Der überraschende Rücktritt von Sébastien Lecornu stürzt Frankreich in die nächste politische Krise und lässt Präsident Emmanuel Macron nur wenige Optionen.
Der Rücktritt von Premierminister Sébastien Lecornu am Montag nach kaum einem Monat im Amt hat Frankreich in eine weitere Phase politischer Turbulenzen gestürzt. Lecornu wurde zum Regierungschef mit der kürzesten Amtszeit in der modernen Geschichte Frankreichs. Er war der fünfte Premierminister von Präsident Emmanuel Macron seit 2022 und der dritte seit den vorgezogenen Parlamentswahlen im letzten Sommer.
Diese Wahlen führten zu einem Parlament, das in drei Blöcke aufgeteilt ist: das zentristische Bündnis des Präsidenten, eine Linkskoalition und das rechtsextreme Rassemblement National.
Keiner der drei Blöcke verfügt über eine tragfähige Mehrheit, und jeder ist mehr darauf bedacht, seine Position im Hinblick auf die Präsidentschaftswahlen 2027 zu schärfen, als einen Kompromiss zu finden.
Die politische Krise ist auch eine finanzielle Krise. Frankreichs Defizit liegt bei fast 6 % des BIP - doppelt so hoch wie der EU-Grenzwert - und seine Verschuldung ist eine der höchsten in der Europäischen Union.
Die Verabschiedung eines Sparhaushalts durch diese zersplitterte Versammlung hat bereits zwei von Lecornus Vorgängern den Job gekostet, und Lecornu war schnell klar, dass ihn das gleiche Schicksal ereilen würde.
Die Reaktionen auf seine Kabinettsernennungen bestätigten dies. Als Lecornu am Sonntagabend viele bekannte Gesichter neu ernannte, verärgerte er Verbündete und Gegner gleichermaßen.
Die Konservativen sagten, dass die Aufstellung nicht den versprochenen "Bruch" mit der vergangenen Politik darstelle, während andere sie als Beweis dafür abtaten, dass der französische Präsident Emmanuel Macron sich immer noch weigert, Kompromisse einzugehen.
Nun liegt die Last auf dem französischen Staatschef, der nur wenige einfache Optionen hat.
Option 1: Ernennung eines neuen Premierministers
Der unmittelbarste Schritt wäre die Ernennung eines neuen Premierministers. Theoretisch könnte Macron es noch einmal mit jemandem aus seinem eigenen zentristischen Bündnis versuchen, aber der rasche Sturz von Lecornu hat die Grenzen dieses Ansatzes aufgezeigt. Jede Regierung, die ausschließlich von seinem Lager angeführt wird, wird wahrscheinlich auf die gleiche Feindseligkeit der anderen Parteien stoßen.
Eine Alternative wäre, über die eigene Basis hinauszugehen und vielleicht eine gemäßigte Figur aus der Opposition oder sogar einen Technokraten zu ernennen, der als neutraler gilt.
Dies birgt jedoch erhebliche Risiken. Eine Ernennung aus dem linken Lager würde Macron wahrscheinlich zu Kompromissen bei den Wirtschaftsreformen zwingen, insbesondere bei seiner umstrittenen Rentenreform.
Die Wahl eines Rechtsaußen könnte die Linke verärgern und zu weiteren Misstrauensvoten führen.
In beiden Fällen würde Macron auf das Wohlwollen der Parteien setzen, die sich bereits für die Präsidentschaftswahlen 2027 positionieren.
Option 2: Wiederauflösung des Parlaments
Dies wäre verfassungsmäßig möglich, da die Frist von einem Jahr nach der letzten Auflösung abgelaufen ist, und würde die Wähler innerhalb von 20 bis 40 Tagen erneut an die Wahlurnen bringen.
Doch würden Neuwahlen wahrscheinlich die gleichen Spaltungen wiederherstellen oder sogar den rechts- oder linksextremen Block stärken.
Die vorgezogenen Parlamentswahlen im Jahr 2024 wurden weithin als Fehlkalkulation Macrons angesehen, die zu der derzeitigen parlamentarischen Hängepartie führte.
Der Präsident hat immer wieder seine Abneigung gegen eine erneute Parlamentsauflösung zum Ausdruck gebracht, aber wenn die Blockade anhält und kein Haushalt verabschiedet wird, könnte der Druck für diese Option überhand nehmen.
Option 3: Macrons eigener Rücktritt
Eine radikalere Möglichkeit ist der Rücktritt von Macron selbst, der von Teilen der Opposition, insbesondere der Linken, gefordert wird.
Im Falle seines Rücktritts sieht die Verfassung vor, dass der Präsident des Senats, Gérard Larcher, das Amt vorübergehend übernimmt und innerhalb von 20 bis 50 Tagen eine neue Präsidentschaftswahl organisiert wird.
Dieses Szenario bleibt jedoch unwahrscheinlich. Macron hat wiederholt versprochen, bis 2027 im Amt zu bleiben, und betont, dass er sein Mandat nicht aufgeben werde.
Option 4: Amtsenthebungsverfahren gegen den Präsidenten
Ein noch härterer Schritt als der Rücktritt wäre die Amtsenthebung durch das Parlament.
Dieses Szenario wird vor allem von der linksgerichteten Partei La France Insoumise (LFI) befürwortet, die seit langem die Auffassung vertritt, dass Macrons Amtsführung nicht mehr mit der Ausübung seines Mandats vereinbar ist.
Die Verfassungsreform von 2007 sieht einen rechtlichen Weg vor: In Fällen von "Pflichtverletzungen, die offensichtlich mit der Ausübung des Mandats unvereinbar sind", kann der Präsident abgesetzt werden.
Doch das Verfahren ist äußerst kompliziert. Seit seiner Einführung war es noch nie erfolgreich.
Was geschieht mit dem Haushalt?
Im Moment wird Frankreich von einer geschäftsführenden Regierung verwaltet. Wie nach dem Sturz der Regierung von François Bayrou im September können Lecornu und seine Minister nur die laufenden Geschäfte führen. Sie können keine größeren Reformen durchführen oder wichtige Ernennungen vornehmen.
Das bedeutet, dass die dringendste Aufgabe Frankreichs - die Verabschiedung des Haushalts 2026 - von Lecornus Team nicht vorangebracht werden kann.
Durch seinen Rücktritt ist die Haushaltsvorlage vom Montag hinfällig geworden, und eine neue Regierung muss nun ein neues Finanzgesetz entwerfen und im Parlament verteidigen.
Nach französischem Recht müsste der Vorschlag bis zum 13. Oktober vorgelegt werden, damit genügend Zeit für eine Debatte und eine verfassungsrechtliche Überprüfung bleibt.
Diese Frist ist jedoch unmöglich einzuhalten, selbst wenn schnell ein neuer Premierminister ernannt wird, da die Überarbeitung des Haushaltsentwurfs Wochen dauern würde.
Das Parlament könnte nur über den Einnahmenteil des Haushalts abstimmen, um sicherzustellen, dass der Staat weiterhin Steuern erheben kann.
Ein weiterer Ausweg wäre die Verabschiedung eines "Sondergesetzes", mit dem der Vorjahreshaushalt vorübergehend verlängert wird, wie es im Jahr 2025 geschehen ist.
Dies würde es dem Staat ermöglichen, die öffentlichen Dienstleistungen weiterhin zu finanzieren, während sich die politischen Verhandlungen hinziehen.