Bald exponentiell? Britische Mutation betrifft 22% der Neuinfektionen in Deutschland

Kontrollen in Hamm nach Ausbruch der britischen Variante
Kontrollen in Hamm nach Ausbruch der britischen Variante Copyright Martin Meissner/Copyright 2021 The Associated Press. All rights reserved.
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Von Euronews mit dpa
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Gesundheitsminister Jens Spahn warnt angesichts der steigenden Zahl von Mutationen unter den Neuinfektionen vor Lockerungen des Lockdown.

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Zur Eindämmung der mutierten Coronaviren werden an den deutschen Grenzen zu den Virus-Varianten-Gebieten Tschechien und Tirol alle Einreisenden verschärft kontrolliert. Aber die Mutationen breiten sich bereits in Deutschland aus. So wurden in Hamm mehrere Häuser mit 80 Bewohner:innen abgeriegelt, nachdem die britische Mutante bei einem Mann nachgewiesen worden war.

Nach neuen Daten des Robert Koch-Instituts (RKI) stieg der Anteil der in Großbritannien entdeckten Mutation innerhalb von zwei Wochen stark an - nämlich von knapp 6 auf mehr als 22 Prozent. Das teilte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) an diesem Mittwoch in Berlin mit.

Auch im bayrischen Corona-Hotspot Tirschenreuth wurden viele Infektionen mit Varianten nachgewiesen, um welche Mutationen es sich handelt, steht aber noch nicht fest.

Britische Variante wohl bald auch in Deutschland dominierend

"Wir müssen damit rechnen, dass die Variante bald auch bei uns die dominierende werden könnte", sagte Spahn. Der Anteil der britischen Variante verdoppele sich etwa jede Woche. Die zunächst in Südafrika aufgetretene Mutation habe in Deutschland zudem einen Anteil von 1,5 Prozent erreicht.

Dennoch bezeichnete Spahn es als "bis hierhin ermutigend", dass die Infektionszahlen insgesamt gesunken seien. Das zeige ja, dass die Schutzmaßnahmen wirkten.

Experte warnt vor exponentiellem Anstieg

Die britische Virusvariante gilt nach Schätzungen als um mindestens 35 Prozent ansteckender als die herkömmliche. Michael Meyer-Hermann vom Helmholtz-Institut Braunschweig meint im Gespräch mit dem Tagesspiegel: "Wir sind aktuell mit mindestens zwei Pandemien konfrontiert. Die alte haben wir mit den aktuellen Maßnahmen unter Kontrolle und bringen die Inzidenzen mit einer Reproduktionszahl von 0,85 runter. Gleichzeitig findet aber gerade eine Ausbreitung der neuen Variante statt, deren Reproduktionszahl mit den aktuellen Maßnahmen über eins liegt. Da die neue Variante noch nicht dominant ist, sieht das in der Summe immernoch wie sinkende Fallzahlen aus."

Die britische Mutation B.1.1.7 befinde sich laut dem System-Immunologen bereits in einer Phase des exponentiellen Wachstums - "und die aktuellen Maßnahmen reichen nicht, um diese Entwicklung auszubremsen», sagte Meyer-Hermann dpa. "Über kurz oder lang wird B.1.1.7 dominieren." Dann drohe eine dritte Welle, würden die Fallzahlen nicht mit anhaltenden Maßnahmen auf eine geringe Inzidenz gedrückt.

Regionale Unterschiede bei Verbreitung der Varianten

Am Dienstag wurde bekannt, dass sich der Innenminister von NRW Herbert Reul mit der britischen Variante des Coronavirus infiziert hat. Auf der Deutschland-Karte der auftretenen Infektionen gibt es enorme regionale Unterschiede. Mehrere Varianten sind laut RKI in Köln und Berlin sowie in Flensburg und Worms nachgewiesen worden.

Eventuelle Lockerungen nur "mit ganz besonderer Vorsicht"

Gesundheitsminster Spahn dämpfte mögliche Erwartungen auf rasche Öffnungen anhand eines festen Plans. Die Wege aus dem Lockdown müssten "mit ganz besonderer Vorsicht" gegangen werden. Es sei richtig, dass als erstes die Kitas und Schulen wieder stärker öffneten. Nun müsse aber jeden Tag überprüft werden, was dies in der Dynamik verändere.

Spahn sagte, er habe zwar nichts gegen Öffnungspläne, die sich etwa nach Inzidenzwerten der Virusausbreitung richteten. Doch wichtig sei, dass sich alle der Wichtigkeit des Themas Mutationen bewusst seien. Alle zwei Wochen müsse überprüft werden, "wo wir stehen".

Eindringlich rief Spahn die Menschen in Deutschland zur Einhaltung der Regeln und zur Vorsicht auf. "Wir machen den Unterschied – jeden Tag."

Bund und Länder hatten weitere Öffnungsschritte aus dem Lockdown ab dem 7. März beschlossen. Allerdings sollten erst, wenn eine «stabile» Inzidenz von höchstens 35 Neuinfektionen je 100 000 Einwohnern binnen sieben Tagen erreicht ist, solche Schritte durch die Länder folgen. Dann sollen - so der Beschluss - der Einzelhandel, Museen und Galerien sowie Betriebe mit körpernahen Dienstleistungen wieder aufmachen können.

Zuletzt meldeten die Gesundheitsämter dem RKI binnen eines Tages 7556 Corona-Neuinfektionen. Zudem wurden innerhalb von 24 Stunden 560 weitere Todesfälle verzeichnet. Die Zahl der binnen sieben Tagen gemeldeten Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner lag laut RKI am Mittwochmorgen bundesweit bei 57,0.

Um die Verbreitung der Mutationen zu ermitteln, wertete das RKI 23 000 positive Testergebnisse in einer repräsentativen Stichprobe und weitere Daten aus, wie Spahn mitteilte. Weitere Details wollte das RKI noch am Mittwoch mitteilen. An diesem Freitag wollen RKI-Chef Lothar Wieler und Spahn weitere Einschätzungen abgeben.

Die britische Virusvariante gilt nach Schätzungen als um mindestens 35 Prozent ansteckender als die herkömmliche. Bei den Analysen werden nicht alle Corona-Tests auf Varianten untersucht. Experten hatten auf regionale Unterschiede und mögliche Lücken hingewiesen.

Schon zuvor hatten Experten anhand von Daten aus anderen europäischen Ländern wie Dänemark und Italien befürchtet, dass der Anteil der Varianten auch in Deutschland rasch und deutlich steigen wird.

Weitere Quellen • Tagesspiegel

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