Litauen knackt Gazprom-Monopol

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Von Hans von der Brelie
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Auf Betreiben der litauischen Regierung hat die EU Kommission ein Wettbewerbsverfahren gegen den russischen Energiekonzern Gazprom eingeleitet. Litauen will unabhängig werden von russischen Erdgas-Lie

So spannend war Wettbewerbspolitik schon lange nicht mehr: die Europäische Kommission legt sich mit zwei “Marktriesen” gleichzeitig an, Google und Gazprom. Machen wir uns auf den Weg nach Litauen, in die Hafenstadt Klaipeda: Romas und seine Wachleute bringen uns auf der “Viktoria” zur “Independence”, zur “Unabhängigkeit”. Dass der schwimmende Erdgas-Superterminal auf den Namen “Unabhängigkeit” getauft wurde, ist kein Zufall… Seit Ende vergangenen Jahres ankert die “Independence” hier – und zwar für immer. Erdgas aus Norwegen wird hier angeliefert, gelagert – und ins baltische Erdgasnetz eingespeist. Hört sich recht harmlos an – ist aber eine energiepolitische Sensation: Mit der “Independence” hat Litauen das Monopol des russischen Gasriesen “Gazprom” geknackt. Vor Ankuft der schwimmenden Flüssiggas-Anlage (made in Singapur)waren die baltischen Länder zu hundert Prozent abhängig von russischen Erdgaslieferungen. Jetzt nicht mehr. Litauen hat ein Stück Freiheit zurückgewonnen: die Freiheit, seine Erdgaslieferanten frei zu wählen – und geltende Marktpreise zu bezahlen.

Tadas Matulionis, der Direktor des Klaipeda LNG Terminals, erklärt: “Dank dieses Schiffs und dieser Anlage kann Litauen erstmals in seiner Geschichte Erdgas überall in der Welt einkaufen, wir sind nicht mehr abhängig von einem einzelnen Lieferanten (bislang war das Gazprom)… Ab jetzt fließt Erdgas von Litauen über Lettland bis nach Estland, so etwas war vor einem Jahr noch völlig unvorstellbar.”

Die Europäische Kommission beschuldigt den russischen Gaskonzern Gazprom, seine marktbeherrschende Stellung missbraucht zu haben: in Polen, Tschechien, Ungarn, der Slowakei, in Bulgarien und den baltischen Staaten. Preiswucher bis zu 40 Prozent lautet der Vorwurf an die Adresse des russischen Konzerns, versuchte politische Einflussnahme auf nationale und europäische Infrastrukturentscheidungen, Behinderung des freien Wettbewerbs, ein mit EU-Recht nicht vereinbares “Weiterverkaufsverbot” für nicht benötigtes Gazprom-Gas… die in Brüssel verfasste Beschwerdeliste ist lang und detailliert.

Um den Balten zu helfen, sich aus dem Griff des Gasriesen zu befreien, fördert die Europäische Union den Bau neuer Erdgasleitungen zwischen Estland und Finnland und zwischen Polen und Litauen. Bestehende Leitungen werden ausgebaut, wie die zwischen Lettland und Litauen. Auch die Anbindung der schwimmenden Erdgas-Anlage in Klaipeda ans litauische Netz wird von der EU mitbezahlt.

Das 110 km lange Verbindungsstück wird Ende des Jahres in Betrieb gehen, die Europäische Kommission hat die Pipeline als Infrastrukturprojet von gesamteuropäischer Bedeutung eingestuft und bezahlt fast die Hälfte der 64 Millionen Euro Baukosten. Der Umbau der Europäischen Energiepolitik zielt auf eine weitreichende Liberalisierung des Gasmarktes und die Entflechtung von Pipeline-Betreibern und Gaslieferanten, eine Philosophie, die Gazprom missfällt. Erst kürzlich trennte sich der russische Konzern von seinem litauischen Leitungsnetz.

