Wie schlimm ist die Mutation? Was wir über B.1.1.7 wissen

Mann in London
Mann in London Copyright Alberto Pezzali/Copyright 2020 The Associated Press. All rights reserved
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Von Euronews mit BMJ, AP, dpa
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Sehr wahrscheinlich ist das mutierte Coronavirus schon in Europa verbreitet. Expertin @TanjaStadler_CH erklärt, dass in der Schweiz nur sehr wenige Virusproben sequenziert werden.

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Wie gefährlich ist die Coronavirus-Variante B.1.1.7, die im September in Großbritannien aufgetaucht ist?

Die meisten Virologen gehen davon aus, dass B.1.1.7 ansteckender ist als der Virus in seiner vorherigen Form, aber die britischen Wissenschaftler arbeiten noch daran, um stichhaltige Beweise dafür vorzulegen.

Laut Tanja Stadler von der Task-Force des Schweizer Bundesamt für Gesundheit werden in der Schweiz nur sehr wenige Proben von Infizierten daraufhin analysiert, ob seine Mutante vorliegt. 

Deshalb ist bisher auch nicht klar, wie verbreitet B.1.1.7 bereits in anderen Ländern als in Großbritannien ist.

Daten aus einem Testzentrum in London zeigen, dass der Anteil der Fälle mit dem mutierten Virus ansteigt. Laut BBC waren es im November etwa ein Viertel der Fälle, inzwischen sind es zwei Drittel.

Christian Drosten: "Es sieht nicht gut aus"

Nachdem er sich zunächst nicht sehr beunruhigt gezeigt hatte, warnt Coronavirus-Experte Christian Drosten von der Charité in Berlin inzwischen vor der Virus-Variante. Er schrieb auf Twitter: "Neue Daten zur B.1.1.7-Mutante. Das sieht leider nicht gut aus. Positiv ist, dass Fälle mit der Mutante bisher nur in Gebieten zunahmen, wo die Gesamtinzidenz hoch oder ansteigende war. Kontaktreduktion wirkt also auch gegen die Verbreitung der Mutante."

"Ich denke, dass das schon in Deutschland ist", sagt Drosten am Montag im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Das neue Virus sei ja schon seit September in Kent und auch in London, deshalb sei es wohl auch in Deutschland. Aber nirgends, wo die Variante wie in Holland nachgewiesen worden sei, sei es hochgekocht.

Was bringen Reise-Verbote?

Die Epidemiologin der Universität Bern, Emma Hodcroft, meint, das mutierte Virus sei wohl schon in ganz Europa verbreitet. In einem Interview mit THE NEW SCIENTIST sagt sie, die Reise-Einschränkungen seien vor allem dazu da, "Zeit zu gewinnen". Die "Virenjägerin" - wie sie sich selbst auf Twitter nennt - meint, die Tatsache, dass das mutierte Virus in Europa zuerst in Großbritannien und Dänemark festgestellt wurde, könne auch dadurch erklärt werden, dass in beiden Ländern viele Gen-Sequenzen des Virus erstellt würden.

Emma Hodcroft erklärt auch, dass die in Großbritannien und die in Südafrika aufgetretenen Varianten nicht gleich sind.

Boris Johnson: "70 Prozent ansteckender"

Am Samstag hatte Premierminister Boris Johnson erklärt, das mutierte Virus sei 70 Prozent ansteckender - und er hatte deshalb in London und anderen Landesteilen einen Lockdown sowie die höchste Alarmstufe verhängt.

Die Gesundheitsbehörden erklären, dass die Variante aufgrund ihrer höheren Übertragbarkeit einen Anstieg der Reproduktionszahl des Landes - des R-Wertes - verursachen könne. Der R-Wert liegt derzeit in England zwischen 1,1 und 1,2, was bedeutet, dass "im Durchschnitt jede zehnte infizierte Person zwischen 11 und 12 weitere Personen ansteckt", so die britische Regierung.

Der R-Wert könnte durch die neue Variante um 0,4 steigen, meinten britische Verantwortliche am Samstag, damit würde sich die Epidemie viel schneller ausbreiten. Jeder R-Wert über eins bedeutet, dass die Epidemie wächst.

"Es gibt derzeit keine Hinweise darauf, dass der neue Stamm eine höhere Sterblichkeitsrate verursacht oder dass er Impfstoffe und Behandlungen beeinflusst, obwohl noch vorrangig daran gearbeitet wird, dies zu bestätigen", sagte Professor Chris Whitty, Englands Chief Medical Officer, in einer am Samstag veröffentlichten Erklärung.

