Nach Verlängerung der Waffenruhe: Türkei behauptet sich militärisch in Nordsyrien

Ein türkisches Militärfahrzeug in der syrischen Stadt Tal Abyad
Ein türkisches Militärfahrzeug in der syrischen Stadt Tal Abyad Copyright REUTERS, KHALIL ASHAWI
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Von Luis Nicolas Jachmann
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Mit der verlängerten Waffenruhe um 150 Stunden in Nordsyrien hat Präsident Recep Erdogan seinen Einfluss in der Grenzregion verteidigt. Denn Ankara hat den Kompromiss mit Russlands Präsident Vladimir Putin mit dem Rückzug der Kurdenmiliz YPG verknüpft.

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Der türkische Präsident Recep Erdogan und sein russischer Amtskollege Wladimir Putin werden vermutlich sehr zufrieden nach 6 Stunden Verhandlungen in Sotschi auseinandergegangen sein: Ankara und Moskau haben ihren Einfluss in Nordsyrien mit der Vereinbarung zementiert. Sie füllen das durch den von Donald Trump angeordneten US-Abzug entstandene Vakuum. Keiner der beiden Staatspräsidenten hat beim Sotschi-Deal an Gesicht verloren.

Auf der Pressekonferenz in Sotschi geben beide Präsidenten die Verlängerung der Waffenruhe bekannt

Nach der ersten Waffenstillstandsvereinbarung folgt die zweite

Erdogan war gestern nach Russland zu Putin gereist, wenige Stunden vor dem Ende der mit der USA verhandelten Waffenruhe. In Sotschi verständigten sich Russland und die Türkei auf eine Verlängerung einer Feuerpause um 150 Stunden. Ob die Feuerpause durchgehend eingehalten wird, erscheint angesichts der Erfahrung der letzten Tage fraglich. Die Waffenruhe hatte sich auch während des Moratoriums in einigen Städten als brüchig gezeigt. Im Grenzgebiet um die syrische Stadt Ras al-Ain kam es weiterhin zu Artilleriefeuern und Explosionen.

Die Vereinbarung spielt Moskau und Ankara in die Karten

Der Deal zwischen Erdogan und Putin sieht einen vollständigen Rückzug der Kurdenmiliz YPG vor. Der türkische Präsident sieht diese als Hauptaggressor in der Region und stuft sie als Terrororganisation mit Verbindungen zur in der Türkei verbotenen Partei PKK. Um die YPG bis zu 30 Kilometer von der Grenze zurückzudrängen, sollen russische und syrische Streitkräfte in der Region stärker Präsenz zeigen.

In der türkischen Grenzstadt Sanliurfa kommt der Kompromiss von Sotschi gut bei der Bevölkerung an. Der 35-jährige Mehmet Kirnaz sagt: "Die Türkei hat erreicht, was sie wollte: Einen militärischen Erfolg auf dem Schlachtfeld und am Verhandlungstisch. Die USA und die kurdischen YPG-Kämpfer ziehen sich zurück."

REUTERS; KHALIL ASHAWI
Türkischer Konvoi in der syrischen Stadt Tal AbyadREUTERS; KHALIL ASHAWI

Türkei behauptet militärische Präsenz in Nordsyrien

In einem rund 150 Kilometer breiten Gebiet zwischen Tal Abyad und Ras al-Ain bleibt die türkische Armee stationiert. An manchen Stellen sind die Soldaten schon bis zu 32 Kilometer tief in syrisches Gebiet vorgedrungen. Zumindest dieses weite Vordringen sieht die Vereinbarung mit Russland nicht vor. Die symbolträchtige kurdische Stadt Kobane liegt ohnehin in der Zehn-Kilometer-Zone und könnte längere Zeit von russischer und türkischer Militärpräsenz gezeichnet sein.

Erdogan will unterdessen zwölf Überwachungspunkte im syrischen Grenzgebiet. installieren. Türkische Sicherheitsquellen zeigen sich mit der Militäroffensive der letzten beiden Wochen zufrieden: Die YPG sei entschieden zurückgedrängt worden, sodass eine "militärische Operation" aktuell nicht notwendig sei.

Russland gibt den Ton in der Region an

Mit dem Deal hat Russlands Präsident Putin sowohl Syrien als auch die Türkei an der kurzen Leine gelassen. Mehrere türkischen Interessen hat Moskau befriedigt und gleichzeitig den syrischen Machthaber Baschar al-Assad nicht links liegen gelassen. Denn Putin hat der Türkei auch Grenzen aufgezeigt. Den Plänen Erdogans, eine 400 Kilometer lange Sicherheitszone, die tief ins syrische Gebiet eindringt, hat der russische Präsident nicht nachgegeben. Bereits vor Sotschi erschien diese Forderung Ankara allerdings nicht vermittelbar.

Internationale Sicherheitszone bleibt vorerst europäisches Wunschdenken

Unterdessen hat die deutsche Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karenbauer ihren Vorschlag für die Region präzisiert: Am Montag hatte die Ministerin die Einrichtung einer internationalen Schutzzone ins Spiel gebracht. Diese solle durch ein UN-Mandat abgesichert werden. Kramp-Karrenbauer will eine multilaterale Überwachung der Gebiete und Sanktionen bei Verstößen gegen die geltende Regeln. Weiter schlägt sie vor, Sicherheitszone in Sektoren einzuteilen, von denen Deutschland einen übernehmen könne.

Stimmen aus der Opposition im Bundestag rechnen damit, dass eine solche Schutzzone mit einem Einsatz der Bundeswehr verbunden ist. Dieser müsste vom Parlament abgesegnet werden.

„Wer noch nicht einmal wagt, diplomatische Mittel einzusetzen, der sollte von Bundeswehreinsätzen schweigen“
Anton Hofreiter
Fraktionsvorsitzender Grüne

Der Vorschlag hatte die SPD eigenen Angaben nach überrascht. Der sozialdemokratische Außenminister Heiko Maas hatte das Vorpreschen ohne das Kabinett am Wochenende informiert zu haben, kritisiert. Beim Treffen der EU-Verteidigungsminister wird AKK nun ausloten, inwieweit sie die europäischen Partner von diesem Vorschlag überzeugen kann.

Wie geht es nach Ende der Waffenruhe weiter?

Die Pläne Russlands und der Türkei aber sehen anders aus. Die Waffenruhe im nordsyrischen Grenzstreifen endet am 29. Oktober. Russland und die Türkei planen laut türkischen Sicherheitsquellen gemeinsame Militärpatrouillen für die Zeit danach. Ausgeschlossen davon soll die Region rund um die Stadt Qamishli sein. Der von Deutschland ins Spiel gebrachte Vorschlag einer internationalen Sicherheitszone dürfte bei beiden Staaten auf wenig Begeisterung stoßen. Russland hat dafür ohnehin als Vetomacht im UN-Sicherheitsrat das letzte Wort.

Cutter • Luis Nicolas Jachmann

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