Abgeschoben nach Jamaika: 17 Kriminelle oder Strafe abgesessen?

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Von Rachael KennedyEuronews
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Eigentlich hätten 50 Verurteilte nach Jamaika gebracht werden sollen. Viele fühlen sich an den sogenannten Windrush-Skandal erinnert.

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Die einen sind empört - die anderen sprechen von einer gerechtfertigten Aktion: mit einem von der britischen Regierung gecharterten Flug wurden 17 Personen nach Jamaika abgeschoben. MenschenrechtsaktivistInnen schlagen Alarm, der Fall weckt Erinnerungen an den sogenannten Windrush-Skandal.

Ursprünglich sollten am Dienstag mehr als 50 Menschen deportiert werden, aber ein Gerichtsbeschluss verhinderte die Abschiebung in vielen Fällen, weil die Betroffenen keinen Zugang zu ihren Anwälten hatten.

Als Reaktion auf die Abschiebungen protestierten einige vor Boris Johnsons Wohnhaus in der Downing Street und forderten den Premierminister auf, "die Menschenrechte zu respektieren".

Aber warum gibt es in diesem Fall einen solchen Streit zwischen der britischen Regierung, den Rechtsanwälten und den Menschenrechtsaktivisten?

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Innenministerin Priti Patel (Archiv)Copyright 2019 The Associated Press. All rights reservedMatt Dunham

Die Position der Regierung: "Sie sind schlimme Straftäter".

Die britische Regierung behauptet, dass sie das Recht auf die Abschiebungen durchzuführen, da alle Beteiligten im Ausland geboren und wegen schwerer Verbrechen verurteilt worden sind.

Im Parlament sagte Innenministerin Priti Patel Anfang der Woche: "Jede Person auf diesem Flug ist wegen eines schweren Vergehens verurteilt worden zu einer Freiheitsstrafe von 12 Monaten oder mehr".

Das Innenministerium teilte mit, dass die 17 abgeschobenen Personen wegen Straftaten wie Vergewaltigung, Gewaltverbrechen und Drogendelikten verurteilt worden seien.

In der Erklärung hieß es weiter, zwei seien wegen Vergewaltigung, drei wegen Gewaltverbrechen, acht wegen Drogendelikten und drei wegen Raub- und Schusswaffendelikten verurteilt worden.

Einer sei wegen Einbruchs verurteilt worden.

Die Regierung behauptet auch, dass sie im Rahmen des britischen Grenzgesetzes gehandelt hat, das 2007 von der Labour-Regierung eingebracht wurde.

Menschenrechtsaktivisten sagen: "Sie haben ihre Zeit abgesessen".

Viele der Abgeschobenen wurden als Kinder nach Großbritannien gebracht, und daher wird argumentiert, dass sie wenig oder keine Verbindung zu Jamaika haben.

Einige haben ihre Gefängnisstrafen für die begangenen Verbrechen bereits verbüßt, was bedeutet, dass die Abschiebung als zweite Bestrafung gelten könnte, so die Labour-Schatten-Innenministerin Diane Abbott.

In einer Rede vor dem Parlament sagte Abbott, dass die Abschiebung als zweite Strafe gelten könnten: "Viele der vorgeschlagenen Deportierten kamen als Kinder hierher und haben keine Erinnerung an Jamaika. Diese Abschiebungen stellen eine doppelte Strafverfolgung dar, weil die Personen bereits eine angemessene Strafe für ihr Verbrechen verbüßt haben.

In einem von mehr als 170 Abgeordneten unterzeichneten Schreiben wurde die Regierung auch aufgefordert, die Abschiebungen auszusetzen, bis unter anderem bestätigt werden konnte, dass die Sicherheit der Personen gewährleistet ist.

Bei der Untersuchung konkreter Fälle von Personen, die an Bord des Fluges gehen sollten, stellte sich heraus, dass es sich bei einigen auch um Einzeltäter handelte, die Jahre zuvor eine Straftat begangen hatten.

Der Fall Reshawn Davis

Reshawn Davis wurde 2001 im Alter von 11 Jahren aus Jamaika nach Großbritannien gebracht und hatte nach Angaben seiner örtlichen Abgeordneten Dawn Butler eine Aufenthaltserlaubnis.

Er wurde 2010 - als er 19 Jahre alt war - wegen zweier Raubüberfälle und des Diebstahls von zwei Mobiltelefonen verurteilt.

Der heute 30 Jahre alte Davis war seither als Fussballtrainer angestellt. Er ist auch verheiratet und hat ein sechs Monate altes Kind.

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Butler schrieb einen Brief an Innenministerin Patel, in dem sie den Fall des Vaters erklärte. Die Abgeordnete sagte, sie halte die Entscheidung, ihn auszuweisen, für "völlig unverhältnismäßig", so würde eine Familie "auf tragische Weise auseinandergerissen".

Sie glaubt, dass Davis' Fall nicht in die Beschreibung des Innenministeriums über die Abschiebung "hartgesottener Krimineller" passe, und drängte darauf, die Abschiebung auszusetzen.

In anderen Fällen, über die in den britischen Medien berichtet wurde, sind ähnliche Geschichten von Menschen aufgetaucht, die im Alter von fünf Jahren nach Großbritannien kamen und nun wegen einmaliger Jahre zurückliegender Verbrechen - wie Drogenbesitz - abgeschoben werden.

Erinnerungen an den Windrush-Skandal

Es wurden Vergleiche gezogen zwischen dem Vorgehen der Regierung am Dienstag und dem Windrush-Skandal, bei dem Einwanderer aus karibischen Ländern die illegale Abschiebung drohte.

Benannt nach dem Schiff MV Empire Windrush, wurde die Windrush-Generation nach dem Zweiten Weltkrieg nach Großbritannien eingeladen, um den Arbeitskräftemangel zu bekämpfen.

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Das sagte der Labour-Abgeordnete David Lammy am Dienstag: "Die Regierung deportiert Menschen, die im Alter von 2 Jahren in Großbritannien ankamen, oft wegen einmaliger Drogendelikte. Die Lehren aus Windrush sind nicht gezogen worden. Leben werden ruiniert, weil wir uns nicht an unsere Geschichte erinnern."

Großbritannien entschuldigte sich bei Windrush-Einwanderern, die fälschlicherweise für illegal erklärt wurden. Die damalige Innenministerin Amber Rudd trat wegen des Windrush-Skandal zurück Großbritannien hatte Einwanderungsdokumente vernichtet und dann Abschiebungsbescheide geschickt.

Aber was nun?

In einer Erklärung vom Dienstag erklärte das Innenministerium, es werde "keinerlei Entschuldigung" für die Abschiebung von 17 "ausländischen Kriminellen" abgeben. Es fügte hinzu, dass alle 17 eine Gesamtstrafdauer von 75 Jahren sowie eine lebenslange Haftstrafe hätten.

In der Zwischenzeit sagte Toufique Hossain, ein auf Einwanderung spezialisierter Anwalt,  gegenüber Euronews, dass er die sofortige Freilassung derjenigen fordert, die mit dem Flug am Dienstag nicht abgeschoben wurden. Er fügte hinzu: "[Die Regierung] hat bereits im Laufe der gestrigen Nacht erklärt, dass ein weiterer Charterflug vorerst nicht geplant werden kann. Wir halten es auch für verwerflich, dass in allerletzter Minute erneut das Berufungsgericht angerufen werden musste, um sicherzustellen, dass die Regierung die Menschenrechte respektiert."

Der Streit dauert an.

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