wiederum, wie die USA in Europa agieren."