Stefan Löfven: Europa hat eine gemeinsame Verantwortung

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Für Flüchtlinge galt Schweden einmal als Bastion der Menschlichkeit. Das Land hat pro Einwohner mehr Flüchtlinge aufgenommen als jedes andere

Für Flüchtlinge galt Schweden einmal als Bastion der Menschlichkeit. Das Land hat pro Einwohner mehr Flüchtlinge aufgenommen als jedes andere Europäische Land. Doch nun sieht sich die Regierung unter dem Druck der Zuwanderung gezwungen, die Haltung zu ändern

Die Flüchtlingskrise polarisiert das Land, das auch die Heimat einer der stärksten rechtspopulistischen Parteien Europas ist.

Schwedens Ministerpräsident Stefan Löfven

Stefan Löfven wurde 2014 zum schwedischen Ministerpräsidenten gewählt 2012 wurde er Chef der Sozialdemokraten

Löfven war zuvor Präsident der IF Metall Union, der Gewerkschaft der Metallarbeiter.

Löfven wuch als Pflegekind in einer Arbeiterfamilie im Nordosten Schwedens auf

Um diese Themen zu diskutieren sprechen wir mit Schwedens Ministerpräsident, Stefan Löfven.

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Herr Ministerpräsident, danke, das sie bei uns sind
Im September 2015 -also vor gar nicht langer Zeit-haben sie gesagt -und ich möchte sie zitieren: mein Europa nimmt Menschen auf, die vor dem Krieg fliehen-mein Europa baut keine Mauern.

Diese moralischen Standards scheinen sich nun für Europa und auch für das von ihnen regierte Schweden geändert zu haben.
Bedauern sie rückblickend eine gewisse Naivität in ihren Worten?

Stefan Löfven

Nein, ich möchte betonen, ich habe von “meinem Europa” gesprochen,denn ich bin überzeugt das dies eine Angelegenheit für Europa als Ganzes ist.

Wir sind 28 Mitgliedstaaten mit über 500 Millionen Einwohnern. Wenn wir dies direkt gemeinsam angegangen wären, hätten wir es besser regeln können. Aber Tatsache war, das es einige wenige Länder gab-unter ihnen Schweden-die den Grossteil der Verantwortung übernommen haben. Wir haben die meisten Flüchtlinge aufgenommen, wenn sie das pro Kopf der Bevölkerung rechnen-mehr als jedes andere Land.

Wir haben also unseren Teil der Verantwortung übernommen.
Aber man kann eben auch sehen, das mit dem starken, dem dramatischen Anstieg der Flüchtlingszahlen die Aufnahme der Menschen nicht mehr bewältigt werden konnte.
Damit meine ich, ihnen Zuflucht zu gewähren, ein Dach über dem Kopf – und davon sind auch das Schulsystem und andere Bereiche des Systems betroffen.

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Das traurige Ergebnis ist nun in Schweden und in anderen europäischen Ländern, das es strengere Grenzkontrollen gibt, das Zäune gezogen und Mauern gebaut werden – wird das die Immigration aufhalten?

Stefan Löfven

Das ist die Konsequenz, weil die 28 EU Staaten es nicht gemeinsam angepackt haben. Darum muss die Diskussion wieder auf europäischer Ebene geführt werden, denn ernsthaft: das ist etwas, das wir gemeinsam schaffen können.

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Wir haben eine ernste Lage aber der Zusammenhalt, um die Lage in den Griff zu bekommen ist in Europa nicht wirklich erkennbar.
Was wäre also Plan B?

Stefan Löfven

Plan B ist, das wir ein neues System brauchen und das wir eine Diskussion darüber brauchen, was ein zukünfiges System für Folgen hätte. Zum Beispiel,wenn man als Flüchtling der nach Europa kommt nicht das Recht hat, sich das Land auszusuchen in das man kommt. Das würde automatisch bedeuten, das die Länder auch eine geteilte Verantwortung hätten

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Sie würden also Zwangsquoten befürworten?

Stefan Löfven

Dahingehend, das wir die Verantwortung teilen. Wie das geschieht-die genaue Form-das kann man diskutieren.

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Wir haben unsere online Zuschauer gebeten, uns Fragen zu diesem Interview zu schicken.Diese Frage kommt von jemandem mit Namen Lucas Broz . Er schreibt: Bedauern sie,es das sie Flüchtlinge willkommen geheissen haben und welchen Einfluss hatte das auf die schwedische Lokalbevölkerung?

Stefan Löfven

Nein ich bedaure es nicht. Wir haben Abkommen, internationale Abkommen und das aus gutem Grund.
Wir müssen mit 3 Perspektiven arbeiten:
Wir müssen helfen, den syrischen Konflikt zu lösen: Die Europäische Union kann dabei definitiv eine wichtige Rolle spielen.
Das ist schwierig-ich habe gerade auf meinem Weg hierher Stefan de Mistura getroffen. Er hat einen sehr schwierigen Job und wir unterstützen ihn darin, den Konlfikt zu beenden. Und wir müssen die Türkei, Jordanien und den Libanon unterstützen, weil sie einen grossartigen Job machen.Und natürlich können wir sie noch besser unterstützen. Indem wir verhindern, das Menschen nach Europa fliehen müssen.
Die andere Perspektive ist eine europäische Perspektive. Und die dritte Perspektive ist eine nationale.
Ich bedaure es nicht, aber wir müssen auch die Fakten sehen, mit dem dramatischen Anstieg der Flüchtlinge.
Diese Zahlen die wir da hatten, wenn man sie überträgt auf eine Jährliche Anzahl zugewanderter Flüchtlinge, dann waren es 500000! das war die Geschwindigkeit im Oktober, November….

