Boko Haram hält seit einem Monat entführte Mädchen gefangen

Boko Haram hält seit einem Monat entführte Mädchen gefangen
Von Euronews
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Einen ganzen Monat ist es schon her, seit die Terror-Gruppe Boko Haram im Norden von Nigeria mehr als 200 Mädchen aus einem Schulinternat entführt hat. Mädchen christlichen Glaubens, die – so die Botschaft der Entführer zu einem Video, in dem die Mädchen im Chor Koranverse aufsagen – nun alle zum Islam konvertiert seien.
Die Schule liegt im Nord-Nigerianischen Bundesstaat Borno, in dem die Terrorgruppe ihre Hochburg hat. Ihr Name Boko Haram bedeutet: “Westliche Bildung ist Sünde.” Einigen Mädchen war in der Nacht zum 15. April die Flucht gelungen.
Später berichteten sie, wie sie diese Schreckensnacht in ihrem Internat erlebt haben.
Diya Simon, eine, die fliehen konnte, sagt:
“Als das losging, haben wir in unserem Internatszimmer geschlafen. Wir wachten auf und hörten Schüsse. Wir hockten uns in eine Ecke, alle Mädchen zusammen. Das Personal lief weg und ließ uns zurück. Dann kamen sie und holten uns.”

Auf Boko Haram wurde die Öffentlichkeit erst aufmerksam, nachdem die nigerianischen Behörden 2009 den Gründer hingerichtet hatten.
Unter dessen Nachfolger nahm dieser mörderische Terror gegen Bildungseinrichtungen so fürchterliche Ausmaße an. Boko Haram will einen islamischen Gottesstaat schaffen mit der Scharia als einzigem Rechtsgrundsatz.

Der aktuelle Anführer Abubakr Shekau droht in einem Video: “Bei Allah, diese Mädchen werden in unserer Hand bleiben, bis unsere Brüder aus dem Gefängnis freigelassen werden. Ihr habt unsere Brüder vor 4 oder 5 Jahren in eure Gefängnisse gesteckt – und jetzt redet ihr von den Mädchen.
Die lassen wir nicht frei, bevor nicht unsere Brüder frei sind….”

Weltweit sind Menschen mobilisiert, die die Mädchen retten wollen. Politikerinnen und Politiker-Gattinnen sind dabei, Filmstars und viele Frauen ohne prominente Namen. Ein Spezialist für soziale Medien verweist auf deren bewußtseinsbildende Wirkung, dadurch werde erreicht, dass die Sache nicht in Vergessenheit gerate. So würden die sozialen Medien in die Realität zurück wirken, wo die Aktionen ein immer größeres Ausmaß annehmen.

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Mathieu Guidère ist Wissenschaftler, Professor der Islamwissenschaft, Schriftsteller, spezialisiert auf geopolitische Fragen im arabischen bzw. islamischen Raum. Die Entführung der Mädchen hat die Welt so intensiv aufgerüttelt wie selten andere Ereignisse. Warum jetzt diese weltweite Mobilisierung? Boko Haram entführt und ermordet Menschen doch schon seit Jahren ?

Mathieu Guidère
Diese aktuelle Mobilisierung hat zwei Seiten.
Sie ist sowohl wirksam wie auch interessant, weil sie endlich einmal das Licht der internationalen Öffentlichkeit auf die Lage der Frauen in Nigeria wirft. In diesem Land und besonders im Norden leiden die Frauen. In der globalen Kommunikation ist das Bild einer anti-westlichen Sekte entstanden.
Auf die Situation vor Ort kann sich diese internationale Mobilisierung auch negativ auswirken in dem Sinne, dass Boko Haram neue Anhänger rekrutieren kann.

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Der eigentliche Gründer von Boko Haram, Mohammed Jusuf, ist von den nigerianischen Behörden 2009 hingerichtet worden. Haben bei der folgenden Radikalisierung unter seinem Nachfolger Abubakar Shekau die Taliban Pate gestanden?

Mathieu Guidère
Bis 2009 war bekannt, dass diese Gruppe sich vor allem dem von der einstigen britischen Kolonialmacht inspirierten Bildungssystem widersetzt und statt dessen nach der Scharia verfahren will. Am Wandel von 2009 ist vor allem bedeutsam, dass der neue Führer Shekau sich als Messias präsentiert, der seine Weltsicht der gesamten Bevölkerung im Norden von Nigeria aufzwingen will. Und zwar mit einer Art von Flucht nach vorn durch Rache in Form von Gewaltakten.
Es ist schwierig, zu sagen, was Boko Haram und sein gegenwärtiger Anführer eigentlich genau wollen.

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In den Medien wird Boko Haram als Sekte bezeichnet. Stecken dahinter nicht auch geschäftliche Interessen?

Mathieu Guidère
Es gibt diese zwei Gesichter von Boko Haram.
Einerseits greifen diese Leute Schulen und Universitäten an. Die interessanteste Entwicklung unter der Führung von Shekau ist wohl die Hinwendung zu dieser mittelalterlichen Form der salafistischen Theologie. Sie haben einen Teil der Mädchen dazu gebracht, zum Islam zu konvertieren.
Man muss davon ausgehen, dass die Mädchen das aus Angst um ihr Leben getan haben.
Gleichzeitig werden sie genötigt zu heiraten, es handelt sich um Zwangsverheiratung. Dass die anderen Mädchen weiter verkauft werden sollen, entspricht der Ideologie dieser Gruppe. Die hat sich inzwischen ein breites Spektrum von Finanzierungsquellen geschaffen. Also nicht mehr nur Lösegeld durch Entführungen. Dazu kommen Schutzgelderpressung, Schwarzmarkthandel mit Waffen, Drogen und auch Einnahmen aus Prostitution.

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1.500 Tote seit Jahresbeginn, mehr als 200 entführte Mädchen, wie erklären sie die Tatenlosigkeit der Regierung dabei?

Mathieu Guidère
Die erklärt sich aus dem Zusammenwirken mehrerer Gründe. Die geopolitische Situation spielt dabei ebenso eine Rolle wie der Machtkampf im Lande. In diesem Föderalstaat haben nicht alle Bundesstaaten die gleichen Interessen, daher gibt es keinen Konsens beim Kampf gegen Boko Haram. Und dann spielen auch die bevorstehenden Wahlen eine Rolle. Es stehen sowohl Präsidentschaftwahlen bevor wie auch Wahlen zum Bundesparlament und zu den Parlamenten der einzelnen Bundesstaaten.

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