Darius Dudutis erklärt uns stolz seinen Beitrag zu Litauens Energie-Sicherheit: “Wir vergrößern die Erdgasleitung von Klaipeda nach Kursenai. Diese neue Leitung ist so ausgelegt, dass wir die in Litauen angeschifften Erdgaslieferungen problemlos weitertransportieren können. Die Kapazität der bestehenden Pipeline reichte hierfür nicht aus.”

Das von der Europäischen Kommission angestrengte Wettbewerbsverfahren geht auf eine Beschwerde Litauens zurück. Nach zweijähriger Detektivarbeit wird jetzt geklagt. Euronews bat die Gazprom-Vertretung in Brüssel um ein Interview. Die Antwort lautete: Njet. Will Gazprom eine Vehandlungslösung? Ohne eine solche, könnten die europäischen Wettbewerbshüter Gazprom mit einer Zehn-Milliarden-Dollar-Strafe belegen. Sollte es zu einer Verschärfung des Konflikts kommen, könnte Litauen Gas aus Russland völlig durch Gas aus Norwegen ersetzen. Andrius Dagys von Amber Grid betont: “Diese Pipeline hat eine herausragende Bedeutung, denn mit ihr sind wir in der Lage, den Gasbedarf aller drei baltischen Staaten zu über 80 Prozent abzudecken.”

Litauens Präsidentin Dalia Grybauskaite begrüßte das EU-Wettbewerbsverfahren, dadurch werde “die Erpressung durch den Kreml beendet”. Russlands Außenminister nennt die EU-Klage “inakzeptabel”, Europa versuche, seine Regeln rückwirkend anzuwenden. Und was sagt Rokas Masiulis, der für Energiefragen zuständige Minister der litauischen Regierung zu alldem? “Wir haben uns entschlossen, bei Strom und Gas weitere Energiequellen zu erschliessen. Wir wollen nicht zu hundert Prozent von den Russen abhängen. Nach dieser Entscheidung folgte die Strafe: im Vergleich mit unseren Nachbarstaaten mussten wir zwanzig Prozent höhere Gaspreise zahlen. Ganz klar, das sind politische Preise… und dagegen kämpfen wir. Es geht um Milliardensummen… Wir in Europa müssen auf die bestehenden Regeln pochen und diese Regeln müssen nicht nur von Europäern eingehalten werden, sondern auch von Drittstaaten, auch von Gazprom,” so Rokas Masiulis.

Genau dies aber scheint Gazprom nicht akzeptieren zu wollen. Zwar ist das russische Unternehmen auf dem EU-Markt tätig und betont einerseits, sich an geltendes Recht zu halten, stellt andererseits aber den Gültigkeitsbereich europäischer Gesetze für nicht-europäische Konzerne in Frage.

Die Reibereien zwischen Litauen und Russland beschränken sich nicht nur auf Erdgas. Man beschuldigt sich auch wechselseitig der Spionage, wirft angebliche oder tatsächliche Agenten aus dem Land, redet öffentlich “recht robust” über den jeweils anderen… Jüngstes Beispiel für die zunehmenden Spannungen mit Russland: vor der Küste Litauens drängte russisches Militär ein Kabelschiff ab. Auch hier geht es um Energiepolitik: denn Litauen verlegt derzeit ein Unterseekabel nach Schweden. Litauen protestierte beim russischen Botschafter. Denn es ist nicht der erste Zwischenfall dieser Art, beim Kabellegen “funkte” es bereits zum vierten Mal zwischen den beiden Streithähnen…

In Klaipeda schuften die Ingenieure an einem Umspannwerk. Die 700-Megawatt-Leitung zwischen Schweden und Litauen soll Ende des Jahres in Betrieb gehen. Hinzu kommt eine 500-Megawatt-Stromtrasse nach Polen. Litauen will sein Leitungsnetz mit dem der Europäischen Union verknüpfen, sich in den europäischen Strommarkt einklinken. Auch hier stößt das baltische Land auf den Widerstand Moskaus.