B.1.1.7 war zunächst VUI-202012/01 für "Variant Under Investigation"

Zunächst wurde die Mutation von den britischen Gesundheitsbehörden VUI-202012/01 genannt - VUI steht für "Variant Under Investigation", danach das Datum Dezember 2020. Ersten Erkenntnissen zufolge weist es 17 Veränderungen oder Mutationen auf.

Eine der bedeutendsten ist eine N501Y-Mutation im Spike-Protein, das das Virus zur Bindung an den menschlichen ACE2-Rezeptor verwendet. Veränderungen in diesem Teil des Spike-Proteins können theoretisch dazu führen, dass das Virus infektiöser wird und sich leichter zwischen Menschen ausbreitet.

Anderswo nur noch nicht entdeckt?

Dr. Emma Hodcroft vom Biozentrum der Universität Basel - die sich selbst als "Virenjägerin" bezeichnet - weist darauf hin, dass die britische und die südafrikanische Variante des Coronavirus unterschiedlich sind. Die Tatsache, dass das mutierte Virus in Europa zuerst in Großbritannien und Dänemark festgestellt wurde, könne auch dadurch erklärt werden, dass in beiden Ländern viele Gen-Sequenzen des Virus erstellt würden.

SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach erklärt, die neue Variante weise mehr Unterschiede auf als zuvor beobachtete und offenbar sei sie tatsächlich ansteckender.

"Nicht wahnsinnig alarmierend"

Andreas Bergthaler von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (CeMM) in Wien hielt die derzeit beobachtete Virus-Mutation am Wochenende zunächst nicht für "wahnsinnig alarmierend". Dass Mutationen auftauchen, sei nicht ungewöhnlich. Derzeit wisse man auch noch nicht, ob die beobachteten Veränderungen die Eigenschaften des Erregers überhaupt entscheidend verändern.

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Schon im September hatte die Zeitschrift Nature über verschiedene Stämme des Coronavirus berichtet, die offenbar die Gefahrenlage nicht wesentlich verändert hatten.

Bleiben die Impfstoffe wirksam?

Bisher gehen die Experten nicht davon aus, dass die Virus-Variante die Wirksamkeit der Impfstoffe gegen das Coronavirus beeinträchtigen könnte.

In Dänemark waren Millionen Tiere auf Nerzfarmen getötet worden, weil Forscher befürchteten, dass das dort aufgetauchtet mutierte Virus einen Einfluss auf die Impfstoffe haben könnte.

Einige Viren, wie z. B. die Grippe, mutieren von einem Jahr zum nächsten erheblich und umgehen so die Wirksamkeit von Impfstoffen. Andere, wie z. B. Masern, entwickeln sich im Laufe der Zeit weiter, ohne dass die Wirksamkeit des Impfstoffs beeinträchtigt wird. Bisher ist nicht klar, in welche Kategorie SARS-CoV-2 fällt.

Wann haben die britischen Behörden über die Variante informiert?

Der britische Gesundheitsminister Matt Hancock gab erstmals am 14. Dezember im Unterhaus bekannt, dass es in London und Südostengland eine neue Variante des Coronavirus gebe.

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"Wir wissen von dieser genetischen Variante, die bei 1.000 Personen in England festgestellt wurde", sagte Dr. Mike Ryan, der Direktor des WHO-Notfallprogramms. "Diese spezielle Variante scheint sich in Großbritannien weiter verbreitet zu haben", erklärte er Mitte Dezember.

"Diese Art von Evolution oder Mutationen wie diese sind eigentlich ziemlich häufig", meinte Dr. Mike Ryan. Die britischen Behörden verhielten sich sehr transparent und hätten die Genomsequenz der Variante geteilt.

"Dies ist eine Variante, die N501Y, die tatsächlich bereits von unserer Arbeitsgruppe für Virusevolution überwacht wird. Sie ist im Zusammenhang mit einer Nerzvariante aufgetaucht, die anderswo identifiziert wurde", sagte Maria Van Kerkhove, die technische Leiterin der WHO für Covid-19, bereits am Montag.

Doch N501Y ist nur eine der Veränderungen in dieser britischen Variante, wie eine am Samstag veröffentlichte Studie des Genoms der Variante zeigt.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) steht mit Großbritannien wegen der Ausbreitung der neuen Variante des Coronavirus in engem Kontakt. Das twitterte die WHO in der Nacht zu Sonntag. Die britischen Behörden würden weiter Informationen und Ergebnisse ihrer Analysen und Studien teilen. Die WHO forderte die Staaten dazu auf, weiter alle Schutzmaßnahmen zu ergreifen, um eine Ausbreitung des Virus zu verhindern.

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