Demokratiedefizite in Polen und Ungarn

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Copyright Francisco Seco/Copyright 2019 The Associated Press. All rights reserved.
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Von euronews
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Jetzt können es Budapest und Warschau noch einmal schwarz auf weiß nachlesen: in Ungarn und Polen ist es nicht gut bestellt in Sachen Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Meinungs- und Pressefreiheit. Doch der Bericht der EU-Kommission kritisiert auch andere Mitgliedstaaten der Europäischen Union.

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Jetzt ist er da - der mit Spannung erwartete Bericht der EU-Kommission zum Zustand der Rechtsstaatlichkeit in den Mitgliedstaaten. Und das zweite Jahr in Folge stehen Ungarn und Polen am Pranger - wegen Demokratiedefiziten. Erneut bescheinigt die EU-Kommission beiden Ländern einen zunehmend autoritären Regierungsstil.

Sollte sich dieser Trend fortsetzen, könnte die EU Fördergelder in Milliardenhöhe blockieren. Da sowohl Polen wie auch Ungarn jeweils viel Geld aus EU-Töpfen erhalten, ist das ein recht massives Druckmittel seitens Brüssel.

Blockade von EU-Geld denkbar

Die Europäische Kommission hat angedeutet, dass Polen und Ungarn keinen Zugang bekommen könnten zum milliardenschweren Wiederaufbaufonds, der im Zuge der Covid-Epidemie aufgelegt wurde, solange die Unabhängigkeit der Justiz nicht wiederhergestellt sei.

Was sich zunächst wie eine juristische "Um-Sieben-Ecken-Konstruktion" anhört, ergibt durchaus Sinn. In den Nothilfetöpfen sind derart viele Steuergelder und Milliardensubentionen, dass die EU-Kommission gar nicht anders kann, als Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen, dass dieses Geld nicht in Taschen korrupter Politiker oder windiger Geschäftemacher fließt, alles andere wäre gegenüber den EU-Bürgern unverantwortlich. Wenn es aber - so wie in einigen wenigen EU-Staaten - eine unerquickliche Gemengelage gibt zwischen Politik, Justiz und Geschäftsinteressen (Förderprojekten, EU-Subventionen), wenn es auch nur den Hauch eines Verdachtes gibt, dass sich eine Politkaste ein ihr gefälliges Richtergremium hält, das nicht mehr unabhängig über die Vergabe und Verwendung von EU-Geldern urteilen kann, nun, dann muss der Geldhahn eben abgedreht werden.

"Wir wollen Kontrollgarantien gegen Missbrauch"

In der Kommission ist Vera Jourova für Grundwerte zuständig. Sie stellte den neuen Rechtsstaatlichkeitsbericht vor. Gegenüber Euronews sagte die Kommissarin:

"Unsere Unterhändler erwarten von Ungarn und Polen zu bestätigen, dass sie ein funktionierendes Kontroll- und Auditsystem installieren werden, das genauso zuverlässig Missbräuchen vorbeugt, wie etwa bei der Kohäsionspolitik. Das Wiederaufbaugeld ist frisches Geld, wir wollen hier vergleichbare Kontrollmechanismen sehen."

Keine unabhängige Justiz in Polen

Mit Blick auf Polen werden ernsthafte Bedenken zur fehlenden Unabhängigkeit der Justiz formuliert. Hier geht es um ein seit Monaten heftig umstrittenes Kontrollgremium, mit dem die Politik aufmüpfige Richter mundtot machen kann. Auch das polnische Verfassungsgericht gilt seit geraumer Zeit als nicht mehr unabhängig. Berichte über Sanktionen gegenüber solchen Richtern, die nicht auf Regierungslinie segeln, mehren sich.

Vetternwirtschaft in Ungarn

Hinsichtlich Ungarn bemängelt die EU-Kommission wieder einmal Vetternwirtschaft bis in die Staatsspitze und das Fehlen unabhängiger Korruptionsermittler. In den vergangenen Jahren hat sich in Europa der Eindruck verfestigt, dass im direkten Umfeld von Regierungschef Orban Netzwerke entstanden sind, die von Freunden und Bekannten Orbans dazu genutzt werden, materielle Vorteile aus ihrer Nähe zum poltischen Machtzentrum zu ziehen. Zudem sei die Medienvielfalt in Ungarn in Gefahr (in diesem Zusammenhang ist unter anderem an die Schließung des kritischen Senders Clubradio zu erinnern).

Die ungarische Regierung bewertete den Bericht als einseitig und überflüssig.  

Ungarns Justizministerin Judit Varga: "Die europäischen Verträge ermächtigen die Europäische Kommission nicht, derartige Rechtsstaatsberichte zu verfassen. Das wird aus verschiedenen Gründen instrumentalisiert, immer dann, wenn sie ein Land zu diskreditieren suchen. Da wird mit zweierlei Elle gemessen. Bei der Veröffentlichung der Länderberichte gibt es verzerrte Darstellungen."

"Geldstrafen beantragen"

Doch sehen wir uns noch einmal den Fall Polens genauer an. Der ist insofern hochinteressant, als nicht nur - wie im Falle Ungarn - mit dem Ausbleiben von Geld aus Brüssel gedroht wird, sondern im Zusammenhang mit der Nichtumsetzung von EuGH-Urteilen, sogar mit Geldstrafen. 

Zuächst einmal: Für Polen konstatiert der EU-Bericht Gefahren für die Demokratie. Die Justiz sei nicht mehr unabhängig.

Die EU-Kommission hat einen Mahnbrief nach Warschau geschickt, in dem Polen aufgefordert wird, Urteile des Europäischen Gerichtshofes umzusetzen und politisch motivierte Einmischungen in das Rechtssystem zu unterlassen.

Justizkommissar Didier Reynders: "Abhängig von der Antwort der polnischen Regierung, werden wir uns weitere Schritte vorbehalten. In unserem Brief steht bereits, dass wir bei Nichtumsetzung der EuGh-Beschlüsse erneut klagen und die Verhängung von Geldstrafen beantragen werden."

Scharfe Kritik auch an Tschechei und Bulgarien

Der Rechtsstaatsbericht der EU-Kommisison überprüft regelmäßig alle 27 Mitgliedstaaten auf demokratisches Herz und rechtsstaatlche Nieren. Auch andere EU-Staaten werden kritisiert.

In der tschechischen Republik gibt es an der Staatsspitze einen Interessenkonflikt zwischen privaten Geschäftsinteressen und öffentlichem Amt (konkret geht es um Regierungschef Babis).

Und die Kommission sorgt sich wegen der Korruption in Bulgarien. Auch dies eine seit Jahren oft gehörte Klage aus Brüssel und vielen EU-Hauptstädten.

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