Nach einigen Sicherheitsschleusen treffen wir Daivis Virbickas, den Top-Manager von Litgrid, dem litauischen Stromnetzbetreiber. Er erklärt: “Unser langfristiges Ziel, hier im Baltikum, in Litauen, besteht aus einer Synchronisierung mit Kontinentaleuropa. – Derzeit sind wir noch mit dem Stromnetz der früheren Sowjetunion synchronisiert, das vor 50, 60, 70 Jahren entworfen wurde. Wir wollen wechselseitige Abhängigkeiten mit unseren EU-Nachbarn schaffen, Interdependenzen, nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht, sondern auch in technischer.”

Und dann gibt es da noch einen ganz anderen Weg hin zu größerer Energie-Sicherheit in Litauen und Europa: Energiesparen. Die Europäische Union hat überall auf dem Kontinent riesige Wärmedämmprogramme gestartet, “massiv gefördert von der Europäischen Investitionsbank (EIB)“http://www.eib.org/infocentre/press/releases/all/2015/2015-097-lithuania-signs-agreements-with-eib-to-support-for-two-major-investment-projects.htm?lang=de#: mit europäischen Steuergeldern werden auch hier in der litauischen Hauptstadt Vilnius Wohnblocks aus Sowjetzeiten grundrenoviert.

Gediminas Purvelis aus Vilnius gehört einem Einwohnerverein an. Er erinnert sich noch gut an die früheren Zustände: “Vor der Renovierung war von einem normal funktionierenden Heizsystem nichts zu spüren: die Bewohner in den Eck-Wohnungen hatten dauernd kalt und die, die eine Wohnung in der Mitte des Blocks hatten, mussten mitten im Winter die Fenster offen stehen lassen, so heiss war das bei denen… Jetzt können wir die Heizkörper einzeln regeln… Geld spielte natürlch auch eine Rolle: die Regierung gibt Zuschüsse von 40 Prozent oder mehr. Solche Bewohner, die von Sozialleistungen abhängig sind müssen gar nichts bezahlen für die Renovierung, deren Kosten werden zu hundert Prozent übernommen, doch, ja… hundert Prozent!”

Gediminas stellt uns einigen Nachbarn vor. In Litauen laufen derzeit rund tausend Wärmedämm-Projekte. Alles in allem warten 34.000 Wohnungen auf eine Renovierung.
Ruta lebt mit ihren zwei Kindern und Ehemann Edgaras, einem Fenstermonteur, in dieser 44-Quadratmeter-Wohnung. 9000 Euro kostet die Renovierung, davon muss Ruta nur 5000 bezahlen, den Rest übernimmt Europa. “Während der Heizperiode zahlen wir etwa 90 Euro pro Monat, ganz schön viel für uns… Wir hoffen, dass wir nach der Renovierung nur noch 60 Euro zahlen müssen. – Durch die Renovierung wird das ganze Viertel viel hübscher und kinderfreundlicher. Doch das Wichtigste ist die niedrigere Heizrechnung: die Wohnung wird energie-effizienter, wärmer und gemütlicher,” so Ruta.

Viele Litauer haben Angst vor den russischen Machtdemonstrationen im Baltikum, die Moskauer Politik wird zunehmend als unberechenbar eingestuft. Die Anbindung Litauens an europäische Energie-Netze dient als Rückversicherung. Europa garantiert: das Licht bleibt an.

‘‘Gazprom sollte EU-Wettbewerbsregeln beachten’‘

In der litauischen Stadt Vilnius traf sich Euronews mit Marius Juonys, einem international anerkannten Experten für EU-Wettbewerbsrecht. Juonys erklärt die Gründe für das Wettbewerbsverfahren der Europäischen Kommission gegen den russischen Energiekonzern Gazprom. Das Interview (auf Englisch) können Sie hier hören.

‘‘Die Russen versuchten uns zu bestrafen’‘

Der litauische Energieminister Rokas Masiulis erläutert im Interview (auf Englisch), warum Litauen seine Energieversorgungsnetzwerke von Grund auf umbaut. Masiulis detailliert seine Vorwürfe an die Adresse des russischen Energiekonzerns Gazprom, redet über das laufende Wettbewerbsverfahren der Europäischen Kommission gegen Gazprom und erklärt Litauens Strategie für mehr Energie-Sicherheit. Euronews traf den Minister in Vilnius.

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