Politische Krise in Tunesien: Proteste für und gegen Präsident Saïed

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Tunesien galt lange als Musterland des Arabischen Frühlings. Nun ist die junge Demokratie in einer Krise. Präsident Kaïs Saïed und Vertreter der islamisch-konservativen Ennahda-Partei stehen sich gegenüber.

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Nach der überraschenden Entlassung des Regierungschefs durchlebt Tunesien eine seiner schwersten politischen Krisen seit dem Arabischen Frühling vor zehneinhalb Jahren. Gegner und Anhänger von Präsident Kaïs Saïed gingen auf die Straße.

Der Protest seiner Unterstützer richtet sich gegen die islamisch-konservative Ennahda-Partei, die von Parlamentspräsident Rached Ghannouchi angeführt wird. Unter den Demonstranten in Tunis ist ein älterer Herr, der einen leeren Polsterstuhl präsentiert. Er ruft: "Rached Ghannouchi ist raus. Es ist vorbei mit ihm. Eine neue Ära hat begonnen."

Die Kritiker des Präsidenten werfen ihm einen Staatsstreich vor, auch weil er die Arbeit des Parlaments für zunächst 30 Tage eingefroren hat. Die Armee zog vor dem Parlamentsgebäude auf und hinderte Parlamentspräsident Ghannouchi daran, es zu betreten.

Mahnung zu Verzicht auf Gewalt und verfassungsmäßiger Ordnung

Die Europäische Union rief in einer ersten Reaktion alle politischen Akteure zum Gewaltverzicht und Respekt vor der Verfassung auf. Das Auswärtige Amt in Berlin zeigte sich sehr besorgt über die Entwicklung in Tunesien. Eine Sprecherin sagte, das Land sei aufgefordert, zur verfassungsmäßigen Ordnung zurückzukehren und die Arbeitsfähigkeit des Parlaments schnellstmöglich wieder herzustellen.

"Wir sehen eben schon, dass der Staatspräsident diesen Artikel 80 der Verfassung jetzt anführt dafür, die Arbeit des Parlaments zu suspendieren", so Sprecherin Maria Adebahr. "Und ehrlicherweise müssen wir sagen, dass wir das doch für eine sehr weite Auslegung der Verfassung halten."

Tweet des Auswärtigen Amtes

Ausgangssperre und Einschränkung von Kontakten

Am Abend rief Präsident Saïed eine nächtliche Ausgangssperre aus. Diese gelte ab sofort bis zum 27. August von 19.00 Uhr bis 6.00 Uhr, meldet die Nachrichtenagentur Reuters unter Verweis auf eine Erklärung des Präsidialamts, die auf Facebook veröffentlicht wurden. Ausnahmen gebe es nur für dringende medizinische Notfälle und Nachtarbeiter. Zudem dürften sich nicht mehr als drei Menschen in der Öffentlichkeit treffen.

Viele Tunesier sind unzufrieden mit der Corona-Politik der politischen Führung. Landesweit gab es zuletzt teils gewaltsame Proteste. Die Zahl der Corona-Infektionen steigt massiv an, in Krankenhäusern ist der Sauerstoff knapp.

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