Mindestlöhne: "Niemand darf ausgebeutet werden"

Mindestlöhne: "Niemand darf ausgebeutet werden"
Copyright 
Von Euronews
Diesen Artikel teilenKommentare
Diesen Artikel teilenClose Button

Die Weihnachtszeit ist da. Und trotz der Krise geben die Briten in diesem Jahr fast 70 Milliarden Pfund, beziehungsweise 84 Milliarden Euro, im Weihnachtshandel aus, mehr als 2010. Doch das ist nur die eine Seite der Geschichte. Auf der anderen sind die Verkäufer, deren Gehälter zu den geringsten überhaupt zählen; selbst hier in der glitzernden Londoner Oxford Street.

Eine australische Verkäuferin sagt: “Ich verdiene 6,15 Pfund pro Stunde. Ich muss bei meinem Onkel leben, mit 600 Pfund kommt man eben nicht sehr weit in vier Wochen. Das ist nur ein reiner Weihnachtsjob, das ist im Moment alles.”

Ein junger Mann aus Südafrika: “Dieser Job alleine reicht nicht, ich suche noch einen anderen. Ich schlafe dann nur zwei Stunden pro Tag, aber naja, man tut eben, was man tun muss.”

Und ein weiterer Arbeiter erzählt: “Man muss wirklich aufpassen, dass man nicht zuviel ausgibt, man muss alles berechnen, zum Beispiel, ob man am Abend noch mit Freunden ausgehen kann oder nicht, man muss wirklich sehr gut aufpassen mit dem Geld, damit man noch genug hat, um zu reisen, genug zu essen, oder auch schlicht, um zur Arbeit zu gelangen, das ist verrückt. Ein klein bisschen mehr würde schon helfen.”

Im Vereinigten Königreich liegt der Mindestlohn im Schnitt bei rund 5 Pfund. Doch diese Untergrenze wird nicht immer eingehalten. Zum ersten Mal wurden Mindestlöhne in der verarbeitenden Industrie eingeführt. Zunächst in Neuseeland und Australien, später dann auch in Großbritannien, hier aber nur in bestimmten Bereichen. Während der Great Depression in den 30er Jahren folgten auch Roosevelts USA.

In vielen Ländern gibt es so etwas wie eine Lohnuntergrenze. Dabei existieren große Unterschiede, etwa zwischen Industrie- und Entwicklungsländern. In letzteren drückt die enorme Zahl geringqualifizierter Arbeiter die Mindestlohngrenzen immer weiter nach unten.

Wir sind in Südafrika, auf einer Apfelplantage. Einer der Arbeiter erzählt: “Wir bekommen nicht viel Geld, aber wir sind auch schlecht ausgebildet, daher ist dies der einzige Job, den wir tun können. Wir versuchen, das Geld so einzuteilen, dass wir damit zurechtkommen.”

Eine Mitarbeiterin sagt: “Mindestlöhne sind wichtig, denn die Regierung wird ja wissen, was der Lebensunterhalt so kostet. Wir würden gerne mehr verdienen, fürchten aber, dass sie uns einfach rausschmeißen, wenn wir das verlangen. Das Unternehmen findet immer Leute, die uns ersetzen.”

Der Landwirt Desmond Mudge: “Wir Landwirte brauchen die Arbeiter hier während der Erntezeit wirklich an jedem einzelnen Tag. Daher zahlen wir auch mehr, wir zahlen auch Boni, dadurch sind die Arbeiter viel engagierter, die Ernte einzuholen.”

Einen Mindestlohn für alle gibt es in Südafrika nicht, im Gegenteil, 43 verschiedene Regeln existieren, je nach Sektor und Region. Doch wie gut ist dieses System im Südafrika nach der Apartheid, in einem Land, das mit die höchste Arbeitslosigkeit weltweit hat?

Der Wirtschaftsexperte Haaron Bhorat: “In den meisten Fällen haben Mindestlöhne nachvollziehbarerweise dazu geführt, dass Arbeiter mehr verdienen. Wir beobachten also im Schnitt einen Lohnanstieg für Hausangestellte, Landarbeiter, Taxifahrer und so weiter. Gleichzeitig aber sehen wir, dass durch den Mindestlohn in bestimmten Bereichen, speziell in der Landwirtschaft, nicht mehr so viele Leute eingestellt werden. Es ist also generell schwierig zu behaupten, Mindestlöhne würden nicht zu mehr Arbeitslosen führen. Die Aufgabe für Politiker ist es, über eine Art Ausgleich nachzudenken, denn Mindestlöhne schützen die Armen, fast ausnahmslos konnte durch eine Untergrenze die Zahl armer Haushalte verringert werden.”