Euronews

Zu einer weiteren Frage, die von jemandem ist, der Andre Flames heisst. Das Thema Integration ist ja durch die übergriffe in Köln stark in den Focus gerückt worden. Er fragt nun, was Schweden in den nächsten 5 Jahren unternehmen will, damit Flüchtlinge aus Syrien und Irak voll integriert werden und ihren Gastländern nicht schaden.Wir hören – es wird über Schnellintegration gesprochen – aber es gibt Massen an Menschen die kommen-wie soll der Integrationsprozess garantiert werden?

Stefan Löfven

Grundsätzlich gilt für Flüchtlinge genau das gleiche wie für Schwedische Bürger. Man braucht ein Haus, ein Zuhause, als Erwachsener braucht man einen Job, als junger Mensch braucht man eine Ausbildung – es ist also grundsätzlich das gleiche.

Aber wenn jemand aus einem anderen Land kommt, müssen wir uns natürlich ansehen, wie wir die Menschen unterstützen können, damit sie sich in Schweden ein gutes Leben aufbauen können.

Durch frühes Sprachtraining – da organisieren wir Sprachtraining sobald der Asylantrag gestellt wird-also schon sehr früh.
Und wir haben Absprachen mit den Sozialpartnern-wir nennen das die fast track Methode.Einige Asylsuchende haben Qualifikationen, die uns in unserem Land fehlen. z.b. Automechaniker. Da treffen die Sozialpartner Vereinbarungen, um sicherzustellen, das diese Leute schnell ins Arbeitsleben kommen und kombinieren Jobtraining und Sprachtraining und was sonst gebraucht wird.

Also: schnelle Prüfungen, welche Qualifikation es gibt und was gebraucht wird.

Euronews

Also die Menschen so schnell wie möglich in die Gesellschaft integrieren?

Stefan Löfven

Noch viel schneller, denn wir waren bisher nicht schnell genug, das gilt für die frühere Regierung und auch die Regierung davor..

Euronews

Wie sieht es bei kulturellen Werten aus, ich weiss das Schweden sehr aufgeklärt ist und in Sachen Gleichberechtigung auf Rang vier in der Welt rangiert. Wie vermitteln sie diese Werte – sie gehen weit über Integration im Arbeitsverhältnis hinaus. Das ist tief verwurzelt und wir alle wissen, das die meisten Flüchtlinge die kommen junge Männer sind, die möglicherweise sehr unterschiedliche Werte haben.

Stefan Löfven

Da gibt es 2 wichtige Betrachtungsweisen:

Einerseits müssen wir für unsere Werte eintreten, die uns wirklich wichtig erscheinen. Gleichheit der Geschlechter, Gleichberechtigung im Allgemeinen, Demokratie und all diese Grundsätzlichen Dinge, für die wir eintreten müssen.

Andererseits ist es nicht immer der Fall, das jemand mit anderer Kultur und Religion oder auch ohne irgendeine Religion automatisch anders denkt als wir.

Ich möchte keine Diskussion, in der von vorne herein festgelegt ist, das, wenn man aus einem anderen Kulturkreis kommt man diese Werte nicht respektiert.
Das wäre eine gefährliche Diskussion die im Land für Spannungen sorgen würde-das brauchen wir nicht.

Euronews

Deutschland, die deutsche Presse und die deutsche Regierung sind unter Druck geraten, weil sie versucht haben den Skandal von Köln zu vertuschen und das was bei den Neujahrsangriffen passiert ist. Schweden hat 2012 etwas ähnliches erlebt.
Wenn man die Bedeutung der Rechtsradikalen sieht, denken sie Deutschland hatte Recht so zu handeln und zu versuchen, das, was geschehen ist zu vertuschen?

Stefan Löfven

Ich kann nicht kommentieren was in Deutschland richtig oder falsch ist, denn ich kenne die Umstände nicht. Aber für Schweden kann ich sagen, das es falsch ist, etwas zu vertuschen – man muss die Wahrheit sagen: Das ist passiert.

Euronews

Wieviele Menschen würden sie gerne im Jahr aufnehmen?

Stefan Löfven

Man hat mir diese Frage schon oft gestellt. Es gibt keine genaue Anzahl.Aber was wir im Herbst gesehen haben – mit dem dramatischen, wirklich dramatischen Anstieg – da haben wir feststellen müssen, das es ein Problem ist, all diese unbegleiteten Minderjährigen aufzunehmen, denn sie brauchen besondere Betreuung.
Das war eine untragbare Situation mit all diesen jungen Menschen.

Wir haben fast wöchentlich einhundert neue Schulkassen bekommen, was bedeutet: das Schulsystem wurde sehr angespannt , sehr überstrapaziert, das war offensichtlich.
Und das war der Grund, warum die Regierung die Entscheidung getroffen hat, das die Anzahl der Asylbewerber in Schweden reduziert werden muss.
Weil das Sozialsystem das nicht verkraftet hätte.

Euronews

EU Kommissionspräsident Juncker hat Alarm geschlagen und gewarnt-ohne Schengenraum macht Europa keinen Sinn. Dabei sagen viele Leute Schengen bereits tot. Sollte sich Schengen auflösen-wird Europa dann folgen?

Stefan Löfven

Um es klar zu sagen: es wäre ein niederschmetternder Verlust, wenn Schengen nicht mehr funktioniert -es ist einer der Hauptpfeiler der EU, das wir uns in diesem Raum bewegen können – das wäre, das wäre absolut zerstörerisch für die Geschäftswelt und für Privatleute.

Euronews

Herr Ministerpräsident, vielen Dank das sie bei uns waren.

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