Auch wenn die Zeiten der Apartheid vorbei sind, leben in den vornehmen Vororten von Kapstadt etwa vorwiegend Weiße. Und in fast jedem der hübschen Häuser hier arbeiten Angestellte, die meisten von ihnen sind Schwarze. Per Gesetz wird versucht zu verhindern, dass aus Arbeit Sklaverei wird. Mina gehört zu denen, die mehr bekommen als den Mindestlohn.

Die Hausangestellte Mina: “Es gibt das Gesetz, aber es wird nicht umgesetzt. Die Leute lesen in der Zeitung, dass man seinen Angestellten dies und das zahlen muss, aber darum schert sich in echt ja niemand. Es gilt vielmehr das Motto: Du musst nehmen, was ich dir gebe. Andererseits sind viele Arbeiter schwach, sie haben Angst ihre Unterkunft zu verlieren und auf der Straße zu landen.”

Minas Auftraggeberin: “Bei niemandem, den ich kenne, der in derselben finanziellen Kategorie lebt wie ich hier in Constancia, bei niemandem geht es den Hausangestellten so gut wie Mina hier bei mit, niemand verdient das, was Mina bekommt. Mina hat viele Freiheiten. Die meisten Menschen kümmern sich nicht um Mindestlöhne, sie passen einfach nur auf, so wenig zu bezahlen, wie nur möglich.”

Minas Kinder leben alleine in diesem Dorf. Es geht dabei nicht nur um Bezahlung, sondern auch um Anerkennung, Würde und Menschenrechte.

Hester Stevens, Chefin der Hausangestellten-Gewerkschaft: “Unter der Apartheid war die Ausbeutung der Hausangestellten an der Tagesordnung. Damals gab es keinen Platz für Hausangestellte. Wir wurden in diesem Land stigmatisiert, man beschimpfte uns. Das ging auch danach weiter, was die Löhne angeht etwa, da sagte die letzte Regierung noch, Hausangestellte bräuchten keinen Lohn, sie können ja Fortbildungen besuchen und lernen, wie man besser kocht. Das ist Diskriminierung. Wir sind Teil dieses Landes und tragen ebenfalls zu seiner Wirtschaft bei.”

Zurück in London. Seit 1999 gibt es den Mindestlohn in Großbritannien, mit überwiegend positivem Ergebnis.

David N., Chef der Niedriglohn-Kommission: “Es hat eindeutig dazu beigetragen, Ungleichheiten zu bekämpfen. Zwar sind Ungleichheiten gestiegen, aber ich denke, das wäre ohne Mindestlöhne noch stärker der Fall gewesen. Mindestlöhne können natürlich nicht alle Probleme der Welt beseitigen. Aber sie können dabei helfen, die Ausbeutung von Menschen zu beenden. Die Probleme in der gesamten Arbeitsstruktur der Wirtschaft sind aber zu groß – alleine Mindestlöhne richten hier wenig aus.”

Für den ehemaligen Labour-Abgeordneten Ian Mc Cartney war das Gesetz zur Einführung von Mindestlöhnen das beste, was ihm in seiner Politikerlaufbahn passiert ist, sagt er. Wir trafen ihn in seinem Wohnort Wigan. Er erinnert sich noch gut: “Wir hatten damals die längste Parlamentssitzung überhaupt. Ich habe die Kammer nie verlassen, mein Bart wuchs, meine Achselhöhlen stanken, aber ich war entschlossen, das Gesetz durchzubringen. Ich hatte genug von den Konservativen, die es noch weitere hundert Jahre aufgeschoben hätten. Als wir es dann endlich geschafft hatten, brach sich eine absolute Begeisterung Bahn, es war wie nach einer gewonnenen Fußball-WM, es war einfach Wahnsinn. Die Leute sagten: Deshalb sind wir in der Politik, weil wir die Welt und viele Dinge verändern wollten.”

Diesen Artikel teilenKommentare

Zum selben Thema

Hat Frankreich aus den Terroranschlägen von 2015 seine Lehren gezogen?

Deutschland im Energie-Wahlkampf: Wo weht der Wind des Wandels?

Halloumi: Kann Käse-Diplomatie Zypern einen?